ner Idee nach, die man allgemein sehr überspannt fand!" Trotzdem fiel der Abschied sowohl dem Kooperator, als auch der Pfarrgemeinde schwer, wie Gräfin Collalto bezeugt: „Ich habe es von Augenzeugen gehört, wie traurig die Leute waren, und bei der Ab schiedspredigt wurde manches Auge feucht, als man sah, daß es in dem ernsten Antlitz des jungen Priesters zuckte und selbst dieser Mensch von fast unheimlicher Überwindungskraft seiner Bewegung kaum Herr werden konnte". Nach der Tätigkeit in Staatz war Seipel für einige Monate Kooperator in der Pfarre St. Josef in der Leopold stadt. Ab 1903 war er Religionsprofes sor am Zivilmädchenpensionat; auch in dieser Stellung war er gleichzeitig stets auch Seelsorger. Von Kollegen wird die „tiefe Innerlichkeit", mit der er die hl. Messe zelebrierte, berichtet". Mit seinen sorgfältigst ausgearbeite ten Ansprachen und Sonntagspredig ten ergriff er „auch das Gemüt" der Zuhörer "durch die Wärme seines Her zens und seine innige Frömmigkeit"". Ebenso machten seine Güte und Milde als Beichtvater Eindruck'". Im Zivil mädchenpensionat liebte Seipel be sonders den Unterricht der kleineren Kinder an der angeschlossenen Übungsschule, die er auch auf den Empfang der ersten hl. Kommunion vorbereitete". Über Kinder sagte Sei pel: „Ich liebe die Kinder besonders, man kann so vieles von ihnen ler nen."" Neben seiner Tätigkeit als Univer sitätsprofessor in Salzburg war Seipel schon ab Oktober 1914 subsidiarischer Feldkurat und war als solcher MilitärSeelsorger des Salzburger Reservespi tals und des Vereinspitals des Roten Kreuzes. Von 1920 bis zu seinem Tod war Seipel Superior der Kongi'egation der Dienerinnen des hl. Herzens Jesu in Wien III-Keinergasse, wo er auch wohnte. Auch als Bundeskanzler war er bemüht, seine Aufgaben als Superi or weitgehend persönlich zu erfüllen, und ließ sich nur in Ausnahmefällen bei der Abnahme der kanonischen Ex amina der Kandidatinnen vor der Ab legung der Ewigen Gelübde durch an dere Geistliche vertreten. Als Prälat übernahm Seipel gerne die verschiedensten liturgischen Funktionen. Solche Einladungen wur den an Seipel in einem Ausmaß heran getragen, daß sich Kanonikus Minichthaler zur dringenden Bitte „schont unsem Seipel"'^ veranlaßt sah'^ In seinen „Tagesordnungen" hatten Gebet, Betrachtung und vor allem die Feier der hl. Messe ihren festen Platz". Bis in die letzten Lebenstage versucht Seipel die Messe zu feiern. Die letzte diesbezügliche Eintragung im Tage buch Seipels findet sich zum 23. Juli 1932, elf Tage vor seinem Tod. Für Seipel gab es keine Ti-ennung zwischen Politik und Seelsorge: „Es wird manche verwundert haben, daß ich mir in der Zeit nach den Wahlen eine andere Art des Redens angewöhnt habe. Ich rede nicht mehr so oft über rein politische Fragen, son dern mehr über Fragen der Moral, und der Gesellschaftsordnung. Damit kommt in mir, ich gebe es zu, etwas zum Vorschein, das nicht ganz zum Geschäft und zur Arbeit des Bundes kanzlers gehört. Es kommt dabei der Professor der Moraltheologie und der Gesellschaftswissenschaften und auch stark der Geistliche heraus. Ich habe eben nicht aufgehört, auch dies neben dem Politiker zu sein, und ich habe nicht den Ehrgeiz, als der Staatsmann geschildert zu werden, der nur die Fi nanzen sanieren geholfen hat, sondern mir kommt vor, daß wir auch das an dere, die Seelen sanieren müssen In seinem Tagebuch zum 29. Jänner 1930 (Fest des hl. Franz von Sales) vermerkt Seipel kurz: „Omnibus omnia (allen alles)! Indirekte Seelsorge in meinem Leben".'