Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

ließen wir den Dom"". Mit seinem Meßkoffer in der Hand machte sich Sakristeidirektor Kodeischka auf die Suche nach Prälat Wagner, um diesem als Dompropst die Katastrophe zu melden. Er fand ihn bei den Jesuiten. Nachdem er sich notdürftig gewaschen hatte, ging er, gegen 8 Uhr fhlh wieder zum Dom zurück, „um das Ausmaß der Schäden zu beurteilen. Unter dem hohen Schuttberg im vorderen Hauptschiff rauchten noch die Reste der verbrann ten Schätze wie in einem Kohlenmeiler. Da das Riesentor vermauert und die bei den Querhausportale noch immer durch glühende Trümmerhaufen verlegt waren, konnte der Dom in diesen Tagen nur durch das Singertor betreten werden, dessen Sandsack-Ummantelungen eine kleine Türe besaß. Auch die obere Sakri stei-Türe war durch den ersten großen Bombentrichter verlegt. Allerdings mußte man auch durch das Singertor vorsichtig gehen, weil einige Leichen von deutschen Soldaten und Zivilisten in der Vorhalle lagen, die erst später im Stadtpark provi sorisch beigesetzt wurden. So stand ich eine Weile da vor dem ausgebrannten vorderen Hauptschiff, unmittelbar unter dem vom Triumphbogen herabhängenden Lettnerkreuz, von dem nur der obere Teil des Längsbalkens und beide Seiten des Querbalkens mit den angebrannten Unterarmen übrig blieben, während das am Hals angekohlte Hei landshaupt herabgestürzt und erst später aus dem Schuttberg geborgen worden war. Als ich den unbeschreiblichen „Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte" in seiner Gesamtheit sah, kam es mir fast vor wie ein Hohn: da habt ihr euch tage- und nächtelang geplagt und euer Leben dafür gewagt - und das ist nun euer Lohn! Oder sollten wir nicht mehr würdig sein, ein solches Gotteshaus zu besitzen?"" An diesem Morgen machte sich auch Dr. Strobl wieder in Richtung Dom auf und er berichtet: „Groß war mein Erstau nen am Freitag, den 13. April,da ich um halb acht Uhr durch die Jasomirgottstraße auf den Dom zuging. War doch das große Fenster über dem Riesentor vom Feuer der Orgel ausgebrochen und sah man in den Dom hinein. Der war aber nicht mehr dunkel, sondern von hellem Licht durch flutet. Ich eilte in den Dom und fand Hochaltar und Friedrichsschiff angefüllt mit brennenden Trümmern des Chorge stühls, der Emporen und des Daches. Wie mir Kodeischka, der als einziger noch im Dom weilte, mitteilte, ist um viertel fünf Uhr fhlh, als er mit der ihm helfenden Frau am Hochaltar stand, die Decke ein gefallen. Er hatte gemeint, nun sei alles verloren. Es brannte das Chorgestühl ab. Er selbst und die Frau konnten sich den Flammen entziehen und in den rückwärti gen Teil des Domes retten"" Das Bild des Lettnerkreuzes bleibt je dem, der es gesehen hat, unvergeßlich: Der untere Teil des vom Triumphbogen herabhängenden Kreuzes verbrannte, der obere Teil des Kreuzes mit den Händen des Kruzifixus blieb erhalten und schwebte wie ein stumme Klage über der unbeschreiblichen Verwüstung. P. Hugo Pfimdstein, ein Benediktiner des Schottenstiftes, ging an jenem 13. April zusammen mit einem Mitbruder, P. Wolfgang Suska, in die Stephanskirche. Sein Bericht:„Es war ein Bild,das ich nie vergessen werde. Auf der Straße Pferde kadaver und Umat,dazwischen Überreste ausgeplünderter Geschäfte. Aufder Straße wimmelte es von russischem Militär, Panzer um Panzer polterten der Rotenturmstraße zu, über unseren Häuptern das Surren deutscher und russischer Jäger, die einander mit Bordwaffen beschossen. Im Turmeingang lagen mehrere halbver kohlte, aufgedunsene Menschenleichen, über die man steigen mußte,in der Kirche glimmende Schutthaufen, durch die einge stürzte Presbyteriumdecke lachte der sonnige Frühlingshimmel. Ein unbekann ter Maim wühlte eben mit seinem Stiefel im Schutthaufen, da rollte der glimmende Christuskopf des Lettnerkreuzes heraus, Ich bückte mich rasch, nahm den Kopfan mich und trug ihn in die unversperrte große Sakristei, wo ich ihn mit dem Rest des Lavabo-Wassers abkühlte und in ein Kästchen legte"'®. Zusammen mit den ebenfalls erhalten gebliebenen Armen des alten Kreuzes wurde der Kopf in eine Nachbildung desselben von Josef Troyer miteingebun den. ,4n großer Einsamkeit brannte der Dom aus"" schrieb Hans Tuppy, der spätere Universitätsprofessor, der als Student ebenfalls bei den Rettungsarbei ten mitgeholfen