Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

zwanzig Jatire andauernden Regierungs zeit beginnt in Wien, Hand in Hand mit der langsam greifenden katholischen Reform, eine neue, in seelsorglicher Hinsicht fruchtbare Zeit der Konsolidie rung. Schon 1575 erläßt er eine Stolord nung. Der Seelsorgeklerus an seiner Domkirche erhält mit 11. Dez. 1584 neue Statuten. Am 22. Mai 1577- berichtet der Bischof dem Kaiser über die schrecklichen Zu stände aufden Pfarren seiner Diözese in spiritueller, wie in temporaler Hinsicht und bittet, damit er von den Gutsherren und Geschworenen nicht gehindert werde, um Ausfertigung eines offenen Generalbefehles für eine von ihm ge plante große Visitation: „...denn der Gottesdienst dermaßen in abgang gera ten, das es ain Christliches herz erbar men möcht;so sein die Pfarrliche gründt und guetter hin und her verwendt und von den Pfarren verzuckht worden, das vil Pfarre, so vor Jahren in großem Ruemb und stattlichem Vermögen ge wesen, yezo khainen Pfarrer mehr zuerhalten haben..." Ein halbes Jahr danach, im Jänner 1578^, übermittelt Bischof Neubeck dem Kaiser(RudolfII.) ein ausführliches Pro gramm der anzustellenden General-Visi tation. In bezug auf die Geistlichkeit heißt es hier: „De reformatione parochorum: ...Was nun die Pfarrer und gemainen BeyPriester auf dem Landt hin und wider belanget, ist zwar wis sentlich was Unordnung und Übls bey Inen vernemben und befunden wirdt, derhalben es ain große gnad Gottes were, wo man demselben schwären und ergerliche und Unleidlichen Werke be gegnen und Ime mit ernstlicher Correction abhelfen mechte,damit ir unerbars leben mit dem vermainten coniugio und concubinat quod hactenus plurimis malis et haeresibus fenestras et valuas aperuit, abgestelt corrigiert und verbes sert würde..." Und 1582^ ist es dann so weit: die „Articuli pro visitatione ecclesiarum ruralium" setzen sich mit der Lebensfüh rung der Pfarrer auseinander, wie folgt: „De parochi vita. An suas horas canonicas recitet quoque utatur breviario. An forsan sit lusor. Potator. Litigiosus percussor vel maledicus. Infamis impudicus et turpis vitae. Concubinarius vel qui suspectas mulieres in domo sua vel alibi recipiat et visitat. Choreis praesens. Magicis artibus intentus. Jejuneorum ab ecclesia pres scriptorum contemptor. An utatur decenti vestitu et habitu. An tonsuram seu coronam clericalem ge stet." Die kirchliche Reformtätigkeit seines Nachfolgers, Melchior Klesls (1598 bis 1639) war ungeheuer groß, trotz dessen Beanspruchung durch das Kaiserhaus und die hohe Politik. Klesl wandte sich besonders gegen jene Geistlichen, die unter Umgehung des Bischofs von Grundherren oder Gemeinden einge setzt worden waren. Deshalb versuchte er auch, erledigte Pfarren jeweils so gleich zu besetzen,damit diese nicht von zweifelhaften Elementen okkupiert wer den könnten. Diese Unsitte ließ sich aber nicht so leicht abstellen, die allge meine Verwilderung der Sitten im Ge folge des Dreißigjährigen Krieges ging auch am geistlichen Stand nicht spurlos vorüber.So war z.B.die Kuratgeistlichkeit von St. Stephan ziemlich reformbe dürftig. Klesl schildert ihren Zustand so: Es waren „meistenteils gemaine,geringe und ungelehrte junge Lieuth (weil an dere nit zu bekommen gewesen), die offtmalen weder tauffen, copulieren, noch die Kranken und Sterbenden trösten, geschweigent recht Peicht hören khünen und weil sie nichts gestu diert und kheine fundamenta haben, so sein sie dermassen dem Wein und Müssiggang ergeben, daß solliche mehr Schaden als nützen, daher ihnen nie mand sein gewissen gehrn anvertrauen will".^ So hatte auch Fürstbischof Friedrich Philipp Breuner(1639 bis 1669) mit ähn lichen Problemen,zum Beispiel im Hin blick auf die mitunter zwielichtigen Benefiziaten, zu kämpfen. In einem De kret, datiert vom 22. Mai 1651®, gerichtet an alle Benefiziaten seiner Diözese, ta delt er die bestehende Unklarheit in bezug auf die Verwaltung und Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen von Seiten der Geistlichen. Im Jahr 1659 erließ der Bischof eine strenge Weiheordnung' mit dem Ziel einer besseren Disziplin und vor allem einer fundierteren Bildung seines Kle rus, gerichtet an „Omnibus Sacrorum Ordinum Candidatis", wo er u.a. for dert: „...Nos huiusmodi erroribus et scandalis obviare volentes imposterum nullum ex saecularibus ad subdiaconatus Ordinem