Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Man darf jedoch davon ausgehen, daß die Not der letzten Kriegsjahre, die Bom bardierungen und Eva^ierungen der Groß- und Industriestädte unserer Diözese eine geordnete Familienseelsorge un terbanden. 3. Auf- und Ausbau der Famiiienpastoral nach dem Zweiten Weltkrieg Für das erste Nachkriegsjahr wird vom Referat "Familienseelsorge" des Seelsorge amtes kurz und bündig festgestellt: "Die Lage der Familien hat sich im großen aus physischen, materiellen, aus psychischen und moralischen Gründen vielfach sehr verschlechtert...." An der Basis hinderte der "Kampf »ims ta^iche Leben - das "Überleben" schlechthin - die Intensivlenmg seelsorg licher Bemühungen. Objektiverweise muß festgehalten wer den, daß die Bereitschaft hierzu wohl be stand; es herrschte eine Art "Aufbruchsstimmung"... Diözesane Gremien hingegen waren sich über den künftigen Weg der Familienpastoral in zwei wesentlichen Punkten uneins: Vorstände, Obmänner und geistliche Assistenten kirchennaher und kirchenfemer kath. Vereine hegten die legitime Hoff nung, nach den Jahren des Verbots ihre Arbeit in gewohnter Weise wieder aufoehmen zu köimen. Für sie zählten die in der NS-Zeit geschaflfenen Strukturen nur als "Behelfslösung", die eben im neuen Staat uberflüssig erscheinen... Ungeahnt schnell reagierte der Wiener Kardinal Dr. Innitzer klar und unmißver ständlich! In vielen persönlichen Gesprä chen legte er fest: Die Kirche werde sich in Hin kunft nicht parteipolitisch betätigen - sich aber auch nicht vereinnahmen lassen. Die während des Krieges ge schaffenen pastoralen Aktivitäten werden nicht nur weitergeführt,sondern den Erfor dernissen entsprechend ausgebaut. (Sollte deimoch der eine oder andere kath. Verein ein Eigenleben entwickeln, möge er sich als "Alt-" bezeichnen....!) Die offizielle Klarstellung findet sich bereits im Fastenhirtenbrief 1946. Dankbar stellt das Fämilienreferat des Seelsorgeam tes in einer Aktennotiz fest: "1/6 des Hir tenbriefes handelte über die Katholische Aktion und 5/6 über die Familie...." Dabei werden die Sätze über die FamiJicnse?!^ äöfge besonders hervorgehoben: "Es Wäre ja aifc Arbeit der Kafhoh'scbcn Aktion hinßJlig ohne das fundament der chrisfliehe/i ,PaniiUc'. Somit sei die »familiäre Ausrich tung der GeHamtaeclsorgc' ein besonderes Anliegen!" Daß Kardinal Dr. Innitzer von seinem neuen Konzept überzeugt war, bekundete sein engagiertes Eintreten zugunsten einer einheitlichen "Jugend der Kirche" für ganz Österreich. Manche Bischöfe Österreichs konnten sich mit der Etabiiening der alten Jugendverbände wohl anfreunden. Doch der Wiener Kardinal setzte sich auf der Österreichischen Bischofskonferenz durch und noch im gleichen Jahr (1946) wurde die "Katholische Jugend" gegründet. Dies ist deshalb wesentlich, weil damit der Weg für weitere überdiözesane Werke und Veibände geebnet war. Der zweite Streitpunkt konnte nicht so schnell gelöst werden. Hier mußten die charismatischen Denker die Zeit aibeiten lassen... Im wesentlichen ging es darum, daß sich Ehe und Familie nicht in die bis herigen naturständischen Strukturen ein ordnen ließ. Lapidar wird dieser Konflikt im Protokoll einer Sitzung im Seclsorgeamt festgehalten: "Der Stellvertretende Leiter des Seelsorgeamles(Anm.:FranzSteiner)und Prä lat Fried meinen:Es gebe in der KA keine Hauptstelle "Familie", weil die Aufgaben gebiete von den Ständen besorgt werden. Dem stellt Pater Scheidl die Formulie rung gegenüber: Familie ist mehr als bloße Addition von Vater, Mutter und Kinder. Familie ist eine durch das Sakrament der Ehe unterbautes, mystische und physische Einheit" Es gab vorerst keine Lösung.Erst Jahre später wird es zu einer Klärung kommen. Dennoch wird bei dieser Sitzung im Mai 1946 eine wichtige zukunftsorientierte Entscheidung festgehalten: "In der Familienseelsorge verbleiben alle Referate wie bisher. Die KA sieht die Aufgabengebiete der FamUienfürsorge,was bedeutet: die Herausstellung aller Fragen des Familienlebens in der katholischen