Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

sprengt würden,wollte ich diese eventuell mögliche Wahnsinnstat unbedingt vereiteln. Eines Tages bemerkte ich, daß durch die infolge des Bombentreffers am 12. März entstandene große öfihung Männer einstiegen und längs des Haupt ganges der Katakomben ein Kabel legten, das dann weitergeleitet wurde durch die Verbindung zum Graben und wahrschein lich hin zur Hofburg - es mußten ja alle Keller der Häuser der Inneren Stadt zu den Nachbarhäusern begehbar durchbro chen werden. In der fast sicheren An nahme,daß dies bereits die Vorbereitung sei für eine beabsichtigte Sprengung des Domes, bereitete ich mir in einer Grab kammer der Katakomben auf ein paar Särgen eine Liegestatt vor, von wo aus ich durch einen bloß handbreiten Mauerspalt den Ausblick hatte über den ganzen Gang, so daß ich alles Geschehen dort gut überblicken konnte, ohne von auß^ bemerkt zu werden. Auch einige nicht verderbliche Lebensmittel, vor allem Knäckebrot und Traubenzucker , sowie Mineralwasser hatte ich mir dort „eingelagert", femer eine scharfe Beiß zange und eine kleine Weckeruhr, falls ich mich dort längere Zeit verstecken müßte.-Ich legte mir die ganze Aktion so zurecht; Wenn es wirklich zu dieser letz ten Verzweiflungstat kommen sollte, müßte ja eine ziemlich große Menge Dynamit hereinbefördert, mit Zündschnur verbunden und so alles vorbereitet wer den. Wenn diese dann angezündet würde, müßte der damit Beauftragte doch davon laufen, ich aber würde aus meinem Ver lies herauskriechen und mit der Zange diese Zündschnur abschneiden, so daß keine Explosion zustande kommen könnte. Ob dieser mein dilettantisch ausgedachter Plan wirklich von Erfolg gewesen wäre, bezweifle ich heute, aber damals wollte ich auf jeden Fall eine eventuelle Sprengung verhindern, um den Dom vor dieser Teufelstatzu retten. Es ist ja gottlob nicht dazu gekommen"". ,dm Laufe des 9. April treffen einige Granaten den Hohen Turm und den ersten Giebel neben dem Turm an der Südseite. In der Nacht räumen die deutschen Tmppen die Innere Stadt und ziehen sich vollständig in den 2. Bezirk zurück, nach dem alle Brücken über den Donaukanal, mit Ausnahme der Augartenbrücke, ge sprengt wurden. Die letzte Truppe der Wiener Feuerwehr wird abgezogen. In den frühen Morgenstimden des 10. April besetzen Vorhuten der Russen kampflos die Irmere Stadt. Aber am Donaukanal, bloß einige hundert Meter vom Dom entfemt, versteift sich die Front. Dies wird der Inneren Stadt und auch dem Dom zum Verhängnis"". Denn am Vormittag dieses Tages hiß ten Unbekannte an der Südseite des Ho hen Turmes, in etwa 120 m Höhe, eine weiße Fahne, wohl als Zeichen an die heranrückende russische Hauptarmee, daß die Innere Stadt bereits befreit sei und keine Bombardienmgen mehr vorgenom men werden müßten. Diese Fahne reizte aber offenbar den Kommandanten einer SS-Artillerieabteilimg, die im 21. Bezirk, bei Leopoldau in Stellung gegangen war, so sehr, daß er den Befehl gab, den Turm „umzulegen". Den Befehl erhielt der damalige Hauptmann und Kommandeur der Flakgruppe Groß-Jedlersdorf, Gerhard Klinkicht", aus Celle(Hannover)gebürtig ;er hatte den Stephansdom im Jahre 1930 als junger Pfadfmder zum ersten Mal gesehen und hatte damals die vielen Stufen bis hinauf zur Türmerstube des Hohen Turmes erklommen. - In seinen späteren Aufreichnungen über die Kampfhandlungen in Wien in den April tagen 1945 schildert er die dramatischen Vorgänge des 10. April 1945 aus seiner Sicht: „...In wenigen Tagen hatten die Russen vier Fünftel der Stadt Wien einge nommen.Die wenigen Barrikaden, die die russischen Panzer und Einheiten an ver schiedenen Plätzen noch hätten aufhalten sollen, wie am Karlsplatz imd Schwaizenbergplatz, wurden wie Spielzeug wegge schoben. Das also war noch von der Fe stung Wien, zu der Hitler diese Stadt erklärt hatte und als deren Kommandan ten und Verteidiger er den Generaloberst der Waffen-SS, Sepp Dietrich, eingesetzt halte, übrig geblieben. Auch dem einfach sten, militärisch nicht geschulten Men schen war es spätestensjetzt klar, daß der Krieg verloren und die sogenannte ,J'estung Wien"nichtzu halten war. Da geschah es, daß am 10. April be herzte Bürger der Stadt auf dem noch in den Himmel ragenden Turm des Ste phansdomes eine weiße Fahne als Zeichen der Kapitulation hißten. Wir selbst hatten davon keine Kenntnis