Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Artillerieeinheiten wieder vom Stephans platz abgezogen. Für einige Stunden war die Innenstadt ohne Besatzung, welcher Art auch immer.,3anden von Plünderern zogen herum," berichtet Sakrisleidirektor Kodeischka", „ich habe selbst von den Fenstern der Unteren Sakristei aus beob achtet, wie aus dem brennenden Souter rainlokal des Bankhauses Schelhammer& Schattera Plünderer unter dem Schutz von russischen Soldaten herausstürmten und in das nebenliegende Teppichhaus Haas eindrangen. Nach ihnen beginnen die bisher noch unversehrt gebliebenen Häu ser an der Westseite des Stephansplatzes aus den unteren Lokalen heraus zu bren nen. Ebenso einige Häuser der Kämtnerstraße. Es scheint, als sollte die ganze Stadt in Brand gesteckt werden. Abends brannten die Häuser in allen Stockwer ken. Da drehte sich der Wind unglück licherweise nach Südwest. Durch Fun kenflug von den brennenden Häusern begaimen die gegenüber liegenden Ge bäude auf dem Stock-im-Eisen-Platz und das Singerhaus zu brennen. Der Wind imd die gewaltige Sogwirkung der erhitzten Luft riefen einen gewaltigen Feuersturm hervor, der glühende Trümmer und bren nende Fetzen bis hoch Uber den Südtuim wehte. Einige Brandherde über dem rechten Seitenschiff konnten noch mit einfachen Feuerpatschen gelöscht werden. Domkurat Göbel und ich" so Kodeischka, „schöpften dazu das in den Bottichen vorhandene Wasser und es gelang uns,die meisten Brandherde im Keim zu erstikken." Gegen Abend des 11. April aber fand sich Kodeischka ganz allein im Dom,um mit dem letzen Wasserrest den begirmenden Dachbrand zu bekämpfen. Gerüchte von der Rückkehr der deutschen Truppen, sowie vom Stephansplatz zurückweichen den, dabei Häuser in Brand setzenden, russischen Artillerieeinheiten ließ alle Helfer in Panik in die Keller flüchten.„So wurde ich ganz allein zurückgelassen. Ich war fest entschlossen, selbst mit dem Einsatz meines Lebens den Dom vor Zer störung zu retten und sagte mir: „Wenn der Dom hin ist, soll auch ich hin sein!" Ich sah ein, daß ich mit meinen eigenen Kräften mm nichts mehr ausrichten könne. Darum eilte ich hinunter zum Sakramentsaltar in die Katakomben und entnahm dem Ziborium einige hl. Hostien, die ich dann in einer Versehbursa immer um den Hals unter dem Luftschutzanzug bei mir trug; so wußte ich mich behütet imd sicher geschützt in allen bevorstehen den Gefahren, die ich mit Recht erahnte. Es war auch tatsächlich so, daß ich in dem weit ausgedehnten Dachstuhlraum immer wieder gleich die neuen Brandnester entdeckte und rechtzeitig löschen konnte. ... Das ging so den ganzen Abend bis tief in die Nacht hinein. Und kurz vor Mitter nacht geschah das Unerwartete..."". Ungefähr um Mittemacht vom II. auf den 12. April fing das Gerüst auf dem unausgebauten Turm Feuer. Das trockene Gerüst, das im Sommer 1939 zur Restau rierung des Turmaufsatzes aufgestellt worden war und aus Mangel an Arbeits kräften nicht mehr ersetzt werden konnte, und das Dach des Tuimaufsatzes waren im Nu eine einzige hohe Feuersäule. Brennende Balken fallen auf die Dom bauhütte und setzen sie in Brand. In dem Fachwerkbau fand das Feuer reichlich Nahrung. Der Glockenstuhl begann zu brennen. Die Hal\)pummerin stürzte mit dem brennenden Gebälk herunter in das Innere der Kirche. Das monumentale „Wimpassinger Kreuz" in der Halle des Nordturmes hängend, verbrermt. Das Feuer greift in die Barbarakapelle über, wo Holzfaserplatten für eine provisorische Verschließung der Fenster gelagert sind. Das leicht brermbare Material entwickelt eine ungeheure Hitze, die allerschwerste Schäden an den Wänden und Skulpturen der Grabdenkmäler verursacht"". Damals verbraimte auch der in der Barbarakapelle befmdliche, 1854 errichtete Kaiser-FranzJosef-Votivaltar und die Säule der in Sicherheit gebrachten Dienstbotenmutter gottes zersprang. Das Feuer breitete sich aber nicht weiter in den Dom aus. Ko deischka versuchte, zuerst mit den vor handenen Feuerlöschern, dann mit dem restlichen Wasser aus den Bottichen den immer stärker werdenden Brandherd einzudämmen, rutschte aus und brach sich, wie später festgestellt wurde, zwei Rippen. Aufgrund der Schmerzen mußte er seine Versuche,das Feuer allein einzu dämmen, aufgeben. Resigniert schrieb er später nieder: ,dch bildetet mir damals ein, wenn ich nur zwei oder drei Helfer bei mir hätte, hätte vielleicht auch dieser Brandherd