Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

verfolgen können". Von den Missionaren wird verlangt, „ihre wissenschaftliche Ausbildung soll sowohl der Universalität der Kir che wie auch der Andersartigkeit der Völker Rechnung tragen ... Wer zu ei nem anderen Volk zieht, muß dessen Erbe, Sprache und Brauchtum hoch achten. Vor allem soll der zukünftige Missionar sich mit dem Studium der Missionswissenschaft befassen". (Nr. 26) Von dem für die Praxis der Inkultu ration besonders wichtigen Bereich der Religionen handelt die „Erklärung über die nichlchristlichen Religionen" („Nostra Aetate", 1965), in der den Religionen gi-oße Bedeutung als Dia logpartner der Christen zugestanden wii'd. Die Anregungen und Aufträge des Konzils fanden in den Ortskirchen der außereuropäischen Kontinente begei sterte Aufnahme. Pastoral- und So zialinstitute auf nationaler und über nationaler Ebene befassen sich mit konkreten Inkulturationsvorgängen, wissenschaftliche Institute erforschen die für die Christen relevanten Ele mente der Kultui-en, in Dialogzentren vollzieht sich die Begegnung mit den Religionen. Die Ergebnisse dieser Vor gänge sind allerdings öfters kontro vers, wenn etwa traditionell gesinnte Katholiken nicht einsehen, warum sich ihre Kirche jetzt mit den Kultu ren der Heiden befassen soll, nachdem sie das jahrhundertelang nicht getan hatte. Oft genug ist es gar nicht klar, welche Elemente in den entsprechen den Kulturen lebendig und zukunfts bedeutend sind, welche auch die junge Generation ansprechen und mit welch anderen sich eine christliche Gemein de auf keinen Fall einlassen darf, will sie ihren chi'istlichen Auftrag nicht in Gefahr bringen.Der Prozeß der Inkul turation muß sich demnach an be stimmte Voraussetzungen und Erfah rungswerte halten, soll er fruchtbar werden und nicht zu Konfrontation und Polarisierung führen. 6.„Redemptoris missio" 1990 Die 25 Jahre nach der Veröffentli chung des Missionsdekrets „Ad gentes" von Johannes Paul II. herausgege bene Missionsenzyklika „Redemptoris missio" bringt im 5. Kapitel eine aus führliche Darlegung der Notwendig keit und Wege der Inkulturation (Nr. 52-54), womit der Begriff „Inkultura tion" endgültig in die offizielle Kir chensprache Aufnahme gefunden hat, Die giTjndlegenden Aussagen finden sich in Nr.52: „52. Bei ihrer Mission unter den Völkern trifft die Kirche auf verschie dene Kulturen und wird in den Prozeß der Inkulturation eingebunden. Diese hat als Erfordernis den gesamten ge schichtlichen Weg der Kirche geprägt, ist aber heute besonders wichtig und dringlich. Der Prozeß der Einfügung der Kir che in die Kulturen der Völker ver langt viel Zeit. Es handelt sich ja nicht nur um eine äußere Anpassung, denn Inkulturation „bedeutet die innere Umwandlung der authentischen kul turellen Werte durch deren Einfügung ins Christentum und die Verwurze lung des Christentums in den ver schiedenen Kulturen". Sie ist also ein tiefgreifender und umfassender Pro zeß, der sowohl die christliche Bot schaft als auch die Betrachtung und die Praxis der Kirche betrifft. Es han delt sich dabei aber auch um einen schwierigen Prozeß, da die Eigenart und Vollständigkeit des christlichen Glaubens auf keine Weise geschmälert werden dürfen. Durch die Inkulturation macht die Kirche das Evangelium in den ver schiedenen Kulturen lebendig und führt zugleich die Völker mit ihren Kulturen in die Gemeinschaft mit ihr ein und überträgt ihnen die eigenen Werte, indem sie aufnimmt, was in diesen Kulturen an Gutem ist, und sie von innen her erneuert.Ihrerseits wird die Kirche durch die Inkulturation immer verständlicheres Zeichen von dem, was geeigneteres Mittel der Mis sion ist. Dank dieses Handelns der Ortskir chen wird die Gesamtkirche selbst in ihren verschiedenen Lebensbereichen an Ausdrucksformen und Werten be reichert, wie etwa in der Verkündi gung des Evangeliums,im Kult,in der Theologie, in der Caritas. Sie lernt das Mysterium Christi