Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Gasmaschine und durch irgendeinen Rauchfang gehen muß.Es kann ja sein,daß das das letzte Stadium ist. Aber es muß nicht sein. Vor dem Tod, meine Freunde, gibt es ja noch ein anderes Zeugnis! Wir alle zusammen haben Jesus dem Fleische nach nicht gesehen. Auch Stephanus hat ihn nicht gesehen.Es ist keine Rede davon, daß diese sieben Männer,die da ausgewählt wurden,mit ihm gezogen sein müßten. Ein Apostelja-als Matthias als Ersatzmann für Judas gewählt wurde, haben die anderen gesagt,es müßtejemand sein, der von An fang an dabei war,der das alles mitgesehen und mitgehört hat über Jesus von Nazareth und der ihn auch nach seinem Tode als Le benden geschaut hat. Aber von diesen Sie ben hat vielleicht kein einziger Jesus per sönlich gekannt. Aber er hat trotaJem Zeugnis abgelegt. Was heißt das, Zeugnis? Er hat den Glauben mit dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit, er hat den Glauben mit dem Einsatz seines ganzen Lebens vor den Menschen dokumentiert! Meine Freunde,durch wen arbeilet Gott, durch wen ist er tätig, durch wen evangelisiert er, durch wen wül er die Menschen zu sich ziehen, durch wen will er die Men schen für sich gewinnen? Wo wird das Wort der Liebe gesprochen, das Wort der Einladung? Kirche ist ja nichts anderes als die große Einladung. Ihr Auftrag ist einzu laden,hinauszugehen an die Kreuzwege,an die Zäune,an die staubigen Straßen, um die Leute, die nichts sind, aufzulesen, die Bö sen aufeulesen wie die Guten - alle sind ja schließlich Sünder! Nun, dieses Zeugnis hat Stephanus als erster abgelegt. Er hat der Gemeinde ge dient und er hat seinem Volk gedient nach dem Jesuswon: "Der Menschensohn ist nicht gekommen,sich bedienen zu lassen." Das Eingehen Mauers auf immer neue Probleme formt seine Rhetorik aus. Man könnte sein Ziel so umschreiben: Es kommt daraufan,einem destruktiven Menschen- und Weltbild ein Gottesbild entgegenzusetzen, das die Freiheit des Menschen auch in der größten Selbstver fehlung aufdeckt und seine Würde wieder herstellt. Das ist freilich kein Gottesbild mehr,das Gott in Weltfeme thronen läßt, sondern ein Begreiflichmachen der Suche Gottes nach dem gefährdeten Menschen. Und "Wiederherstellung der Würde" kann auch nicht das Beschwören einer unveränderli chen menschlichen Grundgegebenheit sein, .sondern hat die Gestalt einer beschwören den Anrede, die den selbstverfangenen Menschen aus Passivität zu einer entdekkenden und befreienden Tätigkeit mitneh men will. Also ist die Gestalt dieser Rheto rik selbst ein Ausdruck ihres Zieles, das gesprochene Wort selbst ein prophetischer Akt, der eine neue Sicht der WirWichkeit vorbereitet, ist Übergang "vom alten zum neuen Äon". Man könnte die Grundfigur der mittel alterlichen Quaestio der Rede Mauers unterlegen. Die Aufbereitung des theolo gischen Stoffes geschah ja in einem ver kürzten und formalisierlen Diskussionsmo dell,etwa bei Thomas von Aquin. Erstens wird das Problem genannt, zweitens kommen die Gegner, die Adversarii einer Lehrmeinung,zu Wort, drit tens wird der Lehrsatz argumcntativ entfal tet, viertens werden die Gegner Zug um Zug widerlegt. Dieses Vorgehen der Schultheologie schimmert in den Reden Mauers durch,obwohl sie durch einen äu ßerst freien Umgang mit den rhetorischen Mitteln gekennzeichnet ist und die Zuhörer durch ein scheinbar freies Assoziieren mit gerissen hat - aber schließlich dadurch verblüfft, daß sie mit einem zwingenden Redeschluß endet. Wer sind die Gegner, die Adversarii? - Mauer hat kein Feindbild, sehr wohl aber ein Grundsyndrom, das er Zeit seines Le bens beschreibt und herausfordert: Es ist erstens der "Titanismus", die Selbsterhö hung des Menschen, der besondere für den frühen Mauer,der in der Zeit der totalitären Systeme aufwächst,eine Rolle spielt. Zweitens die "Gnosis", die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg eine Chiffre für die Selbstgenügsamkeit des Menschen in einer undurchschaubaren, labyrinthi schen Situation ist, deren Ausgänge durch den