am Begiim sich nicht weiter ausgebreitet, wenn er im Keim erstickt worden >\äre. Aber was nützten in dieser hoffiumgslosen Situation solche Erwägun gen? Ich allein war völlig hilflos gegen eine solche Übermacht des sich immer mehr entwickelnden Naturelements. ... Ich mußte schließlich zusehen, wie von dem Gewölbetrichter zwischen Nordturm und Seitenschiff aus das dort entstandene imd nicht mehr bewältigte Feuer sich rasch weiter ausdehnte, ohne helfen zu können. Ich kann aber b^eugen, daß die ganze Zeit hindurch kein einziger Grariattreffer, schon gar nicht eine Brandbombe den Dom traf- entgegen der sonst oft gehörten Ansicht,die Deutschen hätten den Dom in Brand geschossen. Hätten die Menschen der Umgebung, die verängstigt hmter verrammelten Toren in die Keller geflüch tet waren, gewußt, daß sich in diesen Nachtstunden das Schicksal von St. Ste phan besiegelte, sie hätten wohl auch das Letzte gewagt"" Der Stephansplatz war von sengender Hitze erfüllt. Funkenflug bedrohte das Erzbischöfliche Palais und den daneben liegenden Zwettlerhof, so daß Kardinal Innitzer gezwungen war, ein Ersatzquar tier auf^suchen. Im Palais verblieb nur eine soi^jetische Torwache. Ab den Morgenstimden wurde Domku rat Kodeischka von der Inhaberin eines Papiergeschäftes auf dem Stephansplatz, Frau Gisela Hübsch, bei den Löscharbei ten unterstützt. Nach imd nach kamen weitere Helfer, Priester und Laien, unter anderen Pfarrer Karl Maurer aus WienSandleiten; er erzählt: „ ...durch das Tor des eizbischöflichen Palais hörte man Geschrei und Gegröle. Ein Blick hinein zeigt ein wüstes Durcheinander von Wa gen, Pferden, Plündergut und Besoffenen. Die Häuser rechts sind alle ausgebrannt. Der Schutt raucht noch. Die Luft ist voll Brandgeruch. Ich komme zum Dom. Was ist das?Da haben sie, scheint's, den Helm des Turmes weggeschossen, nein, mehr - der ganze Aufbau zeigt gälmende Leere! Und dahinter brennt es im Domdach... vielleicht kann ich helfen. So laufe ich zuerst ins Curhaus. Halb elfUhr ist es.Im Tor des Curhauses begegnet mir Domvi kar Lothar Kodeischlra. Im blauen Ar beitsanzug mit Helm, über und über voll Ruß und Schmutz, ganz erschöpft. ,3Cann ich helfen? Wo find ich deim die ande ren?" - „Weg - alle sind sie weg!"„Was heißt..?" Er zuckt zur Antwort nur müde mit den Schultern. Irgendwoher ist plötz lich eine Frau da...und eine zweite. Sie drängen Hw. Kodeischka, sich niederzu legen. „Geh, schau dich um, es ist nie mand da. Ich hab' gestern fast die ganze Nacht durchgelöscht! Eine Stelle brennt noch,die hab'ich nicht mehr derpackt"". Da aber alle Wasserleitungen zu die sem Zeitpunkt bereits unterbrochen wa ren, konnten die an schwer zugänglichen Stellen entstandenen Brandherde nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden. So breitete sich - trotz herabgesetzter Ent flammbarkeit des Gebälks infolge der durcl^eführten Imprägnierung aus dem Jahr 1940- der Brand,vom Dachteil beim Nordturm ausgehend, bei mäßigem Wind im Inneren des Daches gegen den süd lichen Heidenturm hin aus. Gegen 11 Uhr vormittags schlugen die Flammen zwi schen Hoch- und Nordturm aus der Dach haut heraus. Diese Situation gibt das bekarmte und einzige erhaltene Lichtbild wieder. Der Dachstuhl des Chores wurde zu letzt vom Feuer erfaßt. Gegen 13.00 Uhr sank der Dachreiter über dem Hochaltar zusammen, hi der Folge stürzten unter ^oßem Getöse Stück um Stück Teile des riesigen Dachstuhles aufdie Gewölbedekken. Ein Verweilen auf dem Dachboden war nicht mehr möglich. In den späten Vormittagsstunden des 12, April griff der Dachbrand auf das Glockenhaus der Pummerin im Hohen Turm über. Unge fähr um 14.30 Uhr zerschellte die größte Glocke Österreichs samt ihrem brermenden Glockenstuhl mit grauenhaftem Ge töse am großen Gewölbering der süd lichen Turmhalle. Ihre herabstürzenden Trümmer zerstörten das Türkenbe freiungsdenkmal. Der Hochschulseeisorger Dr. Karl Strobl war zu diesem Zeit punkt im Dom. Er hatte am Vormittag, gemeinsam mit Pfarrer Maurer, auf dem Dachboden die immer neuen Brandnester zu löschen versucht und kam, als oben kein Wasser mehr zur Verfügung war, in den Dom hinunter:,3w. Göbel, der sehr verfallen und traurig aussah, begegnete mir. ich fragte, was denn mit dem Gna denbild am Hochaltar geschehen sei,ob es noch da sei. Wir gingen zu zweit mit einer Hacke zum Hochaltar und arbeiteten das

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