tiefer kennen und auszudrücken und wird zu ständiger Erneuerung angeregt. Diese Themen waren Gegenstand des Konzils und der folgenden lehraratlichen Äußerun gen. Ich habe mich während meiner Besuche bei den jungen Kirchen wie derholt darauf bezogen. Die Inkulturation ist ein langsamer Weg, der das gesamte missionarische Leben begleitet und die verschiedenen Mitarbeiter der Mission ad gentes ein bezieht: die christlichen Gemeinden im Zuge ihrer Entwicklung, die Seel sorger, die Verantwortung für Beur teilung und Anregung dieses Bemü hens tragen". Die grundsätzlichen Aussagen wer den in den beiden folgenden Num mern in die Praxis umgesetzt; „53: Missionare, die aus anderen Kulturen kommen, müssen sich in die sozio-kulturelle Welt einfügen, in die sie gesandt sind, Sprache und Kultur gmndlich kennenlernen. Sie verleug nen dabei nicht ihre eigene kulturelle Identität, sondern schlagen eine Brücke zwischen den Kulturen. Die sich entfaltenden christlichen Ge meinden bringen das Leben aus dem Evangelium in Einklang mit ihren ei genen kulturellen Traditionen zum Ausdruck und im Einklang mit dem gemeinsamen christlichen Glauben. Deshalb müssen die Teilkirchen un tereinander und mit der Gesamtkirche in einem ständigen Austausch stehen. 54: Inkulturation muß sich von den Prinzipien der Vereinbarkeit mit dem Evangelium und der Gemeinschaft der Gesamtkirche leiten lassen. Die Inkul turation muß vom gesamten Volk Gottes mitvollzogen werden können als Ausdruck des gemeinsamen christ lichen Lebens". 7. Kontextuelle Theologien Die Praxis der Inkulturation in die Vielzahl der Kulturen muß von kontextuellen Theologien begleitet wer den, sollen die inkulturierten Foi-men der Liturgie und Katechese, der Ethik xind Verkündigung, der Gemeinde strukturen und Apostolatsformen usw. den Erwartungen der Menschen ent sprechen. Kontextuelle Theologien stellen den „Text" (Bibel, gesamt kirchliche Tradition) in den „Kon text" des konkreten Lebens der Men schen. Sie erforscht deshalb die spezi fischen Probleme der Menschen in ei ner bestimmten Umwelt und gibt, auf der Basis unterschiedlicher Sprachen und Philosophien unterschiedliche Antworten, schöpfend aus den ge meinsamen Quellen der Offenbarung, der Tradition, der gesamtkirchlichen Gemeinschaft. Kontextuelle Theologi en wollen den Anspi-uch Christi authentisch weitergeben, aber rele vant und verständlich für die Men schen ihres Kulturkreises. Sie lassen sich deshalb nicht auf andere Kultur kreise übertragen, wohl aber kann das Gespräch zwischen den Theologen da zu beitragen, einen gegenseitigen Lernprozeß und ein gegenseitiges Ge ben und Empfangen zwischen den Ortskirchen zu fördern. So hat die in Lateinamerika ent standene „Theologie der Befreiung" auch in Asien Beachtung gefunden, dort aber als „Theologie der Befreiung im Kontext der Religionen"; so haben die in Lateinamerika entstandenen kirchlichen Basisgemeinden auch in Afrika, Asien und Europa Eingang ge funden, aber verändert und angepaßt an die sozialen und religiösen Situa tionen. Zu den prominenten Vorkämpfern kontextueller Theologien gehören die Mitglieder der „Ökumenischen Ver einigung von Dritte-Welt-Theologen" (EATWOT), die sich seit 1976 regel mäßig treffen, um für ihre Kontinente relevante theologische Fragen zu behandeln, ohne dem bisherigen Füh rungsanspruch der westlichen („nord atlantischen") Theologie katholischer und protestantischer Provenienz nachzugeben. Über diese Entwicklun gen informiex't das Sammelwerk „Theologien der Dxitten Welt"\ In deutscher Sprache existieren bereits mehrere Reihen, die Arbeiten von Dritte-Welt-Theologen herausgeben (meist übersetzt aus dem Englischen, Französischen oder Spanischen): „Theologie der Dritten Welt"", „Theo logie interkulturell'". Große Beachtung finden auch die „Beiträge zur Religonstheologie", die die Ergebnisse religionstheologischer Kongresse im Missionshaus St. Gabri28

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=