eine religiöse und moralische Frage ist, wendet sich der Klerus mit Recht der Lösung dieser Frage zu. Die Priester sollen daher aus den Evangelien die Lehren Jesu Christi darlegen, die, wenn sie auch die Spaltungen nicht ganz aufheben,so doch mildern; sie sollen die Reichen an die Übung der Gerechtigkeit und Liebe mahnen; die Armen aber sollen sie lehren,nach dem Beispiel Jesu Christi geduldig die unausweichlichen Mühsale dieses Lebens, das Kriegsdienst auf Erden ist (^job 7,1), in Hoffnung auf die künftige Herrlichkeit zu ertragen. Sie sollen nützliche und passende Ver eine, die geeignet sind, die Lage der Arbeiter zu verbessern, fordern, jedoch unter Führung der Religion, damit sie sich nicht zum Schlechten entwickeln. Diese Tätigkeit des Volkes darf nie der Aufsicht der Kirche entzogen werden; denn die Kirche beschneidet mit ihrem mütterlichen Eintreten keineswegs die Freiheit des Klerus und der Katholiken, sondern beschützt sie vielmehr. Die Priester, die in diesem Bereich tätig sind, sollen immer ihrer priesterlichen Würde und Sendung, die in erster Linie die Seelsorge sein muß, eingedenk sein. Sie sollen jede Sprache vermeiden, die in den Arbeitern Haß und Abneigung gegen die Klasse der Herren und Rei chen hervorrufen könnte.'®" Ähnlich lautete die Mahnung der Bi schöfe an den Klerus im Jahr 1910: „Die Bischöfe sind voll davon überzeugt, daß der Klerus auch dazu berufen ist, die sogenannte soziale Aktion nach dem Geist der Kirche und der Lehren Leos XIII. seligen Andenkens zu fordern, unter Berücksichtigung der Erforder nisse des Ortes und der Bevölkerung. Der Klerus, der sich dieser Tätigkeit heilbringend zuwendet, soll immer vor Augen haben, daß er, wenn er den irdischen Bedürfnissen Abhilfe ver schafft, den Geist Christi im christlichen Volk lebendig macht. Überdies sei der Klerus bei seiner sozialen Tätigkeit ein gedenk der schon genannten Mahnung des Apostels: ,Keiner, der Gott dient, soll sich in weltliche Geschäfte einlas sen'(2Tim 2,4)."®® Am 4. August 1918, wenige Monate vor Ende des Ersten Weltkriegs, mahn ten die Bischöfe angesichts der zuneh menden Not den Staat an seine Pflicht, besonders die Armen zu schützen®®; in diesem Zusammenhang zitieren sie auch ausdrücklich die Enzyklika ,Rerum no varum': Eine der empfindlichsten Kriegsfolgen ist der Mangel an jenen Lebensmitteln, mit denen man haupt sächlich den Hunger zu stülen pflegte; dazu kommt noch die ungeheuere Ver teuerung derselben. Die Armen suchen heute vielfach nicht Geld,sondern Nah rung und Kleidung. Gewiss ist es vorerst Pflicht der Staatsgewalt, für eine ge rechte Verteüung der im eigenen Lande vorhandenen und aus dem Auslande erreichbaren Lebensmittel zu sorgen. Besonders hat sie hierin die Armen zu schützen. Leo XIII. hat in seiner unver gänglichen Enzyklika ,Rerum novarum' diesen Gedanken in folgende glänzende Form gekleidet: Eine ganz besondere Fürsorge muss sich der Staat für die niederen und unvermöglichen Volks schichten angelegen sein lassen. Die Klasse der Wohlhabenden hat eben in ihren eigenen Mitteln gleichsam einen Schutzwall und braucht darum den öf fentlichen Schutz weniger; die besitzlose Menge dagegen ist der eigenen Hilfsmit tel bar und ist darum auf die Hilfe des Staates angewiesen. Darum muss der Staat die Besitzlosen in seine besondere Obhut nehmen'®'." Anmerkungen: 'Epistola Sanctissimi Domiiü Nostri Leonis PP. Xin. ad Archiepiscopos et Episcopos Imperii Austriaci; WDBl.1891, S.61-63. ®Ebd. S. 63 (Übersetzung des lateini schen Originaltextes vom Verfasser). "Gemeinsames Hirtenschreiben der hochwürdigsten Erzbischöfe und Bi schöfe Österreichs; abgedruckt in: WDBl.1891,S.37-41. 