Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

4. Ich werde von dem Hm. Pfarrer dermahlen, und bis auf weitere Vor schriften nicht mehr fordern, als zu Mittags drey gesunde und ordentlich gekochte Gerichte,Abendszwey,und zu jeder Mahlzeit ein Seitel Wein, von Ansprüchen auf Fische, Braten u.s.w. kann dermahlen keine Rede seyn..." Es folgen die üblichen Punkte, das Konsistorium, die Weibspersonen, die Jagd, Loyalität gegenüber dem Pfarrer, Verhalten bei der Predigt u.s.f. betref fend. Das Wort des Lehrers und Pädagogen spricht deutlich ausjenem ausführlichen Pastoralschreiben^'', welches Vinzenz Eduard Milde (1832 bis 1853) noch im Jahr seines Amtsantrittes, im Anschluß an eine Visitation aller Pfarren seiner Diözese erließ. Milde, der einen ausge prägten Sinn für den Wert der histori schen Quellen hatte, war besonders um die Bildung seines Klerus bemüht.Dem entsprechend findet sich,abgesehen von ausführlichen Hinweisen zu Gottes dienst und Seelsorge, Kirche und Stif tungen, Schule und Armenwesen,sowie dem äußeren Betragen, erstmals auch ein ausführlicher Hinweis auf die „Memorabilien- oder Ingedenkbücher, wel che nicht nur als Geschichte den Nach folgern allzeit sehr interessant, sondern zur Sicherstellung der Rechte,Besitzun gen oder Lasten der Pfründe, zur Auf klärung in späteren Zeiten entstehender Fragen, zur Vermeidung fruchtloser Streitigkeiten, zum Beweise, wenn die PfVünde beeinträchtigt zu werden in Gefahr ist, nützlich und nothwendig" seien. „Leider sah ich", so fahrt der Erzbischof fort, „daß diese wichtigen Bücher an vielen Orten ganz mangeln, an anderen nicht fortgesetzet sind. Da die Mühe, dasjenige, was sich in einer Pfarre von Wichtigkeit ereignet,jährlich aufzuzeichnen, sehr klein, und der Er folg in späteren Zeiten doch sehr interes sant und wichtig ist; so erwarte ich von dem Eifer der Pfarrer für alles Gute,von ihrer Sorgfalt für die Nachfolger, von dem Wunsche, auch für die Zukunft zu wirken,daß alle Seelsorger diese...sog wirken, daß alle Seelsorger diese... so gleich anfangen und wo dieselben vorMilde hatte mit diesem Appell immerhin Erfolg, denn die meisten der heute in den Pfarren befindlichen Chroniken be ginnen, in der Regel mit einer kleinen zusammengefaßten Rückschau auf die Vergangenheit, in diesen Jahren ihre Existenz. Im übrigen stellt der Erzbischof fest, sei es „ohnehin vorgeschrieben, daß bey jeder Pfarre ein Archivkasten vorhan den seyn soll,in welchem alle Schriften, Verhandlungen, welche sich auf die Pfarre-Kirche-Schule-Armenwesen -Seelsorge beziehen, ordentlich in Fascikeln geordnet aufbewahret werden sollen." Wenn er wüßte... Ein wichtiger Punkt behandelte auch das Verhältnis den Dienstleuten im Pfarrhof gegenüber; in betreff einer frü heren Verordnung bezüglich der Dienst büchel oder Spannzettel heißt es hier: „Diese sehr zweckmäßige und notwen dige Verordnung fand ich nirgends be folget. Durch die Vernachlässigung die ser Vorschrift setzet ein Priester seine Dienstleute der Gefahr aus, ihren sauer und rechtlich erworbenen Liedlohn nach seinem Tode zu verlieren oder erst auf dem langen und kostspieligen Rechtswege erkämpfen zu müssen. Ich halte mich in meinem Gewissen ver pflichtet zu verordnen; daß jeder im Dienste eines Priesters stehenden Per son, ohne Unterschied, ein sogenanntes Dienstbüchl binnen vier Wochen in die Hände gegeben werde." Sein Nachfolger Joseph Othmar Kar dinal Rauscher (1853 bis 1875), dem nachgesagt wird, daß sein Verhältnis zum Wiener Klerus mehr von Respekt als von Herzlichkeit geprägt war, hat in zahlreichen Hirtenschreiben an Klerus und Volk auf seine Weise seelsorglich gewirkt. Gerade in einer Zeit langsam oder stetig steigender Kirchenfeindlich keit wandte er sich am 27. Jänner 1854^® mit der Ankündigung der Errichtung eines Knabenseminars an die gesamte ehrwürdige Geistlichkeit seiner Erzdi özese: „Die Emdte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige: bittet den Herrn der Emdte, daß er Arbeiter in seine Weinberg sende! - Auch jetzt ist die Erndte groß. Hunderttausende sind durch die Lehren des Irrwahns,welchen man die Hoffnungen zeitlichen Glückes zum Köder gab, aus dem geistigen Gleichgewichte gebracht worden... Un sere Zeit mit ihrer Nervenreizbarkeit, mit ihrer enzyklopädischen Bildung und verfeinerten Selbstsucht ist leicht an der Oberfläche aufgeritzt; aber es ist schwer, bis hinab zu dem Grunde des Herzenszu