® Seipel selbst sah keinen Wider spruch zwischen seiner Tätigkeit als Politiker und als Priester; er unter stellte aber alles dem Urteil des Pap stes: „... Sollte sich also ein wirklicher Widerspruch zwischen den Verpflich tungen, die ich als Priester habe, und den Möglichkeiten, die mir als Politi ker gegeben sind, ergeben, so bin ich eines jeden Winkes, den mir der Heili ge Vater, vor dem meine Tätigkeit of fen daliegt, geben wird, gewärtig, auf den hin ich mich von der Politik zurückziehen kann. In der unbeding ten Bereitschaft, jedem derartigen Wink zu folgen, finde ich die Ruhe des Gewissens, die mich instand setzt, meinen Weg weiterzugehen..."". Anmerkungen: ') Vgl. die Bibliographie der Werke Seipels in diesem Heft. Über die Frage, ob sich Seipel selbst vor allem als Priester, oder eher als Politiker sah, besteht bis heute keine Einigkeit. Josef Lenzenweger trat in seinem Aufsatz „Ignaz Seipel, Staatsmann und Priester, in: Theol.- prakt. Quartalschrift 106 (1958) 1829" dafür ein, Seipel in erster Linie als Priester zu verstehen: „Nicht der Ab geordnete zum Nationalrat, nicht der Bundeskanzler, nicht der Parteiob mann, sondern der Priester gab dieser eigenartigen und fesselnden Persön lichkeit das tiefste und innerste Ge präge" (ebd. 28). Viktor Reimann, Zu groß für Österreich. Seipel und Bauer im Kampf um die Erste Republik, Wien-Frankfurt-Zürich 1968, bes. S. 51, sah die Tragik Seipels gerade dar in, seiner Berufung als Priester nicht ausschließlich gefolgt zu sein, wobei er auf folgende Eintragung im Tage buch Seipels zum 30. August 1927 ver weist: "In keiner meiner anderen Tätigkeiten habe ich so oft versagt als in der priesterlichen". ®) DAW, Pfarrakten GöUersdorf, 1899. *) Pfarrchronik Göllersdorf, Bd. 1, S. 191. Während der Kooperatorenzeit Seipels wurde die Pfarrchronik von GöUersdorf leider nicht geführt. ®) Pfarrchronik Staatz, Bd. 1, 186193. ®) Ebd. S. 194. ") Maria Therese Collalto, Aus Dr. Seipels Jugendjahren, in: Wiener Journal, Weihnachtsnummer 1924, ab gedruckt bei Rudolf Blüml, Prälat Dr. Ignaz Seipel. Ein großes Leben in klei nen Bildern, Klagenfurt 1933, 128130. ®) Vgl. Blüml, ebd. III. ®) Blüml, ebd. ") Ebd. ") Blüml, 130. '-) Blüml, ebd. ") Korrespondenzblatt für den kath. Klerus Österreichs 49 (1930) '^) Vgl. Blüml (wie Anm. 7) 119f. '®) Vgl. Blüml, 98f. '®) Blüml, 142. '•) Blüml, 147. Bibliographie Dr. Ignaz Seipel Erstellt von Klemens Honek Vorbemerkung: Die Bibliographie erhebt keinen Anspruch auf Vollstän digkeit. Bei den unselbständig er schienenen Werken wurde auf Artikel in Zeitungen (Reichspost etc.) verzich tet. 1. Selbständige Veröffentlichungen: An den Vater des Kiiegers, Wien 1914 (Kriegsbriefe 3). An den verwundeten Kriegei', Wien 1914 (Kriegsbriefe 4). Die Aszese im Leben der studierenden Jugend, Wien 1912. Die Bedeutung des neuen kirchlichen Rechtsbuches für die Moraltheolo gie. Akademische Antrittsvorle sung, Innsbruck 1918. Beim eucharistischen Gott. Ein Zyklus homiletischer Vorträge, Wien 1909. Berechtigung und Grenzen der Moral statistik, Wien 1910 (Die Kultur 1910, Heft 1). Die Berufung der Lehrerin xmd die so ziale Frage. 2 Vorträge, Linz 1917 (Flugschriften der kath. Frauenorganisation für Oberösterreich 5). Brevier des Dr. Ignaz Seipel. Hrsg. v. Carl Kosik, Wien 1934. Der christliche Staatsmann, Augsbui-g 1931 (Büchex*ei d. kath. Gedanken 10). La donna e la questione sociale, Brescia 1926. Die feierliche Promotion des Ignaz Seipel zum Ehrendoktor der Rech te, Wien 1931. 23
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