'Ebd.S.38. "Diözesanarchiv Wien (im folgenden DAW), Bischofskonferenz, Karton 8, Protokoll der Conferenz des bischöfli chen Comites vom 4. bis 8. November 1889; das Elaborat wurde von Prof. Franz Martin Schindler verfaßt. "DAW, Bischofskonferenz, Karton 8, Protokoll der Conferenz des bischöfli chen Comites in Wien vom 5. bis 9. November 1891,Prag 1892,S.6f. ^Ebd.S.3. "Der lateinische Originaltext ist abge druckt in: Protokoll der Bischöflichen Versammlung in Wien vom 10. bis zum 20. November 1891, Prag 1892 (DAW, Bischofskonferenz, Karton 8), S. 63f.; die folgende auszugsweise Übersetzung stammt vom Verfasser. "Ebd.S.64. '"Abdruck des Referates ebd. S. 136-138. "Protokoll der Bischöflichen Ver sammlung(wie Anm.8)S. 15f. '®Hirtenschreiben der zu Wien ver sammelten hochwürdigsten Herren Erz bischöfe und Bischöfe Österreichs an die Gläubigen ihrer Diöcesen, Wien, 11. November 1891; abgedruckt in: WDBl. 1891,S.269-274. "'Ebd.S.271-273. '^Ebd.S.273. '•'"'Litterae pastorales Reverendissimorum Dominorum Archiepiscoporum et Episcoporum Austriae Viennae adunatorum ad Venerabüem Suum Clerum; abgedruckt in: WDBl. 1891, S. 277-282; auszugsweise übersetzt bei Ferdinand Bischof, Kardinal Gruscha und die so ziale Frage, Diss. an der rechts- und staatswiss. Fak. der Universität Wien 1959,S. 178f. '"WDBl. 1891,S. 278-281. "Protokoll der Bischöflichen Ver sammlung in Wien vom 2. bis zum 10. April 1894, Prag 1894 (DAW, BIKO, Karton 8)8f. '"Vgl. dazu den Artikel von P. Walde mar Posch in diesem Heft und ausführ lich Gavin Lewis, Kirche und Partei im Politischen Katholizismus. Klerus und Christlichsoziale in Niederösterreich 1885-1907, Wien-Salzburg 1977 (Veröf fentlichungen des Institutes für Kirchli che Zeitgeschichte am Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg II/4) 291ff und 323ff. '"Gemeinsamer Hirtenbrief der hoch würdigsten Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs, Jänner 1897; abgedruckt in: WDBl.1897,S.25-31. ®®Ebd.S.28-30. ®'Gemeinsames Hirtenschreiben der hochwhirdigsten Herren österreichischen Erzbischöfe und Bischöfe, 28. November 1897; abgedruckt: WDBl. 1897, S. 277-280. ®®„Immortale Dei miserantis opus", 1. November 1885. ®®Ebd.S.278. ®'Hirtenschreiben des österreichi schen Episkopates, 15. November 1901; abgedruckt: WDBl.1901,8.241-248. ®®Ebd.S.246f. ®"Lateinischer Hirtenbrief der öster reichischen Erzbischöfe und Bischöfe an den Klerus, 18. Oktober 1906; abge druckt: WDBl. 1906, S. 253-257; die fol gende auszugsweise Übersetzung des lateinischen Textes stammt vom Verfas ser. ®'EnzykIika „Graves de communi" vom 18. Jänner 1901 über die christliche Demokratie. ®«WDB1. 1906,S. 255f. ®"Lateinisches Hirtenschreiben der österreichischen Erzbischöfe und Bi schöfe an den Klerus, 16. November 1910; abgedruckt: WDBl. 1910, S. 271-279, hier S. 277 (Übersetzung vom Verfasser). ""Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bi schöfe Österreichs vom 4. August 1918, Olmütz,S.6. "'Rerum novarum § 29. Chronik des Katholischen Arbeitervereines auf der Landstraße(KAV) Neu bearbeitet anläßlich des Jubiläums „100 Jahre katholische Soziallehre" von Günter Pichl* 1871 gründeten ehemalige Mitglieder des Katholischen Gesellenvereines im 3. Wiener Gemeindebezirk einen Arbeiter verein, zunächst als Zweig des Katholi schen Arbeitervereines Margareten. Die Gründungsversammlung verlief sehr stürmisch, da die damaligen kirchen feindlichen Liberalen die Gründung ver hindern wollten. 1872 wurde der Katholische Arbeiter verein selbständig. Seine Statuten wur den am 12. Juni behördlich genehmigt. Präses war Univ.Prof. Dr. Karl Krückl', Senior der Zimmermann Florian Sterzl.
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