Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

gang (neben der Kapistrankanzel) und Zwettlhof die Straßendecke und die Ge wölbe einer darunter liegenden, noch mit Särgen belegten großen Grabkammer, so daß halbvermoderte Särge und mensch liche Knochen durchwühlt und in weitem Umkreis zerstreut wurden. Die meisten aus dem 19. Jahrhundert stammenden Fenster des Domes wurden bei diesem Angriff zerstört..."" berichtete der dama lige Domkurat und spätere Dompfarrer Alois Penall über den Anfang vom Ende. Schwer beschädigt wurden damals auch die beiden größten Wasserleitungen des Domes. Heute karm man sagen, daß die eigentliche unselige Bedeutung dieser ersten Treffer, die dem Dom selbst keinen wirklichen Schaden zufügten, in der dadurch entstandenen Unterbrechung der Wasserversorgung des Domes an der Nord- und Ostseite lag, die infolge Man gels an Arbeitskräften und Material nicht mehr behoben werden konnte. In den oft meluere Stockwerke tiefen und durch mancherlei Gänge untereinan der verbundenen Kellern der Kirchen und Klöster der Inneren Stadt hatten sich viele Menschen aus den Außenbezirken, darun ter auch Verfolgte und Ausländer, zusanunengefunden. Nur wenige von ihnen wagten sich gelegentlic nach oben. Aus diesem Grund erlebten nur wenige Men schen den Brand des Domes aus nächster Nähe mit und auch sie sahen nur Bruch stücke im ständig wechselnden Ablaufdes Geschehens. Daher ist es schwierig, ein völlig klares Bild vom Verlauf der Kata strophe zu zeichnen. Die Geistlichkeit der Domkirche, un terstützt von freiwilligen Helfern, war im vollen Einsatz: das Luftschutzkommando aufdem Dachboden des Domes hatten die Domvikare Penall und Dr. Josef Streidt, der spätere Generalvikar und Weihbi schof, inne, für den unteren Teil der BCirche war Domkurat Lothar Kodeischka" zuständig, der am 1. Juli 1944 zum Sa kristeidirektor emarmt worden war und als solcher die volle Verantwortung für alles Geschehen in der Domkirche zu tragen hatte. Er nahm diese seine Funk tion sehr ernst und hat in der Folge in den entscheidenden Apriltagen des Jahres 1945, als der Dom zerstört wurde, diesen nie verlassen. So wurde er zum wichtig sten Zeugen des furchtbaren Geschehens, das ihn ^it seines Lebens nie mehr los gelassen hat. Erst Jahrzehnte später schrieb er, auf Drängen vieler, seine Erlebnisse nieder, mit der Auflage, daß diese erst nach seinem Tod veröffentlicht werden dürften. Heute, 50 Jahre danach, scheint ein würdiger Anlaß gegeben zu sein, um die bisher unveröffentlichten AufMichnungen des Domkuraten und späteren Prälaten und Kanzlers der Erz diözese Wien in ihren dramatischen Pas sagen wiederzugeben. ,3ei jedem Fliegerangriff war die er ste Sorge die Bergung des Allerheiligsten vom Wr. Neustädter Altar" - so Sa kristeidirektor Kodeischka - „das ich gleich in die Katakomben trug und in dem Tabernakel eines provisorisch aufgestell ten Altares in Sicherheit brachte. Wäh rend der Dauer der Gefahr betete ich für die vielen Menschen, die in der Meinung, der Dom bleibe vor Luftangriffen ver schont, jedesmal in die Katakomben strömten, einen Rosenkranz nach dem anderen vor Nach dem großen Angriff vom 12. März kamen bedeutend weniger Menschen, um Schutz bei den nun fast täglichen Luftalarmen zu finden, weil sie wußten, daß auch der Dom nicht ver schont bleiben würde.- Nach der Entwar nung und der Entfernung der Menschen massen erst konnte ich hinaufgehen und mußte das Ausmaß dieses ersten Angriffes feststellen. ... Ausdem Schutt grub ich die vorjährige Osterkerze aus und nahm sie mir mit als traurige Erinnerung in meine Wohnung"". Unter den Helferlimen befanden sich weiters die Töchter des im Erzbischöf lichen Palais wohnenden Finanzkam merdirektors Dr. Sigmund Guggenberger, Dr. Hildegard Holzer, M. Mariaime Scheibl IBMV u.a.m. Domvikar Hügel bediente die Wasserpumpen,ebenfalls mit dabei waren die Domkuraten Josef Göbel, Alois Ulek, Dr. Josef Velechovsky, sowie Domprediger, später Domkapellmeister Anton Wesely,u.a.m. Ungeachtet dessen verlief die Kar woche des Jahres 1945, abgesehen von den nachmittäglichen Trauermetten, in gewohnter, wenn auch eingeschränktaOrdnung. Am 1. April 1945, dem Ostersormtag, zelebrierte Kardinal Innitzer ein feierliches Osterhochamt, unter den Klän gen von Momarts Credomesse durch den Dommusikverein. Am