re hier die Absicht Gottes, welcher Sinn stünde hinter diesem furchtbaren Geschehen? Nicht immer erschließt sich uns auf Erden der Sinn von Leid und Weh, oft bleibt es uns dunkel und völlig unergründbar. Aber hier, angesichts der ragenden Ruine des Domes, ... müssen wir Einkehr in uns selberhdten. ... Der Dom in seiner Zerstörung ist die drän gende,mahnende Frage Gottes an uns, ob wir den Dom noch verdient haben? Ob wir überhaupt wert sind,ihnzu besitzen? Gewiß, ^e Wiener lieben den Dom, wie keine andere Stadt den ihren. Selbst im Rausch beim Heurigen singen sie noch von ihm. Und nach jedem Angriff war es bei vielen, ich weiß es, die erste Frage; Steht der Steffi noch?"' Und Dr. Hesse fragt dann, warum die Wiener ihren Dom geliebt haben und findet eine Reihe von Antworten: so zum Beispiel, weil der Dom schön ist und eine Stätte altehrwürdiger Geschichte,die„wie eine kunstvolle Klammer Mittelalter und Neuzeit vermählt". Aber der Dom war nicht nur eine Brücke zwischen den Men schen verschiedener Zeiten, er war auch eine Brücke zwischen Mensch und Gott. Und so stellt er - angesichts der Ruinen - die Frage in den Raum:,Aber haben die Wiener ihn deshalb geliebt? Haben sie die Gnade, die vom Dom als Urquell strömt und rauscht, in ihr Herz aufgenommen? ...Ist der Dom nicht lange, bevor er durch Brand zerstört wurde, in den Heizen zerstört gewesen? Hat die Tragödie der Stephanskirche nicht die Tragik vieler mit Gott zerfallener Herzen geoffenbart?"Und seine Folgerung lautet: ,3he wir darum den Dom nach außen wieder aufbauen, muß er in unseren Herzen gestaltet wer den!" In diesem Sinn wurde St. Stephan in der Folgezeit erneut steinerner Zeuge für die Kraft eines Volkes, die aus dem Glau ben erwächst, werm auch auf andere Weise als zur Zeit seiner Erbauung; so wurde St. Stephan ein kraftvolles Symbol für das Wiederauferstehen eines ganzen Volkes aus Hoflhungslosigkeit und irmerer und äußerer Zerstörung. IL Frühere Gefährdungen des Ste phansdomes St. Stephan als steinerner Zeuge des Unvergänglichen in einer Welt der Ver gänglichkeit hatte durch über 800 Jahre hinweg allen Widrigkeiten getrotzt: den häufigen Feuersbrünsten im mittelalter lichen Wien mit seinen Holzhäusern, nur durch enge Gassen getrennt; wir wissen von 2wei großen Stadtbränden, die im 13. Jahrhundert St. Stephan schwer beein trächtigten: am 7. August 1258 wurde die Kirche ,4uitsamt den Glocken" vernichtet und am 30, April 1276 zerstörte ein vom Scholtentor ausgehendes Feuer einen Großteil der mittelalterlichen Stadt, wobei auch die Stephanskirche abbrannte. Im Jahr 1449 wurde der erst 16 Jahre zuvor vollendete hohe Turm infolge eines Blitz schlages schwer beschädigt' War die erste Ttlrkenbelagerung im Jalir 1529 noch glimpflich vorübergegan gen, so wurde der Stephanslurm im Ver lauf der zweiten Türkenbelagerung im Jahre 1683 von mehr als 1000 Kanonen kugeln getroffen. Einige kann man heute noch eingemauert sehen. Das große Dach wurde damals so schwer beschädigt, daß man anfänglich die fehlenden Ziegel, mangels glasierter Stücke, durch rot ge färbte Zeitleinwand ersetzen mußte' Sechs Jahre, von 1810 bis 1816,dauer ten die Restaurierungsarbeiten am hohen Turm nach dessen Beschießung im Zuge der Franzosenkriege im Jahre 1809. Als Spätfolge mußte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die gesamte Helmpyramide des Stephansturmes abgetragen werden; der durch mehrere Jahre hindurch in den Himmel ragende „Stumpf des hohen Turmes beunruhigte die Wiener Bevölke rung sehr. „Wien schien ohne St. Stephanstuim nicht Wien zu sein" faßte der damalige Kardinal-Eizbischof von Wien, Joseph Othmar Rauscher, die Stimmung treffend zusammen* Rund 100 Jahre danach, in den letzten Kriegstagen des zweiten Weltkrieges, in dessen gesamten Verlaufin der Erzdiöze se Wien 15 Pfarrkirchen und 9 Kapellen vollständig zerstört, 31 Pfarrkirchen und 17 Kapellen schwer, 92 Pfarrkirchen und 25 Kapellen leicht beschädigt worden waren, wurde auch die ,Mutter aller Kirchen" des Landes, der Stephansdom, nicht mehr verschont von der Wut der Vernichtung'. QL Schutzmaßnahmen vor und während des Krieges Daß der Dom und vor allem das hochaufragende Dach, ein Wunderwerk gotischer Zimmermannskunst, besonders