Konsum verstopft sind. Zwanghafte Selbstüberschätzung und depressive Verzweiflung sind zwei Grund haltungen, die es anzusprechen und auf^- lösen gilt. Wie geschieht dieses Anspre chen? Erstens durch emphatisches Behaupten der Tradition. Zweitens durch "ausufernde Konfrontation" mit den gegenläufigen Hal tungen,die eine Konfrontation mit dem in terpretierten Glaubenssatz ist. Drittens durch eine "überbietende Neuformuliemng"des Glaubenssatzes. Zum Beispiel: 1."Wenn er redet vom Sohn des Men schen, dann ist das nicht Verdemütigung gegen die Überheblichkeit des Menschen. ... Vielmehr ist es ein glühender und flam mender Aufruf, der hinweist auf Unerhör tes. ... Es ist die Aussage seiner messianischen Würde, seiner Übermenschlichkeit und jenseitigen Größe" (Menschensohn). Mauer beginnt also nicht mit der Feststel lung eines theologischen Salzes, sondern sofort mit der Abwehr einer engen Inter pretation und dem Bestehen auf einer er weiterten Sicht. Auch die geläufigsten theologischen Sätze und Grundaussagen werden konfrontativ dargestellt, und nicht als Petrefakte. Es ist eine Theologie im Werden,im Prozeß,in die der Zuhörer von Anfang an hineinge-stellt wird. Daher nenne ich diese Anfänge "emphatisches Behaup ten der Tradition". 2. "Der erste Menschensohn ist hin durchgegangen durch das Gericht, ist ein Entblößter, Geschlagener, ein Unglückli cher. Hier beginnt die Geschichte des Men schen, der Auftrieb gegen seine Verfallen heit, die verzweifelte Hoffriung gegen das Abgleiten ins Bodenlose. Es ist die Auf bäumung aller Lebenskräfte gegen das lau ernde, langsam alles austrinkende und allereäufende Nichts.- Hier beginnt die Ge schichte des Menschen, der geboren ist aus der Finsternis, gezeugt aus der Empörung, entsprungen aus dem Tod" (Menschensohn). Nun ist das mehr als die Anreicherung eines Grundtexies oder ein Spiel mit den Redundanzen. Vielmehr gelingt es Mauer, von einem einmal gesicherten Satz ausge hend, die Wirkmö^ichkeiten dieses Satzes auszuloten (und den Zuhörern eine Pause zu geben). In diesen Redefiguren geht die Rede nicht aufihr Ziel weiter,sondern um kreist ihren Gegenstand. Die "Welt" in ih ren vielfachen Verfallsmöglichkeiten kommt in den Blick, aber auch der Zu spruch des Heils in seinen vielfaltigen Möglichkeiten der Verwandlung dieser Welt in das Reich Gottes. Also dient diese "ausufernde Konfrontation" der Vermitt lung der Fülle. 3. "Noch leidet der Mensch auf dieser Erde. Noch wird sein Herz durchbohrt von tausend Schwertern. Noch ist er ein Wurm, vernichtet im Staub. Aberschon ist im Ge heimen sein Haupt durch die Wolken ge stoßen ..."(Menschensohn). Das ist eine typische, bekenntnishafte Überbietung des Ausgangssatzes. Ich meine, daß in der Rhetorik Mauers zwei Stmkturen durchdringen: Die lehrhafte der scholastischen bzw. neuscholastischen Me thode (die Struktur der "Qaestionen") und die Gebetsstruktur der Väterhomilien und der Psalmen, wobei letzteres stilbestim mend ist, die erste Strukturjedoch dem Be dürfnis nach theologischer Bildung entge genkommt. Die Dominanz der Gebets struktur ist auch ein Hinweis auf die starke Kontinuität im Werk Mauere. Anmerkungen: ^) Die folgende knappe Daretellung ist dem Werk "Otto Mauer. Das geschundene Reich Gottes. Theologische Reden. Hrsg. und komm,von Werner Reiss, Wien 1993" entnommen. ^)Christentum muß doch etwas Kreati ves sein, 7. Oktober 1972, in: Sammlung Otto Mauer,Wien 1983,11. Vorschau: Das Augustheft der "Beiträge" wird zum "Jahr der Familie" dem Thema Familie gewidmet sein. Beiträge werden herzlich an die Redaktion erbeten. Wiener Diözesanblatt: Inhaber: Erzdiözese Wien (Alleininhaber). Herausgeber: Erzb. Ordinariat. Redaktion: Diözesanarchiv Wien (Dr. Johann Weißensteiner). .Satz: Diöze.sanarchiv Wien. Alle: 1010 Wien, Wollzeile 2. - Hersteller: Herold Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H.,1030 Wien,Faradaygasse 6. - Das"Wiener Diözesanblatt" ist das offizieUe Amtsblatt der Erzdiözese Wien. 16

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