Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

1934 wird in der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien die "Hauptstelle Ehe und Familie" vorgesehen und im März 1935 offiziell installiert Die religiöse Be treuung oblag Pater Dr. Schmitz SVD. Gleichzeitig erfolgte die Abgrenzung der Arbeitsgebiete zwischen der neugeschaffenen Hauptstelle und dem "Jos^swerk der Familienßrsorge". Letz terem werden folgende Vereinsziele zuge ordnet: Hilfe bei Eheschließung (z.B. Beschaffung derDokumente) Eheberatung (Eheschwierigkeiten, Ehekonflikte) Familienhilfen (Beseitigung von Mißverständnissen, Verhindemng übereil ter Scheidungen, Betreuung gefährdeter Ehen) Allerdings werden auch neue Aufga benstellungen benannt: Familienkulturpflegc (als religiöse Komponente...) Familie und Kirche(begleitende Seel sorge,Einkehrtage und Exerzitien usw.) Heranbildung von Mitarbeitern in der Familienseelsorge Einrichtung von Beratungsstellen. Erstmals werden neben den "ehesanicrenden" ausgesprochen pastorale (ehebegleitende)Ziele angeführt. b)Die soziale und politische Kompo nente Die Wirmisse der Zwischenkriegszeit und die hohe Arbeitslosigkeit bedrohte die Existenz vieler Ehen und Familien. Die Scheidungszahl erreichte ungeahnte Höhen; junge Paare lehnten Kinder ab,die Zahl der Abtreibungen nahm rapide zu... Am schwersten betroffen waren die kinder reichen Familien. Zudem vereinnahmten die Parteien familienpolitische Ziele für ihre Interessen. Statt notleidenden Familien ef fektiv zu helfen, erörtert z.B. 1934 die große Tagung über "Familie in Volk und Staat" die Bestrebungen, die "Familie in den ständisch geordneten Staat einzuglie dern..." Es mögen die vielen, in den Großstäd ten fast flächendeckenden Notmaßnahmen - Ausspeisungs- und Bekleidungspro gramme - caritativer Einrichtungen nicht raindergeachtet werden. Sie konnten die Wurzel des Übels nicht erreichen. Erste Schritte zur Selbsthilfe sind zwar erkenn bar: 1935 lädt der "Josefeverein für Fami lienhilfe" zur Vorsorge ein, um der wirt schaftlichen Bedrängnis kinderreicher Familien zu steuern. Durch Gewährung von Geburtenzuschüssen, durch Schaffung von Erlebenskapital und durch Hinterbliebe nenhilfe soll plötzlich auftretenden Schicksalsschlägen entgegengetreten wer den. Doch die, die es betraf, werden die monatlichen Prämien wohl kaum aufge bracht haben... Zwar werden visionäre Ideen geboren, doch die politisch Verantwortlichen wollten oder konnten die Anliegen nicht verstehen oder in die Praxis umsetzen. Die Schaffung von "Ausgleichskassen" für kinderreidie Familien wird beraten. Selbst katholische Stellen verstehen das Anliegen nidit und lehnen diesen Vorschlag mndweg ab. Darüber reflektiert das "Zwei-Gro schenblatt" in seiner Ausgabe vom 16.Fe bruar 1936: "Daß man verdiente Männer, die sich aus edlen Absichten den Arbeiten des Familienschutzes unterzogen haben, mit Spott behandelt, sie - wie auch in christ lichen Zeitungen geschah - der Lächer lichkeit preisgibt, das schreit rnim Him mel.... Für die kinderreichen Familien muß etwas geschehen, das fühlen wir alle! Wir können diese Väter und Mütter nicht der Verzweiflung anheimfallen lassen.Wer ihre Not nicht keimt, wer ihre Hilferufe nicht hört, wer ihrer Kinder bleiche Gesichter nicht sieht,der lebt aufdem Monde oben..." Eine grundlegende Ändemng der Familienpolitik blieb aus. Die Kirche leistete in und durch ihre Pfarren caritative Hüfe, rief mehrmalszu erhöhter Spendenfreudig keit für Kinder und notleidende Familien auf. Die FamUienpastoral beschränkte sich jedoch auf den pflichtmäßigen Brautunter richt. Obwohl ein umfassender Arbeitskatalog aller zu behandelnden Problemkreise vorlag (einschließlich ausgesprochen medizinischer Fragen), er gab eine von der Hauptstelle "Ehe und Familie" durchgeführte Umfrage, daß die Wiener Pfarrer für ihren Brautunterriehl ei nen Zeitraum von 1/4 Stunde bis zu 5 Stunden vorsahen. Die Mehrheit nannte eine Stunde als ausreichend. In diesen 60 Minuten mußten alle staatlichen und kirchlichen Erfordernisse erhoben und pro tokolliert werden... 