zu schützen sei, war auch fHlheren Gene rationen schon bewußt. Zum Beispiel berichtet der Wiener Domherr Testarello della Massa'im Jahre 1685 von folgenden Feuerschutzmaßnahmen: „Es befanden sich auf dem Dachboden 18 große kup ferne Kessel mit zusammen 293 Eimern (ä 56 Liter)und 4 Wannen mit zusammen 48 Eimern Wasser. Bei starken Gewittern mußten Zimmerleute und ,3auübergeher" aufdem Dach Bereitschaftsdienst leisten. - Aus dem 18. Jahrhundert berichtet der Curpriester Joseph Ogesser folgendes: ,Mau kaim den Dachstuhl billig ein ungeheures Werk nennen, indem nur die Hauptstämme allein eine Anzahl von 2889 ausmachen. Wegen dieses so häufigen Holzwerkes ist auf den traurigen Fall einer Feuersbrunst die beste Vorsehung gemacht. Es befinden sich daselbst eine Menge Wasser in großen Gefäßen; und Amper, Hacken, Feuerspritzen, Laternen sind in hinlänglicher Aiüahl vorhanden". Im Jahre 1897 wurden vier Rohrleitungen aufden Dachboden des Domes gelegt, die durch Dampfspritzen mit Hydranten am Stephansplatz verbimden waren. 1908 wurde bereits ein automatischer Feuer löscher installiert. Zu Beginn des Krieges, im Jahre 1939 wurden, obwohl damals niemand recht an einen Angriff auf Wien glauben mochte, als erste Schutzmaßnahme die alten Glas fenster des Chores herausgenommen und in den Katakomben deponiert. Während des Krieges, im Februar 1941, wurden Dachboden und Dachstuhl einer gründ lichen Reinigimg imterzogen, wobei 120000 kg Ruß,Staub und Schutt entfernt wurden. Danach wurde der gesamte Dachstuhl(60000 m^)mit einem damals viel bewahrten Flammenschutzmittel ,Jntravan N" imprägniert. Bewegliche Kimstwerke wurden in den Katakomben geborgen, infolge ihrer Größe ortsgebun dene Kunstdenkmäler, wie z.B. Kanzel und Friedrichsgrab, wurden durch Schutz bauten gesichert. So glaubte man für den Emstfall ausreichend gerüstetzu sein'. IV.Die Chronologie der Zerstörung Das Geschehen jener Apriltage des Jahres 1945 ist heute wohl weitgehend durchforscht und ausgeleuchtet; Augen zeugen des schrecklichen Geschehens haben niedergeschrieben, was sie erlebten und haben - über nackte Tatsachen und Zahlen hinaus -, ein wenig von dem angerührt, was die eigentliche Katastro phe der Zerstörung von St. Stephan sym bolisierte: die Vernichtung eines Symbols, nicht zuletzt des Widerstandes in der Zeit des Tausendjährigen Reiches, unaus löschlich eingeprägt in vielen Herzen; lebhaft in Erinnerung war jener Oktober abend des Jahres 1938 geblieben, als sich tausende junge Menschen in St. Stephan einfanden,um ihren Bischofzu hören. Unvergessen war wohl auch das im Jahr 1940, mitten in der dunklen Zeit des Krieges,l^gangene 600-Jalujubiläum der Weihe des Albertinischen Chores, die vom Passauer Weihbischof Albert am 23. April 1340 vorgenommen worden war: die uralte Opferstätte des Domes,Zeugnis des Glaubens der Väter und „nie erschöpfte Weisung an alle konunenden Geschlech ter, sich immer bewußt zu bleiben, daß nur von oben alle Kraft und aller Segen kommt..."' In dieser Stunde erstrahlte der Dom noch einmal in vollem Glänze in seiner Bestimmimg als Zelt Gottes auf Erden. Im Übrigen versuchte man allgemein, das gottesdienstliche Leben in der Dom kirche, ungeachtet verschiedener Behinde rungen, und trotz zunehmender Gefahr von Fliegerangriffen, so feierlich und würdig als möglich aufrechtzuerhalten. Während der Luftangriffe auf Wien, die im Herbst 1944 einsetzten, stand der Dom zwar oftmals im Kreuzfeuer der Flakturmbatterien vom Arenbergpark, von der Stiftskaseme und vom Augarten", erlitt aber nur verhältnismäßig geringe Schäden. Ab März 1945 mehrten sich die Bombenangriffe auf die Stadt, die Lage der Bevölkerung verschlechterte sich merklich. Einer der schwersten amerika nischen Fliegerangriffe erfolgte am 12. März. In mehreren Wellen wurden damals fast sämtliche Teile der Stadt angegriffen. Aus einer dichten Nebeldecke fielen bei der letzten Welle zalüreiche Bomben auf den ersten Bezirk. In unmittelbarer Nähe des Stephansdomes „fielen zwei schwere Bomben. Die eine schlug an der nordöst lichen Ecke der oberen Sakristei ein und brachte sie zum Einsturz. Eine zweite durclischlug zwischen Katakombenein-
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