Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Kleine Predigtgeschichte im Kontext von Kirchenstruktur und Gesellschaft Von Ewald Huscava Die Geschichte der Predigt läßt sich als eine Geschichte der Prediger darstellen, was den Rahmen dieses Artikels sprengen würde und obendrein schon geschehen ist^ Wir werden versuchen die Predigt in ihrem Kontext darzustellen; d.h. sie im Kraftfeld kirchlicher und gesellschaftlicher Zu sammenhänge sichtbar zu machen. Die Predigt kann als Indikator dieses Ineinanderwirkens verwendet werden. Um's Jahr 100: die Gemeinden haben zu Organisationsformen gefunden Um das Jahr 100 haben sich bereits in den Großstädten der ganzen damaligen Welt kleine Christengemeinden gebildet, die einerseits in der Bugwelle des interna tionalen Judentums mitschwammen, und andererseits in der damalig pluralistischen Antike parallel zu den Mysterienkulten ihre Mitglieder rekmtierten. Diese Gemeinden hatten verschiedene Organisationsformen. Die Christen der damaligen Zeit gehör ten bereits der dritten Generation an, und die apostolischen Autoritäten waren rar geworden. Zunehmend tritt eine EntEschatologiserung ein; bei Paulus z.B. ha ben wir noch sehr stark das Element vertre ten, daß der Herr bald kommen werde, und dasEnde der Welt nahegerückt ist, was sei ner Verkündigung besondere Brisanz ver lieh. Parallel dazu entkoppelte sich das Christentum vom jüdischen ganzheitlichen Lebensdenken und trat mit dem damalig geläufigen Denkfiguren der (1) Stoa und dem (2) Piatonismus in vittden Kontakt. Aus derjüdischen Wurzel heraus wurde das Christentum ins Hellenistische "übersetzt". Erste Transfonnierung des Christen tums hinein in die Sprache und das Den ken der hellenistischen Welt Schwerpunkt der Stoa war der Grund gedanke des organisch gefügten Kosmos, in den sich der Mensch seinerseits einfügen solle. Dem platonisierten Denken ist die Metapher des geistigen "Aufstieges" von den Anschauungen der Dinge zu den viel wesentlicheren Ideen zu Eigen. Das Chri stentum wird somit zu einer Lehre, in der die großen Ereignisse des Ursprunges bewahrt werden sollen. Die Geisteserfahmng, die den Menschen "packt", rückt in die Feme der Vergangenheit. Das dem stoischen Denken zuzurechnendegeordnete Leben rückt in den Vordergmnd. Wer nun Christ werden will, wird in diese Lehre hineingeführt und muß auch lernen, sein Leben vor Gottes Angesicht zu ordnen. Es kommt zur Ausbildung des Katechumenates, bei dem die Taufwerberinnen in Katechesen vorbereitet wurden. Bei den Gottesdiensten durften die Katechumenen noch die Predigt hören und mußten nach den Fürbitten die Kirche nach der Auffordemng des Diakons verlassen. Diese Katechesen wurden von Episkopen, Presbytern, Diakonen und auch von Lehrern übernommen,die ihrerseits sehr oft in Bildungsnotstand waren. Es zeigt sich, daß ein großer Mangel an qualifizierter Umsetzung des Glaubens in die hellenistische Welt bestand. Bei Origines (ca. 185-250)^, einem der ersten Theologen der Kirche, der zuerst ein sol cher Lehrer gewesen war, und dann zum Priester geweiht worden ist, wurden die Predigten auf Auftrag von Bischöfen mit stenographiert und anschließend vervielfältigt^ Bei ihm finden wir den Typus von Predigt, der auch das ganze Mittelalter be stimmen wird. Aus dem Evangelium oder derLesung wird ein Satz herausgenommen, der mehr oder weniger ohne Rücksicht auf den weiteren Kontext ausgelegt wird. Hintergmnd dieser Vorgangsweise ist die Vorstellung der Verbalinspiration der Bibel, bei der das Wort gewissermaßen ge frorener Geist ist, der aber vom Geistbe gabten wieder entbunden werden kann*', wobei in allegorisierender Weise histori sche Vorgänge der Vergangenheit als in nere Vorgänge der Seele angesehen wer den. Dir wird - mit platonisierendem Denkkontext - ein Aufstieg bis zu den höchsten Tugenden ermöglicht^. Wahre Gotteserkenntnis ist bei Origines nicht ein bloß intellektueller Vorgang, sondern mit entsprechender Lebenspraxis verbunden. Parallel zu diesen intellektuell hoch stehenden Umsetzungen