Öffentlichkeit" Damit erscheint erstmals die in jeder Demokratie notwendige sachpolitische Meinungsbildung angesprochen und die Kompetenzhierfür der KAzugeordnet Interessant istjedoch ein weiteres Fak tum: Über Wunsch von Prälat Fried wird die Führung der Hauptstelle von Ehe und Familie Pater Scheidl übertragen. Pastorale Erfordernisse von Ehe und Familie und die für das Gedeihen von Ehe und Familie notwendigen sachpolitischen Vorausset zungen sollen nicht getrennt entwickeln. Wie verzahnt beide Aspekte sind, wird durch eine Entscheidung des Bischofs und eine Aktennotiz zuhanden des Bischofs dokumentiert: 1947 genehmigt Kardinal Dr. Innitzer die Errichtung einer "kirchlichen Bera tungsstelle", bei der die drei Diözcsanstellen Seelsorgcamt, Kath. Aktion und Caritas wöamiwnv/jfkef), Ein Jahr später weist das ^ecisorgeaint darauf hin< daß "die Bereitstellung kirch^ liehe/1 Bodens für Siedhmpiwecke be schleunigt werden muß. Diese Bereitstel lung kirchlichen Bodens muß zur I'Örderung des christlichen FamiJicnideals aus gewertet werden." Die letzte Forderung muß durchaus politisch verstanden werden. Kritiker mö gen bedenken: Die Erzdiözese Wien war weitgehend "russische Zone". Rund um Österreich etablierten sich 1948 die von der UdSSR gesteuerten "Volksdemokratien". 1949 sollten in Österreich Nationalratswahlen stattfinden. Viele Bürger bemängeilen den für sie zu lang samen Aufbau.... Die Kommunisten ihrer seits beschworen die durchaus mögliche "Linkskoalition" - versprachen raschen Wohlstand und sparten hierbei nicht mit oststaatiichen Vergleichen, deren wahre Geschichte wohlweislich unterschlagen wurde...In dieser Situation konnte sich die Kirche famüienpolitischen Aktivitäten nicht verschließen und suchte zudem nach "auswertbaren" Aktionen. (Im Rückblick ßUt die Geschichte ihr Urteil: Die Kirche war in diesen Tagen gut beraten, wenn sie für wenige Wochen "aktive Politik" betrieb. Durch das 1949 erfolgte Votum und der Unmöglichkeit einer Linkskoalition wurde Österreich vor einem leidvollen Weg be wahrt!) Zwei weitere zukunftsweisende Passa gen enthielt das eben zitierte Dokument; "Es genügt nicht, Siedlungen zu schaf fen und durch eine Siedlungsgenossen schaft die Bau- und Finanzprobleme weit gehend zu lösen, sondern Hand in Hand damit muß eine weitgehende Erziehung namentlich der jungen Generation zur Familienfreudigkeit einsetzen" Und "die Berücksichtigung aller dieser Aufgabenge biete wird von selbst in Österreich zu einer Familienbewegung führen, die wir notwendig haben zur Missionierung unse res Volkes!" Es darfangenommen werden,daß diese konkrete Forderung und die daraus abgeleitete Zukunflsvision der Strategie P. Scheidls 2mzuordnen ist Mit der ihm ei genen Zähigkeit und einer großen Portion "Bauemschläue" warb er an verschiedenen Stellen für seine Ideen. Sein Referat gestaltete die Weihnachts seelsorgertagung 1948 zum Thema "Famiiienpastoral". Elf Monate später wird im Seelsorgeamt schriftlich festgehalten: "Das große Echo der Weihnachtsseelsor gertagung, das intensive Bemühen des Familienreferenten, Pater Alois Scheidl - und das große Interesse des Kardinals Dr. Innitzer, dem vor allem die pastorale und soaale Absicherung der Famüie ein großes Anliegen war, führte am 18.11.1949 zur Gründung des Familienwerkes der Erzdi özese Wien. Im gleichen Jahr kontaklierte P.Scheidl die Diözesanfühxung der KI mit einer An regung, Ein Augenzeuge berichtet über dieses Gesp/äch: "FJ/i u/jÄCheinbäref, dlckficher Im schw.arzen, abgctrage= fletl Tfllär zeigte fUf die Ziele der KJ viel Versländni.s. Doch hielt er mit Kritik nicht zurück:Die KJ erziehezu mündigen Qiristen,zu verantwortungsbewußten Staatsbür gern usw.Daß diejungen Mcn.schcn einmal heiraten werden, Ehe fuhren und Familien gründen -davon ist in den Bildungszielen sehr wenig zu lesen...! Wenn nicht die KJ daraufhin ausbildet,wer wird es sonst tun?" Dem Ärger über die "Kopfwäsche" folgte eine wohlwollende,wenn auch noch 22

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=