admittemus, nisi doceat se Beneficium Ecclesiasticum ad sui sustentationem sufficiens realiter et pacifice possidere, seque bonis moribus praeditum et absoluta philosophia, seu ad minus Dialectica duos integros annos in Studio moralis seu speculativae Theologiae cum fructu impendisse.. Im Jahr 1645 war Wien von einer Pest heimgesucht worden. Am 6. August gab Bischof Breuner seinem Generalvikar aus diesem Anlaß nicht uninteressante Anweisungen® bezüglich der Vermei dung der Verbreitung der Seuche in folge größerer Versammlungen; seines Erachtens, so meint er, „seye doch nit von den Gottsheisern, allda man die Völker vilmer durch ihr Gebet den Zorn Gottes abzuwenden antreiben und vermainen soll, die sonst leichthin der predigen und Gottesdienst miessig ge hen, anzufangen, sonder villmehr von denen schenkh und Weinheisem, allda man Tag und nacht trinkht, springt und tanzet..." - es war also nicht daran gedacht, die Gottesdienste einzustellen, um die Geistlichkeit zu schonen. Die Geistlichkeit, von einem Zeitzeu gen, nämlich P. Abraham a S. Clara in seinem berühmten ,,Merk's Wien!"", so wohl inner- als außerhalb der Klöster mit „dritthalbtausend" angegeben, wid mete sich in dieser schweren Zeit also aufopfernd ihrer Aufgabe, wobei sie in vielen Fällen der Tod ereilte: „...an demselben Ort, allwo sie pflegt den toten Seelen das Leben zu erteilen, verstehe in der Kirchen, in dem Beicht stuhl, bei dem Altar!" Denn man weiß, „daß der Tod vörderst die Beichtstühl zu seinem Vorteil hatte, und ist schier die pestilenzische Seuch auf keine andere Weis in die Klöster geraten, als durch das Beichthören, auch der Tod selten durch die Klosterpforten, sondern öfter durch die Sakristeitür eingeschlichen... und dies ist die Ursach,warum nicht nur hundert, nicht nur zweihundert, nicht nur dreihundert, sondern mehr Priester und Geistliche dem Tod zuteil wur den..."'® Unnachahmlich illustriert P.Abraham das Denken dieser Zeit, wenn er, im Anschluß an die Geschichte von der Hochzeit zu Kana, wo der Herr sein erstes Wunder vollbrachte,erklärt:„Aus Wein Wasser machen ist leicht und gerät dies einem jeden Lumpensüchtigen, aber aus Wasser Wein machen, ist viel und ein absonderliches großes Wunder werk. Ich sage aber auch, aus Schlim men Gute machen. Ungläubige in Gläu bige und Heiden zu Christen machen,ist auch viel, und wer hat dies getan, als eben die stattlichen Ordensmänner... Aus einem harten Stein Wasser locken, ist viel, das hat getan Moses dem Volk Israel; aber aus hartnäckigen Gemütern Bußzähren erwecken, ist auch viel, das haben getan die heiligen Ordensmän ner... Daß also rechtmäßig solche hei lige Orden können genannt werden ein Schutz, ein Schatz, eine Schanz, eine Freud,ein Fried,ein Freund der katholi schen Kirchen!"'' Diese echte, wenn auch manchmal übersteigerte und überschwengliche Frömmigkeit war tief im Volk verwur zelt und prägte das ganze Land, nicht zuletzt auch den Klerus selbst. Dieser hatte sich in seiner Lebensweise in weiten Bereichen den allgemeinen Ge bräuchen der Weltlichen angepaßt. Doch unmerklich begann sich die Zeit zu ändern, die frommen Habsburger des 17. Jhdts., vor allem die beiden Ferdi nande, praktizierten, wenn auch eher unbemerkt, eine wohl abgeschwächte Form des typischen neuzeitlichen Staatskirchentums in ihrem Lande. Doch zunächst erlebte das Bistum Wien noch eine Rangerhöhung mit der Erhe bungzum Erzbistum im Jahr 1722. Sigismund Graf Kollonitz (1716-1751), der erste Wiener Erzbischof, richtete bald nach seinem Amtsantritt, im De zember 1716,"' bzw. im darauffolgenden Jahr 1717''' zwei Pastoralinstruktionen an seinen Klerus, welche einen lebendi gen Einblick in die Lebensumstände dieser Epoche geben. Gleich eingangs heißt es hier, er habe zu seinem „höch sten Mißfallen vernehmen müssen, wie etwelche auß ermeldtem Clero so vilen und heUsamben Satz- und Anordnungen zugegen, sowohl in Titulaturen und Kleydungen, als Sitten und gantzen Leben sehr unanständig und straöbar sich aufführen und erzeigen; Inmassen diese nicht allein die Titul: Hochwürdig, Gnädig, Abbate, Canonicus, etc. wider gebühr sich arrogieren und zulegen, nebst deme mit eingebuderten Haaren und Paroquen auch sogar bey den Altar zu erscheinen und allda noch gantz frey imd frech herumb zu schauen sich nicht befremden; auch sonsten ohne Mäntel, 14

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