darauffolgenden Ostermontag wurde die Kleine Orgel solomesse von Joseph Haydn aufgeführt,- sie sollte für lange Zeit das letzte Hoch amt in St. Stephan sein. Am nächsten Soimtag, dem 8. April 1945, war der Dom, infolge der andauernden Flieger alarme,zum erstenmal geschlossen. Als nun in den frühen Nachmittags stunden dieses 8. April die SS in langen Panzerkoloimen den Stadtkern Richtung Floridsdorf verließ, wurde sie von sowje tischen Jagdfliegern mit Bomben und Bordmunition verfolgt. Domkurat Penall berichtet; ,3ine Bombe trifft das Thonethaus(Ecke Rotenturmstraße-Brandstätte, vis-ä-vis dem Erzbischöflichen Palais) und setzt es in Brand, eine zweite fällt mitten auf die Straße in der Nähe der Südwestecke des Domes, eine dritte unmittelbar an den Fuß des südöstlichen Eckpfeilers des Hohen Turmes. Dompfar rer Msgr. Franz Geßl weilt eben auf sei nem Zimmer und wird durch Splitter fürchterlich verwundet. In kurzer Zeit brennen nicht bloß sämtliche Stockwerke des Thonethauses, der Brand greift auch auf das Haus Stephansplatz 8 (Feldapotheke) über. Ein Nordwestwind schüttet einen dichten Funkenregen über den Dom. Die Hydranten auf dem Ste phansplatz und in seiner nächsten Umge bung sind bereits ohne Wasser. Die Bom benwürfe vom 12. März und 8. April haben die Zuleitungen zerstört.,."'* - Auf den Dom strömte eine beträchtliche Hit zewelle zu. Die in Brand geratene Planke der Dombauhütte, wie auch das trockene Gerüst rund um das Glockenhaus des Nordturmes kormten noch eiimial gelöscht werden. Auch gefährdete der starke Fun kenflug durch das bereits zerstörte, unverglaste große Westfenster die große Orgel,deren Brand ebenfalls noch verhin dert werden koimle.- Aufdem Dachboden des Domes bekämpften die Domkuraten von St. Stephan, unterstützt von Mädchen und Frauen, sowie einigen Mäimem, die in den Kellern des Erzbischöflichen Palais und des Curhauses Zuflucht gefunden hatten, die immer wieder aufflackernden Glutnester und überwachten die angeschlagenen Dachstellen,ohne aufihre persönliche Gefährdung durch das andauernde Artilleriefeuer, das im Laufe des Nachmittags eingesetzt hatte, zu achten. Wie bedrohlich die Situation auf dem Dach zeitweise gewesen sein muß, beleuchtet wohl die Tatsache, daß Dom kurat Krawarik und ein auswärtiger Prie ster während eines Angriffes einander, wie auch den anwesenden Helfern die Generalabsolution erteilten. Mit alten Dachziegeln wurden von Domkurat Göbel mit Unterstützung einiger Helfer die Fensteröffhungen des durch den vom Brand des Thonethauses herrührenden Funkenflug besonders gefährdeten nörd lichen Heidenturmes geschlossen. Gegen 22.00 Uhr läßt der Funkenflug nach, auf dem Dach bleibt eine Brandwache zurück, die gegen 23.00 Uhr im Helm des Hohen Turmes, in ca. 117 m Höhe wieder Feueralarm gibt. ,J«Iiemand schläft in dieser Nacht auf den Zimmern. Man schläft auf Luftschutzbetten in den Kel lern. Und nun heißt es, mit vollen Wassereimem in diese Höhe hinauf.... Über der Stadt ist das Rattern einzelner Flug zeuge zu hören ;der südliche Himmel ist von zahlreichen Bränden in den Vororten schauerlich gerötet. Aber es gelang, auch an dieser Stelle den Brand zu löschen, bevor größerer Schaden entstand."". Unvergeßlich ist allen, die dabei waren, die Eimerkette vom Stock-im-Eisenplatz bis hin zum Dom. Als fast kein Wasser mehr vorhanden war, wurde auch Sand auf dieselbe Weise zum Brandort ge bracht. Am Abend dieses Tages waren die Luftschutzwasserreservoirs zwischen Dom und Singer-Haus leer. Zerstört waren auch die Verglasungen und Verschalungen aller Fenster. Von der Wiener Feuerwehr,die bereits am 6. April von den deutschen Behörden mitsamt allen ihren Geräten abgezogen worden war,kehrten zwei Löschfahrzeuge - entgegen dem Befehl - auf den Ste phansplatz zurück. Sie wollten in der Stunde der Gefahr ihren Dom nicht im Stich lassen"". Am Abend dieses Tages, nachdem sich alle Helfer in ihre Luftschutzkeller zu rückgezogen hatten, verschwand auch Kodeischka in seiner vorbereiteten neuen ,3ehausung", die er sich nach dem Bom benangriff des 12. März in den Katakom ben von St. Stephan zurechtgelegt hatte: ,J)a es immer gerüchteweise hieß, als letztes Bollwerk gegen den Feind würden der Stephansdom und die Hofburg vertei digt werden, bevor auch sie noch ge-

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