hatte, im April 1952, aus Anlaß der Wiedereröffhungsfeierlichkeiten. Und er schloß daran die Frage,wie es möglich war, daß sich der Brand des Domes „buchstäblich unter Ausschluß der öffentlichkeil" ereignet hatte, daß kaum mehr als ein Dutzend Menschen an den Rettungsarbeiten beteiligt waren. Er gab die Antwort darauf gleich selber; es war der totale Ausfall aller Kommunika tionsmittel, wohl aber das Wissen um die Entfernung aller Feuerwehrwagen und Löschgeräte durch die deutschen Truppen vor ihrem Abzug, ebenso aber um die Ausbreitung der Brände in der Irmenstadt, dazu die Verunsicherung durch die große Ansammlung von Geschützen und maschinenpistolenbewehrten Soldaten, aber auch durch Gesindel und Plünderer jeder Art, alles in allem die Angst um das nackte Leben und das wenige, das man gerettet hatte, eine Mischung all dessen hielt die Menschen in den Kellern und fern der Straße. Unbeschreiblich war der „Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte"", wie es Dr. Strobl formulierte. Von ihm stammt auch jene Beobachtung einer alten Frau, „einer alten Wienerin, die über den bren nenden Dom weinte. Sie wußte es wohl nicht", schrieb Strobl später, „daß sie sichtbar darstellte, was in den Klagelie dern der Karmetten immer im Dom ge sungen wurde: „Wie sitzt so einsam die Stadt, voll von Volk, es ist wie eine Witwe geworden, die Herrin der Völker ... klagend weint sie in der Nacht ... kei ner ist, der sie tröstet, aus allen ihren Lieben..." So hatte die Katastrophe von St Ste phan am 11. April begormen und mit dem Gewölbeeinstuiz des Chores am 13. April 1945 ihren Abschluß gefunden. In diesen düsteren Tagen, die unheil bar schienen, da - so erzählte ein Presse berichter - mischte sich zu den niederge schlagenen Betrachtern der 2Lerstörung und der Vernichtung ein Mann in ausge beulten Hosen und abgeschabtem Hute und meinte dann so nebenbei: „Na, wir werden ihn halt wieder aufbauen müs sen." Der dies sagte, war Kardinal Innitzer. Und nur wenige Wochen später, am 15.Mai 1945 verlautete über alle Kanzeln der Erzdiözese sein Appell an alle Gläu bigen:„Unsere Kathedrale, den Stephans dom, wieder in seiner ursprün^chen Schönheit erstehen zu helfen, ist eine Herzenssache aller Katholiken, eine Eh renpflicht aller!"" V.Das Wunder des Wiederaufbaues Dem Beginn des Wiederaufbaues von St. Stephan mußte die Überlegung voran gehen, ob es - angesichts der vielfältigen Not der ersten Nachkriegstage, angesichts der riesigen Schuttberge an vielen Orten der Stadt,die den Verkehr fast vollständig lahmlegten - überhaupt zu verantworten sei, sofort mit der Arbeit am Dom zu beginnen. Auf der anderen Seite war die Notwendigkeit, wenn überhaupt, dann sofort zu beginnen, jedem Einsichtigen klar. Denn jeder Regentag, jeder Sturm wind hätte der im Wesentlichen noch erhaltenen, aber ungeschützten Bausub stanz unter den darnaligen Bedingungen schwerzu behebenden Schaden zugefügt. Die Entscheidung für den Dom war ge fallen - und bereits am 18. April, alsofW Tage nach der Katastrophe wurde mit der Bergung der herabgestürzten Luster be gonnen. Am 25. April, also 12 Tage da nach, wurde, dank der Opferfreudigkeit vieler freiwilliger Helfer, Menschen aus allen Gesellschaftskreisen, die oft selbst kaum ein Dach über dem Kopfhatten, mit den Aufiäumarbeiten begormen werden'®. Diese Aufräumarbeiten stellen „ein Ruhmeskapitel in der Geschichte Wiens dar"", so schrieb Jörg Mauthe: „Schvrierigkeiten, nichts als Schwierigkei ten: Mangel an allem, nur nicht an Helfem, die freiwillig von allen Seiten her beikamen. Mit primitivsten Mitteln wurde in den ersten Monaten der Schutt, etwa viereinhalbtausend Kubikmeter, aus der verwüsteten Kirche entfernt; da keine Transportmittel zur Verfügung standen, mußte er zunächst an der Nordseite des Domes abgelagert werden, ehe man ihn, viel später, wegschaffen konnte. Einige entschlossene Arbeiter trugen die im Winde hin- und herschwankende und die Reste der Chorgewölbe gefährdende nördliche Dachstützmauer ab." Als wei tere Schutzmaßnahme wurde eine dop pelte Treimungswand zwischen Querschiff und dem zerstörten Chor errichtet, um das Langhaus vor den Unbilden der Witterung zu bewahren. Viele Fragen technischer mid künstle rischer Art mußten in den nächsten Jahren

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