2.1938 bis 1945 Eistaunlich schnell reagierte Kardinal Dr. Innitzer auf die neue politische Situa tion. Kluge Ratgeber - vornehmlich Prälat Dr. Karl Rudolf-schufen rasch neue und effektive Strukturen. Zwar wurde das "Josefswerk" im Dezember 1938 von den Behörden "als nicht mehr opportun" aufge hoben. Doch alle Fragen um Ehe und Fa milie im Bereich unserer Erzdiözese wur den vom neugeschaffenen "Familienreferat" des Wiener Seelsorgeamtes wahrgenommen,zu dessen Leiter P. Dr. Peter Schmitz SVD (SL Gabriel bei Mödling) bestellt wurde. In einem Expos6 für eine geplante Familientagung, die er dem Seelsorgeamt zur Be gutachtung vorlegte, umreißt er am 20 6. 1936 erstaunlich offen die pastorale Situa tion: "Ich habe die Theorie über die Familie miteinbezogen, weil sie den meisten Prie stern nicht geläufig sein dürfte!" Geradezu prophetisch sind jedoch die folgenden Passagen zu nennen,die sidi mit der künftigen Orientierung der Familienaibeit befaßt; Die Familie finde Heimat in der Pfarre. Jede Einzelfamilie erfahre Heili gung,da das Ehesakrament auch ein Fami liensakrament sei. Die Familie als Hauskirche. Die hl. Ehe und Familie ist Keimzelle der Pfarrei und des Gottesrei ches. Klar wird auch die Diskrepanzzur bis herigen Naturständepastoral herausgearbei tet:"Es mögen sidi organische Zusammen hänge und Wechselwirkungen zwischen Natuxständen und Familien entwickeln." Kardinal Dr. Innitzer unterstützte sehr intensiv all jene Institutionen, die noch nicht von den Behörden verboten waren. Die Eheanbahnung im Sinne der katholi schen Kirche wird ebenso gefördert, "weil kein anderes Institut auf katholischer Seite" arbeitet - wie die Zeitschrift "Familienglück", die im Neuland-Verlag (Pasing bei München) erschien. Solche Hinweise ermunterten jedoch die Machtha ber, noch vorhandene "Lücken der Pres sion" ehebaldigstzu schließen.... Um so erfreulicher-und scheinbar un behelligt-entwickelten sich die pastoralen Hilfestellungen des "Familienreferates" für die pfarrliche Arbeit. Erklärtes Ziel: Ver besserung und Vertiefung derEhevorberei tung.Wie behutsam und zugleich diploma tisch P. Dr. Schmitz SVD hierbei innerkirchlichen Schwierigkeiten begegnen mußte, wird in einem Gesprächspapier of fenkundig, das er für die Wiener Dechantenkonferenz vom 12. 9. 1940 vorbereitete; "Die Leitung eines solchen Ehevorbereitungskurses wäre wohl Aufgabe des Pfar rers selbst..."; doch "Manche Pfarrer leiden durch ihre Ausbildung, die ihnen das 6. Gebot nur von der negativen Seite her vor führte und ihnen nichts gab vom Positiven her, von dem Mysterium der Liebe, die eingebaut ist in die übernatürliche Liebe...." Deshalb erklärte sich Pater Schmitz bereit, in Dekanaten in zwangloser Art eine Ein führung in die Theologie der Ehezu geben. Noch im Jahr 1940 fanden Ehevorbereitungskurse in ausgewählten Pfarren statt, deren Durchführung nur durch "Mundfunk" angekündigt wurde. Wie vorsichtig man damals sein mußte, bezeugt das Protokoll einer späteren Dechantenkonferenz, das ausdrücklich vermerkt: "Ein Pfarrer habe leider schrift lich zu den Ehevorbereitungskursen ein geladen..." Der plötzliche Tod von Pater Dr. Schmitz (25. 2. 1941) beendete sein segensreiches Wirken. An seine Stelle wurde der Pfarrer von Kaisermühlen, GR Pater Aloys Scheidl SDS berufen. Noch im gleichen Jahr wird von Besinnungsstunden für Brautleute und junge Ehepaare in eini gen Wiener Pfarren berichtet Zudem faßt 1943 der Priesterkreis "Familienseelsorge" die Hauptwünsche der Heibstpastoralkonferenz 1942 in zwei programmatischen Forderungen zusammen: Stärkere Betonung der entfernteren Vorbereitung aufdie Ehe. Ausrichten der gesamten Pfairseelsoige auf"Familie". 21

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