darum,die Mitbrüder daran zu erinnern, den Sozialisten in erster Linie als Seel sorger zu begegnen: „Man ... mag den Marxismus als wissenschaftliches Sy stem widerlegen, nur der Prediger, der Seelsorger darf nie übersehen, daß hin ter diesem System ein ganz unmittelba rer, unaustilgbar hungernder Schrei nach wirklicher Erlösung ruft. Und der lebt täglich neu auf im Hunger, in der Kälte der Proletarierwohnung, in dem Ausgeliefertsein, in der Sorge um die Zukunft. Daran ändert nichts, daß es einigen Teilen der Arbeiterschaft heute besser geht". Wie soll sich der Seelsor ger den Proletariern gegenüber verhal ten? „Jede, und vor allem die landläu fige, unglaublich leichtfertige, vor allem die politische Gegnerschaft von seilen des Seelsorgers muß unterbleiben.Denn jede sogenannte Widerlegung des Sy stems trifft nicht den Verstand dieser Menschen, wenn sie auch noch so schlau und scheinbar schlagend ist, sie trifft diese Menschen ins Herz und bewirkt die Meinung, wir wollten ihnen ihre einzige Erlösungshoffnung rauben, d.h. sie verhärtet. Von außen ist überhaupt an diese Menschen nicht heranzukommen. Wir können für sie nur die Apostel des Erlösers Jesus Christus sein, des Mei sters der Zöllner, der Sünder und der Ausgestoßenen, des Lehrers vom unbe dingten Leben nach dem Gewissen, des Lehrers der Liebe und Gerechtigkeit." Abschließend bekennt Pfliegler seine persönliche Betroffenheit: ,,Ich habe mir ■ganz aus dem Wissen, das ich mir im Verkehr mit diesen Menschen und aus ihren Bekenntnisbüchern erworben habe, von der Seele geschrieben, wie ich die psychische Lage der Proletarier sehe. Ich liebe diese Menschen. Ich leide darunter, daß ich ihnen als Priester gerade das nicht geben kann, was ich ihnen am liebsten gäbe: den Glauben an den einen Gott und seinen Sohn, der uns erlöst, und den Heiligen Geist, den Voll ender." Der nächste Auf^tz Pflieglers im „Seelsorger" geht einen Schritt weiter: hatten die beiden ersten Aulsatze die Situation beschrieben, stellt Pfliegler nun die Frage „Wie fangen wir an?'"'^: „Wie kommen wir an das Proletariat heran? - Hunderte von Priestern leiden unter dieser Frage. Und doch erwarten sich viele die erste Erleuchtung aus einer falschen Richtung. Die einen den ken an eine neue Methode, die sie, so wie sie sind, morgen schon anwenden könnten. Und sie sind verärgert, wenn ihnen gesagt wird, daß sie selbst anders werden müßten, daß ihre persönliche, gefühlsmäßige Haltung gegenüber dem Proletariat anders werden muß... Wir Priester selbst müssen umlernen. Metanoeite! Sonst helfen alle Methoden nicht. Wir brauchen nicht Proletarier zu werden. Aber so lange viele Priester typisch bürgerlich sind in ihrem Beneh men, Umgang, Denken, Reden, dürfte es keinem Priester verübelt werden, wenn er typisch Proletarier würde im Um gang, im Denken und Reden. Wir sollten weder das eine noch das andere, son dern Priester sein, die allen alles werden wollen, nichts weiter. Vor allem müssen wir als Priester und Hirten der Seelen jede parteipolitische, heute meist gleichbedeutend mit klas senpolitischer Haltung überwinden, müssen offen sein jeder Ehrlichkeit und jedem guten Unterfangen, gleichviel auf welcher Seite es sich zeigt. Wir müssen an jeder ehrlichen Kritik die Ehrlichkeit gelten lassen und dürfen sie nicht über hören. Wir müssen das Gewissen der Menschen achten. Auch dann, wenn es sich irrt, ehrlich irrt. Die Sozialisten müssen im Priester den für jedes Opfer bereiten, jedem guten Werk offenen Helfer sehen, der gerade aus seiner priesterlichen Liebe heraus die Unversöhnlichkeiten des po litischen Kampfes in Verständnis und Liebe überwindet. Nur wo Böswilligkeit das Retten unmöglich macht, dürfen wir ein Wehe rufen. Selbst dann müssen wir dem Heiland und nicht den Pharisäern gleichen, der sich gerade der gesell schaftlich und religiös Verfemten an nahm..." „Erst aus der Haltung des guten Hirten heraus, der seinem verlorenen Schäflein den Irrweg nachgeht, um es heimzufuh ren, werden wir fähig, Einfluß zu neh men ... Wir müssen es, praktisch gespro chen, soweit bringen, daß auch soziali stische Gruppen im Priester wieder den unbestechlichen Vorkämpfer für Recht sehen und zu ihm Vertrauen fassen, ihn um Rat fragen. Sie müssen an ihm jene durch kein Vorurteil des Standes oder Partei getrübte Weite des Verstehens und der Liebe finden, die ihn erst wahr haft heraushebt über die Engherzigkei ten des Tageskampfes. Erst wenn das in wahrer priesterlicher Haltung begründete Vertrauen der vie len noch gläubigen Arbeiter zum Prie ster da ist, wird unser Wehe gegen die Freidenkerei und den widerchristlichen Kulturkampf wieder Zuhörer und Ge folgschaft und damit Einfluß haben." Im Aufsatz „Kirche und Proletariat'"" faßt Pfliegler seine Darlegungen, unter Berücksichtigung der darauf erfolgten Reaktionen, in folgenden Thesen zusam men: „n. Warum müssen wir uns gerade um die Proletarier annehmen? 