dringen und einen Umschwung der gan zen Lebensrichtung zu bewirken. Da durch wächst die immer große und schwere Aufgabe des Seelsorgers... und mit tiefem Schmerz muß ich es sagen, daß... die Zahl der Arbeiter selbst bei Anstrengung aller Kräfte nicht einmal nothdürftig genüge. In den Vorstädten Wiens, ja auch in dem Kranze von Orthschaften, welche durch Lage und Bevölkerung zu den Vorstädten ge hören,zu denen ein schmaler Graben sie schneidet, werden Pfarrbezierke gefun den, in welchen vier, höchstens fünf Priester einer Gemeinde von mehr als zwanzig, von dreißig, von mehr als dreißig Tausenden mit der Pflichtfür die Seelen zu sorgen gegenüber stehen!" In Wien hielt die Errichtung neuer Pfarren und Gottesdienststätten mit dem gewaltigen Anwachsen der Bevöl kerungin der zweiten Jahrhunderthälfte nicht Schritt. Der Klerus war zuneh mend überlastet; mit Pastoralkonferen zen und Zusammenkünften des Deka natsklerus suchte man,den Anforderun gen gerecht zu werden. „Der Pfarrer ist meist sehr beschäftigt. An der Wand hängt neben dem Kruzifix das Telefon, vor ihm liegt ein sehr ausgefüllter Vormerkkalender... Die Vormerkungen fangen schon um fünf Uhr flrüh an. Man liest auf dem Kalen der: Kirchenbauverein, Lehrlingsheim, Pressekomitee, Ortsschulrat, Religions unterricht, Kirchengesangsverein, Wai senstiftung, Sparverein, Statistik, Be zirkswahlkomitee, und plötzlich mitten drin: Rosenkranzandacht... Von fünf Uhr früh bis acht Uhr abends ist der Tag des Pfarrers besetzt - Standesbeamter ist er ja auch; man ahnt gar nicht, wieviel ein Pfarrer zu tim hat... Die Seelsorge schaut anders aus als früher. Man muß Massenseelsorge betreiben..." Diese Schilderung der Situation Wiens um 1900 trifft ziemlich genau den Punkt. Wehmütig liest man weiter; „Es gibt schon noch die alten Pfarrer mit weißen Haaren und rosigen Wangen, die jeder mann im Bezirk kenntimd zu denen die Kinder Hand küssen laufen, wenn der alte Herr mit dem altertümlichen Zylin der seinen Spaziergang macht. Die Hausmeister,die vor ihren Türen sitzen, stehen auf und nehmen die Pfeife aus dem Mund, wenn der Hochwürden kommt, alle Leute kennen und grüßen ihn. Der alte Herr schnupft noch. Sein lila Plastron und sein schwarzer Rock sind immer mit Tabak bestreut. Den Kindern schenkt er Heiligenbilder, und den Erwachsenen bietet er aus einer Homdose gelbe, durchsichtige Husten zuckerln an, denn heutzutage schnupft kein Mensch mehr, und man bringt jemand nur in Verlegenheit, wenn man ihm eine Prise offeriert.Der alte Herr ist freundlich und leutselig-er riecht son derbar nach altem, poliertem Holz xind Tabak, er zittert ein wenig in den Hän den. Er kommt aus einer anderen Zeit: er hat noch Würde - so vrie der alte Kaiser."" Folgerichtig war auch gerade für den Klerus der Übergang von der Monarchie in die neue Gesellschaftsform nach dem Ende des Weltkrieges nicht leicht. Dazu kamen die komplizierten politischen Verhältnisse, verbunden mit wachsen den Schwierigkeiten in der öffentlichen Ausübung der Seelsorge. Um das Pro blem bei der Wurzel anzupacken, nahm man die Frage der Priesterseelsorge selbst in Angriff: großer Wert wurde auf Priesterexerzitien gelegt, Priesterein kehrtage und Priesterbildungskurse wurden angeboten. Großes leistet hier das Seelsorgeamt des Prälaten Rudolf, sowie das Österreichische Seelsorgein stitut. Auf einer Tagung^« (1959) zum Thema: „Priester-Exerzitien als Mittel der Priesterseelsorge im Geiste des hl, Pfarrers von Ars" hielt der damalige Bischof Rusch von Innsbruck ein Refe rat mit dem Titel; „Die heutigen Gefah renmomente im Priesterleben"; hier zeichnete er ein Priesterbild, das in seiner grundsätzlichen Aussage zeitlos gültig erscheint, wenn er als vorder gründige Gefahrenmomente ,,Überla stung und Erfolglosigkeit", ein Zwillingspaar, das zusammen gehört; „Generationswechsel und Einsamkeit", sowie „Mädchen und Frau" und schließ lich den „Lebensstandard"; als hinter gründige Gefahren „mangelnde Jensei tigkeit", sowie „mangelnde Weltfireudigkeit" nennt. Als Heilungsmöglichkeit führt er hier an - entsprechend den Gefahren -zunächst hintergründig: eine vertiefte Jenseitigkeit und den Aufbau einer pastoralen Aszese; als vordergrün dige Heilung bietet er an: die Betrach tung und die priesterliche Gemeinschaft mit den Mitbrüdern, welche er als eine besondere Verpflichtung für die älteren. 17

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