Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Zweck des Vereines war die „sittliche und intellektuelle Hebung des Arbeiter standes"; Politik war ausgeschlossen. Der Vereinszweck sollte durch eine Bü cherei und durch Vorträge und Ver sammlungen erreicht werden. Auch ma teriell sollte dem Arbeiter geholfen wer den. 1873 wurde ein Spar- und Vorschuß verein für Mitglieder des Katholischen Arbeitervereines genehmigt,bald darauf ein katholischer Arbeiterbauverein auf der Landstraße gegründet.Durch diesen Bauverein sollten zwei große Arbeiter wohnhäuser errichtet werden. Von Kai ser Franz Joseph trafen fiir diesen Zweck laufend Spenden ein, femer spendeten viele Adelige und Bischöfe und vor allem die Arbeiter und Bürger des 3. Bezirkes; selbst die Kaiserinwitwe Karoline Auguste sandte eine Spende. 1874 wurde eine Witwenbeihilfe einge führt; beim Tod eines Mitgliedes bekam die Witwe von jedem Mitglied 20 Kreu zer. 1877 gab es bereits 185 Mitglieder; die Bücherei umfaßte 200 Bände. 1880 standen den Mitgliedern schon 18 Wohnungen zur Verfügung. 1882 ließ der Verein dem Reichsrat zwei Petitionen überreichen: 1. Maßnah men zur Belebung des Kleingewerbes. 2.Sonntagsruhe und Sonntagsheiligung. 1886 erfolgte eine Fahnenweihe und die; Weihe eines Vereinssaales. In dasselbe Jahr fällt die Gründung einer Singverei nigung. Der Verein zählte zu diesem Zeitpunkt 303 Mitglieder. 1887 wurde ein „Kranken- und Lei chenverein" angeschlossen. 1894 spendete die Gemeinde Wien erstmals 1000 Gulden. 1904 Gründung einer Jugendsektion, eines Vereinsorchesters und einer Thea tersektion. Mit großer Energie wurde der Bau von weiteren büligen,gesunden Arbeiterwohnungen vorangetrieben. 1907 feierliche Einweihung des ersten katholischen Arbeiterheimes durch WeihbischofDr. Gottfried Marschall. An dieser Feier nahmen Bürgermeister Dr. Karl Lueger und der christliche Arbei terführer Leopold Kunschak teil. Das katholische Arbeiterheim bestand nun mehr aus zwei Häusern; Göllnergasse 8 und 13. Es enthielt 52 Wohnungen,eine Gastwirtschaft, das Sekretariat, einen großen und einen kleinen Festsaal. 1938 wurde nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten der katho lische Arbeiterverein aufgelöst. 1939 folgte die Auflösung des katholischen Arbeiterbauvereines. Die vorhandenen Vermögen wurden der „deutschen Ar beitsfront" einverleibt. Während der Na zizeit war die gesamte Liegenschaft zweckentft-emdet; nach Kriegsende zeig ten die Räume ein Bild der Verwüstung, auch Luftkriegsschäden waren zu ver zeichnen. Ab 1948 wurde die Rückgabe der Objekte an den katholischen Arbeiter verein angestrebt. Nach einem dreijähri gen Instanzenweg konnte 1951 das Ob jekt Göllnergasse 8 wieder vom Katholi schen Arbeiterverein benützt werden; am 28. Dezember dieses Jahres konnte der Katholische Arbeiterverein einen Raum in Anwesenheit von Erzbischof Kardinal Dr. Theodor Innitzer wieder in Gebrauch nehmen. Die noch lebenden Vereinsmitglieder begannen mit einer umfassenden Ver einsarbeit nach dem Vereinsgesetz.Zum Präses wurde Kaplan Josef Öfferl^ aus der Pfarre Wien m, Erdberg bestellt, erster Senior (heute Obmann) nach der Reaktivierung des Vereines wurde Karl Pecha. Diese Männer der „ersten Stunde" nach dem Krieg renovierten notdürftig die verschiedenen Räumlich keiten, sodaß ein bescheidenes Vereins leben aufgenommen werden konnte. 1955 begann mit Hilfe des „Diözesanen Hilfsfonds für Familienhilfe" auf dem zerbombten Grundstück Göllnergasse 24 der Bau von 26 Eigentumswohnungen für junge Arbeitnehmerfamilien und eines Arbeiterwohnheimes für 120junge Arbeitnehmer. Die Grundsteinlegung nahm noch Erzbischof Kardinal Dr. Theodor Innitzer vor. 1957 weihte der neuernannte Erzbi schof von Wien, DDr. Franz König, das Arbeiterwohnheim und die Eigentums wohnungen ein. Seit 1954 war Pfarrer Hartwig Balzen Präses des Vereines, hauptamtlicher Sekretär JosefLindner. 