1. Einfach, weil sie heute am gefährdetsten sind. Der Missionsbefehl Christi gilt dort am meisten, wo er am meisten nottut. 2. Weil wir ein Unrecht gutzumachen haben. Oft genug wurde gegen ihre Forderung von unserer Seite Stellung genommen, um die berühmte .gottge wollte* Ordnung zu retten. Aber diese Ordnung ist recht heidnisch und grau sam und wir sahen das oft nicht einmal... 3. Weil wir glauben müssen, daß ge rade unter diesen armen Menschen viele eigentlich für die Heilsbotschaft aufge schlossener sind als unsere Gewohn heitsehristen... Nicht religiöse Gleichgül tigkeit und Gewohnheit wird die Zu kunft haben. Oft, ja meist ist das Rütteln an religiösen Dingen nur der zornige Ruf nach Klarheit und Wahrheit. 4. Weil die Zeit drängt. Weil wir noch glauben können an die in der heiligen Taufe grundgelegten Gaben des Glau bens. Bei den ungetauften Neuheiden, die heraufkommen, können wir nicht mehr rechnen damit. ni. Wie sollen wir drangehen? 1. Homiletische Widerlegung nützt nichts. Was wir da sagen, hören jene nicht, welche es anginge und reizt meist mehr und verhärtet. Wir wollen nicht Politik auf der Kanzel treiben, aber auch keine Antipolitik. Wir haben das Wort Gottes zu verkünden, aber in der ganz einschneidenden Schärfe und der immer zeitgemäßen Lebenskraft, wie es in der Bibel steht. Wir dürfen nicht die Bibel nach dem Zeitgeist erklären, sondern den Zeitgeist am Worte Gottes messen. 2. Wir müssen Achtung haben vor jeder Überzeugung. Das gebietet uns jede Moral. Nur so werden wir Ver trauen gewinnen und das Recht auch dann sehen, wenn es auf der anderen Seite steht... 3. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Sozialismus als Wirtschaflslehre imd dem Sozialismus als Erlösungshoff nung des Proletariats. Jene geht uns Priester zunächst nicht an. In diesem müssen wir den wahren und berechtig ten Erlösungshunger sehen und mithel fen im Geiste unseres Meisters. Um die Armen, Unterdrückten, aus der Gesell schaft Ausgestoßenen hat der Heiland sich zunächst angenommen. Keine Apo logie, nur die lebendige Kraft eines neuerwachten christlichen Gewissens wird es machen... 4. Wir dürfen nur unsterbliche Seelen und keine politischen Gegner kennen, und diese müssen wir aufsuchen, ihnen nachgehen...". Im gleichen Aufsatz warnt Pfliegler eindringlich, gleichsam schon das spä tere Experiment des „christlichen Stän destaates" vorausahnend, die „große Frage" mit politischen Mitteln lösen zu wollen: „Wir dürfen uns keinen trügeri schen Hoffnungen hingeben, als ob die Frage doch noch anders, etwa durch einen österreichischen Mussolini oder die Monarchie oder eine starke parla mentarische Rechte gelöst werden könnte... Alle Erwartungen, die nicht aus dem Glauben kommen, alle Hoff nungen, welche uns selbst als Hirten der Seelen nur einschläfern können, wollen wir lassen... Unser Vertrauen liegt im Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat. Nirgends sonst." Im Artikel „Sozialistenseelsorge?", der, schon früher gechrieben, erst im November 1930 im „Seelsorger" er schien", geht Pfliegler einleitend auf vorgebrachte Einwände und bisherige Versuche, die Frage zu lösen, ein: „Viel leicht sagt einer gleich, daß es so was nicht gebe. Wenn das heißen sollte, es könne eine Seelsorge an Sozialisten nicht geben, dann bedeutete das in vielen Diözesen das gewollte Aufgeben des größeren Teiles der Getauften. Das hieße dem Auftrag Christi selbst Gren zen setzen, hieße, sich in der Arbeit für das Reich Gottes durch geschichtliche Parteien und Mißverständnisse beengen lassen. Wir müssen daran, ob wir wollen oder nicht. Unter allen Methoden, die hier in Frage kämen, ist die bisher fast als d i e 11
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