Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

weit, daß der Konziliarismus, der in weiterer Folge zur Einrichtung des Landeskirchentumes führte,der einzi ge Auswegzu sein schien. Am Beginn der Neuzeit standen die - zeitlich benachbarten - Ereignisse der großen Entdeckungen, des Huma nismus und der Reformation. Das ge schah nicht von ungefähr. Die Eigen ständigkeit der Schöpfung und in der Folge die Eigengesetzlichkeit einer menschlichen und irdischen Welt trat immer deutlicher ins Bewußtsein. Yves Congar nennt es „eine fort schreitende Laisierung der Existenz". Vieles, was bisher im Dienst der Ziele der Kirche gestanden hatte, wurde nun immer mehr um seiner selbst wil len betrieben. Die Welt begann sich von kirchlichen Vorstellungen und Maximen zu lösen. Ein besonderer Eingriff war ohne Zweifel das Ereignis der Glaubens spaltung. Sicher hat das allgemeine Unbehagen der Zeit der Reformation großen Auftrieb gegeben, „das wer bende Pathos verlieh ihr aber der Umstand, daß sie den Menschen der Neuzeit aus den zeitbedingten mittel alterlichen Haltungen und Zuständen herauszuführen schien und ihm das zu geben versprach, was er schon lan ge vergebens gefordert oder unbewußt ersehnt hatte." Die „Freiheit des Chri stenmenschen" war nicht zufällig die große zukunftsträchtige, vielfach auch mißverstandene Parole der Re formation.„Die sogenannten, bekann ten Mißstände waren am Ende des 15. Jahrhunderts sicher nicht größer als in der 2. Hälfte des 14. Jhdts. Die Menschen ertrugen sie aber viel weni ger leicht, sie waren wacher, bewuß ter, kritischer imd im guten Sinne an spruchsvoller geworden und damit empfindlicher für den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit, Lehre und Leben, Anspruch und Lei stung. Die Tatsache, daß diesem ge steigerten religiösen Bedürfnis, dieser größeren Mündigkeit der Laien nicht genügend Rechnung getragen wurde, bzw. eine für das Mittelalter typische und damals den Umständen nach be rechtigte Haltung nicht frühzeitig po sitiv abgelöst wurde, hat somit auflö sender gewirkt als alles noch so be dauerliche Versagen einzelner Perso^ nen".'") Und es war vor allem die Pro blemstellung der Entgegensetzung von Klerus und Laien, verbunden mit dem Überlegenheitsanspruch des Kle rus, auf die die Reformatoren, allen voran Luther, reagierten. Auf den Kirchenbegriff Luthers, den dieser im Kampf gegen die hierarchisch gefe stigte Papstkirche vor allem gegen das kirchliche Amt- zum Teil über spitzt - entwickelte: nicht äußere Au torität, nicht hierarchische Organisa tion und sakrale Institution, sondern Gemeinschaft der wahrhaft Christusgläubigen, „durch den Heiligen Geist zusammengerufen in einem Glauben", die fundamentale Gleichheit aller Ge tauften"^^), die Unteilbarkeit des kirch lichen Amtes, usw. antwortete das Konzil von Trient in klarer Abgren zung des katholischen Glaubensgutes gegen das reformatorische vor allem mit der starken Betonung der hierar chischen Struktur der Kirche. In Re aktion auf tatsächliche Irrtümer der neuen Lehre wurde aber der KonzilsTraktat „De ecclesia" zum großen Teil eine Verteidigung der Kirche als Verband hierarchischer Mittlerschaft der Vollmachten und des Primates des Römischen Stuhles. Und dabei „wa ren die beiden Pole, zwischen denen eine solche Mittlerschaft ihren Platz hat, einerseits der Heilige Geist und andererseits das gläubige Volk oder der subjektive Träger des religiösen Lebens gleichsam von der ekklesiologischen Betrachtung ausgeschlossen." ... Dieser Kirchenbegriff setzte sich unglücklicherweise bis in das 19. Jahrhundert fort: „Man erwähnt nicht, wie die ganze Kirche, also das gläubige Volk in seiner Gesamtheit, vom Heiligen Geist belebt wird und wie es in das Werk der Heiligung und des Gotteslobes einbezogen ist. Man spricht nur vom Priester und von der Hierarchie. Das gläubige und betende Volk scheint nur eine passive Rolle in einer Kirche zu spielen, die es nicht bildet und auch nicht zu bilden beru fen ist.''