und waren mit der Leitung der Kampf handlungen unserer eigenen Einheiten vollauf beschäftigt. Zur Befehlsübermitt lung hatte die SS-Division einen Funkwa gen zu meinem Gefechtsstand beordert, um auf diesem einzigen noch störrmgsfreien Weg Befehle - wohin Feuerunter stützung durch unsere Geschütze zu rich ten sei - erteilen zu können. Auf jeden Befehl,der Granatfeuer aufein Ziel in der Stadt vorsah, gab ich zu verstehen, daß wir unsere wenige Munition - obwohl wir noch ca. 20.000 Granaten in Reserve hatten - für Ziele auf Einheiten und Pan zer im freien Gelände dringlicher benöti gen würden. Daraufhin wurde mir sogar von der SS noch Munition herangeführt. Und nun geschah etwas schier Un glaubliches! - Ich befand mich gerade mit einigen Offizieren und Soldaten im Freien vor dem Kasino bei einer Lagebespre chung und Befehlsausgabe,als ein Melder des Funkwagens zu uns eilte und mir als Kommandeur einen Zettel mit einem Befehl überreichte. Ich las zuerst allein, dann laut den anwesenden Offizieren und Soldaten meines Stabes den Befehl vor. Er lautete:,Als Vergeltung für das Hissen der weißen Fahne auf dem Stephansdom ist der Dom mit einem Feuerschlag von 100 Granaten in Schutt und Asche zu legen, sollte das nicht ausreichen, ist bis zu seiner Zerstörung weiterzuschießen!" - Dies ist ein Augenblick im Leben eines Offiziers, wo er vor die Entscheidung gestellt wird, ob er einen solchen Befehl ausführen oder seine Durchführung ver weigern soll. Nach meinem Verständnis hat der militärische Gehorsam dort seine Grenze, wo Wissen, Gewissen und Ver antwortung der militärischen Führer die Ausführung eines Befehls verbieten, insbesondere dann,wenn es sich um einen verbrecherischen Befehl handelt! Was wir zuvor unseren Feinden vorgeworfen hal ten, in verbrecherischer Weise unsere Kulturdenkmäler durch Bombardements aus der Luft zu zerstören - siehe Dresden im Februar 1945 -, das sollte ich nun an einem der erhabensten Kulturdenkmäler des Abendlandes, das schon vielen An griffen aus dem Osten getrotzt hatte, vollbringen? Mein Entschluß war schnell gefaßt. Ich gab ihn den Anwesenden laut bekaimt: „Nein, dieser Befehl wird nicht ausgeführt!" und zerriß das Papier vor ihren Augen. Den Melder schickte ich zurück zu seinem Funkwagen und die Funkstelle zu ihrer Division mit dem Auftrag, zurückzumelden, daß der Befehl nicht ausgeführt wird. Umgehend informierte ich meine Bat teriechefs darüber, was soeben geschehen war imd daß ich es abgelehnt hatte, den oben genannten Befehl auszuführen. Ich befahl meinen Batteriechefs; „Sollte hinter meinem Rücken die SS sich an einen der Chefs wenden und von diesem die Durchführung der Zerstörung des Domes verlangen, so ist dies abzulehnen und notfalls mit Waffengewalt zu verhin dern - auf meine Verantwortung", fügte ich noch hinzu. Noch am selben Nachmit tag verlegten wir unseren Gefechtsstand in die Schießstände der Flakartillerie schule Stammersdorf, um nicht mehr erreichbarzu sein..."'». Soweit der Bericht von Hauptmann Klinkicht, der dadurch zum Retter des Stephansturmes wurde. Im April 1952, in den Tagen der feierlichen Domeröffnung, versicherte ihm Kardinal Innitzer eigen händig:,Jhr Name ist in den Annalen der Stephanskirche ehrenvoll verzeichnet, immer wieder werde ich auch darum gefragt und ich versäume nicht, davon zu berichten. Gott segne Sie immerdar für Ihre mutige,edle Tatim April 1945!"". Doch zurück in das Jalu 1945. An die sem 10. April wurde von Märmem der Österreichischen Widerstandsbewegung rechts vom Riesentor das Zeichen 05 angebracht, das heute noch an dieser Stelle zu sehen ist. An demselben Tag malten die russischen Besatzer mit einer Schablone ihr Kontrollzeichen neben das Primtor unter dem Hohen Turm, als Ge währ, daß der Dom kontrolliert und frei von deutschen Soldaten vorgefunden wurde. Auch dieses Zeichen ist, ziemlich verblaßt, noch heute zu sehen. Gegen 11 Uhr setzte stärkerer Artille riebeschuß ein. Der Hohe Turm erhielt mehrere Treffer und das Dach des Domes wurde an mehreren Stellen aufgerissen. Am nächsten Tag, dem 11. April wurde hart um den Übergang über den Donaukanal gekämpft. Da tauchte plötz lich die Nachricht auf, daß SS-Einheiten einen Rückstoß über die Augartenbrücke versucht hätten. In der darauffolgenden Verwirrung wurden Teile der russischen

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