entwickelte sich in der Verkündigung eine Subkultur, die der Volksfrömmigkeit näher stand, und als die Apokryphen in die Theologiegeschichte eingegangen sind. Es sind narrativ ausge richtete Erzählungen über Kindheit Jesus, Lebensbegebnisse, Gespräche der Apostel mit dem Auferstandenen, sowie Wunder volle Biographien der Apostel. Die Wir kung der Apokryphen ist in keiner Weise zu unterschätzen, da sie durch ihren narrativen Gehalt und der damit verbundenen Einprägsamkeit für breite Schichten leichter zugänglich waren, als spekulative Theolo gie®. Wir stehen vor dem Problem, daß für die Geschichte der Predigt in dieser Zeit hauptsächlich nur qualitativ und spekulativ hochwertige Predigten zur Verfügung stehen. Zunehmend begann der römische Staat von den Eindringlingen Notiz zu nehmen und durch die Weigemng der Christen, am offiziellen Kaiserkult teilzunehmen, setzte eine Abwehrreaktion ein, die in immer wiederkehrenden Verfolgungen Ausdruck fanden. Die Prozesse, d.h. die Befragung, die Verurteilung und auch die Hinrichtung f^den nach der damaligen Sitte in der Öffentlichkeit statt und sorgten neben dem damit verbundenen Spektakel für Verwunderung und Nachdenklichkeit. Diese Märtyrerinnen waren eine starke Ar gumentationsbasis in der Verkündigung; wenn Menschen ihr Leben einsetzen, dann muß doch etwas dran sein. Die Gründe fiir den Zuwachs der Chris tenschar in der Supermacht "Römisches Reich" dürfen wir somit in folgenden Gründen sehen: (1) Die Taufe war ein Eintritt in eine Gemeinde, die überschaubar war, und (2) den Zugang zu einem sozialen Gefleht ermöglichte, der ähnlich einem Familien clan war, die Taufe ermöglichte ein "Jetzt" in der Lebensbiographie. (3) Das Chri stentum koppelte sich an den damaligen Weltanschauungen an und ermöglichte ein Kontinuura in der Lebensbiographie'; da bei war für jeden Bildungsgrad geeignetes Lebensdeutungswissen vorhanden.(4)Das öffentliche Martyrium mancher Christen. Die damalige Predigttätigkeit war im verborgenen Rahmen der Gemeinde veror tet und hatte als Gegenüber die Katechu menen und die bereits Getauften. Übergang zur Mehrhcitskirche: endlich anerkannt, um den Preis staatstragend zu werden Im vierten Jahrhundert wurde das Chri stentum offiziell anerkannt und trat deshalb auch in das politische Kräftespiel ein; eine Trermung Politik und Religion war damals undenkbar. Die Episkopen wurden nun eherzu dem,was wir heute unter Bischöfen verstehen. Sie wurden zu Größen des of fiziellen Lebens und standen im Rang von hohen Staatsbeamten. Damit änderte sich der Stellenwert des Christentums; aber es war immer noch die Entscheidung eines Erwachsenen, durch die Taufe Christ zu werden. Die Gemeinden boten noch immer ein soziales Netzwerk, aber es stellte sich zunehmend eine Professionaiisierung ein. Bemerkbar war aber immer noch der Man gel an "hellen Köpfen", die besonders in den Auseinandersetzungen mit den sog. Häresien den Überblick bewahrten. Einer der Sterne war Aurelius Augu stinus(+ 430)®, dessen Predigten ebcnfaUs mitgeschrieben worden sind, und vielen weniger begabten Bischöfen und Priestern als Predigtvorlage und Richtungsweisung dienten, denn Priesterausbildung im heu tigen Sinne gab es nicht; es wurden viri probati für diese Aufgaben herangezogen. Augustins Traktat de doctrina christiana (abgeschi.426)über die christliche Rheto rik hat die abendländische Predigtge schichte zutiefst mitgeprägt. Zu seiner Zeit trat das Christentum dominant in die Öf fentlichkeit; hatte bisher das öffentliche Leben hauptsächlich am forum stattge funden, dem großen Platz mit den Tem peln, Marktanlagen, öffentlichen Gebäuden und der Rednertribüne,gewann das, was in den Kirchen geschah und gepredigt wurde, zunehmend an Öffentlichkeit, sodaß eine Predigt politisches Gewicht bekam, und nicht mehr nur auf die Auferbauung der Gemeinde konzentriert war. Weiters wurde der Zustrom zur Kirche immer größer, sodaß man zunehmend Probleme mit Qualität der Einführung in den Glauben

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