1960 erwarb der Katholische Arbeiter verein nach langjährigen Bemühungen das alte Vereinshaus, Göllnergasse 8, zurück. Der Verein war nunmehr end gültig wieder Eigentümer sowohl des Arbeiterwohnhauses Göllnergasse 2-4 als auch des Hauses Göllnergasse 8. In dieser Zeit entsandte die Katholi sche Arbeitnehmerbewegung der Erzdi özese Wien(KAB)ihren Diözesanvorsitzenden und weitere Mitglieder der Di özesanleitung in den Vorstand des Ka tholischen Arbeitervereines.Die Zeitung der KABÖ, „Neuer Arbeiter" (jetzt: „Zeitzeichen"), wird in den Katholischen Arbeiterverein integriert. Somit wird der Katholische Arbeiterverein Rechts träger der KAB-Zeitung. 1965 übernahm Johann Zolitsch von der KAB Wien 22 als Sektretär der KAB von Sepp Lindner die Verwaltung des Arbeiterwohnheimes und des Katholi schen Arbeitervereines. 1970 wurde unter der Leittmg von Johann Zolitsch mit einer umfassenden Innenrenovierung begonnen. 1985 erfolgte ebenfalls unter der Leitimg von Johann Zolitsch der Beginn einer umfassenden Außenrenovierung des „Kardinal-Innitzer-Arbeiterwohnheimes" und des Vereinshauses Göllner gasse 8. 1990 wurde die Außenrenovie rung abgeschlossen. Der Katholische Arbeiterverein auf der Landstraße ist heute mit seinem Arbeiterwohnheim eine BUdungs- und Heimstätte für 120 Arbeitnehmer und als Rechtsträger für Einrichtungen der KAB zu einem Werk der Katholischen Arbeitnehmerbewegung in unserer Erz diözese Wien geworden. Anmerkungen: •Kammerrat Günter Pichl ist seit 1967 Obmann des Katholischen Arbeiterver eines aufder Landstraße. 'Karl Krückl (1825-1897), seit 1869 Pro fessor für Moraltheologie an der Univer sität Wien. 2 Joseföfferl(1913-1990). Hildegard Burjan-eine Frau der sozialen Tat Von Ingeborg Schödl* Im linken Querschiff der Wiener Votivkirche erinnert ein 1964 vom Land Nie derösterreich gestiftetes Glasfenster an die Päpstliche Sozialenzyklika „Rerum novarum" und an die Vertreter der katholischen Soziallehre in Österreich. Zu sehen sind darauf neben Papst Leo Xin. u. a. auch der große Sozialreformer Carl Freiherr von Vogelsang, der Arbei ter-Seelsorger und Gründer der Kalasantiner Anton Maria Schwartz, der christliche Arbeiterführer und Politiker Leopold Kunschak und der bedeutend ste Führer der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik Prälat Dr. Ignaz Seipel. Links am Rande entdeckt der Betrachter auch eine Frauengestalt. Es handelt sich dabei um die erste christ lichsoziale Abgeordnete im Parlament nach dem Zusammenbruch der Mon archie und Gründerin der religiösen Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis -Hildegard Burjan (1883-1933). Sie war eine der ersten Frauen, welche die Prin zipien der katholischen Soziallehre und die Aussagen der Sozialenzyklika „Re rum novarum"(RN) sowohl auf politi scher wie auch auf sozialer Ebene in die Praxis umzusetzen versuchte. Das von ihr entworfene Sozialprogramm ist heute noch genauso aktuell wie zu ihren Lebzeiten. Viele von ihr ins Leben geru fene Initiativen gehören heute noch un ter meist anderem Titel zum festen sozialen Angebot von Gemeinden und karitativen Organisationen. Wer war Hildegard Buijan? Wer war diese Frau, welche die Verkündigung „der Liebe Gottes durch den sozialen Dienst" zu ihrer Lebensaufgabe machte? (RN 45: Das Heil ist... von der vollen Betätigung der Liebe zu erwarten... die der kurzgefaßte Inbegriff der evangeli schen Gebote ist... bereit... sich selbst für des Nächsten Heil zu opfern...). Sie wurde am 30. Jänner 1883 in Görlitz (Preußisch-Schlesien) als Hilde gard Freund geboren und stammte aus einer liberalen jüdischen Familie. Der Vater, ein Kaufmann, übersiedelte mit seiner Familie aus beruflichen Gründen zuerst nach Berlin, wo Hildegard das Gymnasium besuchte, und später in die Schweiz. Als eine der ersten Frauen begann sie nach der Matura in Zürich zu studieren, und zwar Germanistik. In dieser Zeit versucht sie sich, angeregt durch Professor Friedrich Foerster und Robert Saitschik, mit dem katholischen Glauben auseinanderzusetzen. Ihre in tensive Suche nach dem Sinn des Le bens, ihr Fragen nach dem Wesen Got8

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=