^") So wurde jener Aspekt der Kirche, von dem her eine eigenständi ge Aufgabe der Laien a priori faßbar gewesen wäre,in gewisser Weise ver nachlässigt. Dies hatte auch Konse quenzen in der Pastoral, in dem Sinn, daß eine klerikalistische Situation un weigerlich als Folge nach sich zieht, daß die Laien, die im kirchlichen Be reich in Unterwürfigkeit und Passi vität gehalten waren, „für ihre eige nen christlichen Verantwortlichkeiten nicht hinreichend gerüstet sind, die sie im Geflecht von Geschichte und Weit auf sich nehmen müssen."^')Und so waren und blieben die Laien daran gewöhnt,die christliche Wahrheit von ihren Priestern fix und fertig zu emp fangen. So ließen sie es lange Zeit an der nötigen Initiative in Bereichen mangeln, die ihnen eigentlich zustan den; da, wo ihnen ihre Priester nicht kraft ihrer Autorität ihre Pflichten vorschrieben, hielten sie sich meistens zurück. „Nur die Stärksten,denen die spätere Zeit Recht gegeben hat, die aber zu Lebzeiten reichlich Schwie rigkeiten erfuhren, hielten die Initia tive der Laien lebendig. Ihnen ist es zu danken, daß diese Kirche nie ge fehlt hat."") Im 17. und 18. Jahrhun dert muß man wohl im Hinblick auf das Verhältnis von Kirche und Welt feststellen, daß die Kirche im Feld der politischen Kräfte weithin ihre Mit wirkung und in der Entwicklung des europäischen Geistes die Fühnmg verloren hatte. Die in verschiedene Konfessionen aufgeteilte Christenheit verlor in wachsendem Maße das Ver ständnis für die Probleme der Welt und ihrer Gesellschaft, in der aber auch sie eingewurzelt war. Die brei ten Schichten des anonym bleibenden Volkes lebten wohl in der christlichen Tradition weiter, waren aber nicht wirklich mit den Erfordernissen der Zeit konfrontiert.^') Die seit dem Mittelalter bestehende Kluft zwischen der Liturgie und dem gläubigen Volk wurde nicht überwimden,sondern hatte sich weiter vertieft. Die Liturgie war eine Klerusliturgie geworden und berührte das Volk nur insoweit, als sie ihm zum Schauspiel dienen konnte. Sowenig aber auch das liturgische Wort und der einzelne Vollzug mehr aufgenommen wurden, waren dennoch das Bewußtsein eines großen Mysteriums und der Wille zur Anbetung noch eindeutig vorhanden. Die Folge der starken Diskrepanzzwi schen offiziellem Gottedienst und der für das Volk faßbaren Frömmigkeit war die Pflege einer Vielzahl von außerliturgischen Formen in Bruder schaften mit ihren Andachten,Prozes sionen und Wallfahrten, wobei das Verlangen nach Ablässen in den Vor dergrund trat. Auch wurde nicht we nig an Aberglauben mitgeschleppt. In den großartigen Werken der Kunst gerade jener Zeit offenbarte sich aber die ungeheure religiöse Kraft, die gerade den Laien in dieser Zeit eigen gewesen sein mußte. Die Aufklärung, die sich letztlich im Ge gensatz zu den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts und der sich daraus ergebenen Religionspolitik eta bliert hatte, übersah infolge ihrer prinzipiell kirchenfeindlichen Grund haltung die Wirklichkeit der im Volk verwurzelten Kultmystik und mußte scheitern. Die Kirche ihrerseits mußte es als ihre Pflicht ansehen, das Volk vor dem Anspruch der aufgeklärten Vernunftzu schützen. Allerdings muß auch eines gesagt werden: Eine folgenschwere Konse quenz der untergeordneten Stellung des namenlosen Laienvolkes in dieser Zeit war sein vollkommen fehlendes Bewußtsein seiner selbst: und als da her im Zuge der Aufklärung und des Josephinismus in der 2. Hälfte des 18. Jhdts. der Zugriff auf die Kirche mit aller Vehemenz erfolgte, hat das Kir chenvolk weder zustimmend noch be sonders abwehrend reagiert. Der Re sonanzboden war damals bereits nicht mehr da.=') Im 19. Jahrhundert, an dessen Be ginn das Ereignis der Säkularisation stand, erwuchs der Kirche in mehrfa cher Hinsicht eine gewaltige Heraus forderung. Die religiöse Betätigung des Volkes war häufig nur mehr eine Anpassung an ein Gesamtgefüge ge sellschaftlicher Überlieferungen ge worden, als eine Überzeugungs sache.") Erst durch Gestalten wie Hofbauer, Sailer, Veith u. a. sollte es zu eigenständigen Zusammenschlüs sen von Laien kommen. Die offizielle Kirche stand den mo dernen Entwicklungen abwehrend bis ablehnend gegenüber. Die Beziehun gen zum Staat wurden fast ausschließ lich unter dem Blickwinkel der Vertei digung des Freiheitsraumes der Kir che gesehen. Das Klima war geprägt von Angst und Mißtrauen in der Zeit des beginnenden Kulturkampfes. Der

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