rer Joseph E. Mayer einen ergreifenden Abschluß durch den ,.Mahnruf an die Lebenden". Die Toten mahnen. Tiefe Stille lag über der Zuhörerschaft. An ihrem Geist zogen die mahnenden Toten vorbei und rüttelten die Gewissen wach. Am Schluß jeder Predigt erlosch das Licht. Zum Zeichen der Verbundenheit mit den Toten hielt jeder während der Schweigeminute eine brennende Kerze in der Hand, während dumpf und schwer die Totenglocke durch den Raum dröhnte. Ein Gebet für die Toten und eine Segensandacht gaben den er schütternden Predigten einen versöhnli chen Ausklang; „Leute mit tiefen See lenwunden fanden Trost und Frieden... wie Balsam wirkten die ernsten, aber lebensnahen Worte der berühmtesten Kanzelredner, die in dieser Woche zu Worte kamen... Alle haben die Schrekken des Krieges selbst erlebt. Selbst ergriffen, konnten sie die Herzen der gequälten Menschen packen. Aus der Fülle des Herzens sprechend gingen ihre Worte zu Herzen. Prof. Otto Mauer war tief beeindruckt von der seelischen Erregung der Gläubi gen. die diese Woche auslöste und in der verstärkte Hinkehr zum Gebet und Sa kramentenempfang ihren Ausdruck fand. Er meinte, solche Wochen müßte man auch im Gedenken an die Beken ner des Glaubens veranstalten. Alle waren dankbar für den würdigen Ablauf dieser Gedenkfeier, besonders da nach aufwendiger Propaganda diese groß an gelegte Feier abgesagt hätte werden müssen. Die Vorbereitungen für die Gedenk woche und die geplante Andachtstätte nahmen ihren vollen, höchst zufrieden stellenden Verlauf. Da fiel wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Name „Wotruba" in die anlaufenden Planungen zur Gedenkstätte. Eine Wiener Zeitung brachte die Nachricht, daß in der ge planten Gedenkstätte nicht nur der Ge fallenen, sondern auch der Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung, der Frauen und Kinder, die im Bombenhagel ihr Leben lassen mußten, sowie der Opferder Konzentrationslager gedacht werde. Und dann kam der Satz mit dem ver hängnisvollen Namen: „Eine große Pietä-man plant, die Plastik bei dem bekannten Bildhauer Fritz Wotruba in Auftrag zu geben - wird das weihevolle Bild des Raumes vervollständigen''. Kurz darauf eilte der Bezirksvorsteher von Mariahilf, Bittner, ins dortige Pfarr amt mit der Nachricht, Wiener Künstler hätten die Nacht hindurch eine stürmi sche Sitzung wegen Wotruba abgehal ten und brachte Auszüge aus dessen Werk: „Überlegungen. Gedanken zur Kunst"'-, die für die katholische Kirche nicht gerade schmeichelhaft waren. Wo truba wurde in einer Zeitung'" als Geschäftemacher gebrandmarkt. „Ein Künstler beschimpft die Kirche und - bewirbt sich in Wien um einen kirchli chen Auftrag". Übel wurde vermerkt, daß der Emigrant während des Krieges ein Heldendenkmal gestalten solle. In Wahrheit hatte sich Wotruba überhaupt nicht um einen kirchlichen Auftrag be worben, sondern ein junger Journalist hatte von sich aus Wotruba genannt, weil er ihm unter den Künstlern am bekanntesten schien''. Daher wurde auf eine Anfrage von selten des „Wiener Samstag" mitgeteilt, daß die Kirchenvorstehung niemals von sich aus Wo truba für den Auftrag ins Auge gefaßt habe'""'. Zugleich aber wurde der „Widerstand gegen Wotruba" durch den Künstlerkreis auch damit begründet, daß „Wotruba als offizieller Vertreter Österreichs zu den in Venedig abgehal tenen UNESCO-Künstlerkongreß abge sandt worden war, ohne die Künstler schaft vorher zu befragen'"". Damit fand der Pressekrieg seinen Abschluß. Nun aber begannen Wotrubas wegen die internen kirchlichen Auseinander setzungen, die nicht so sehr die Person des Künstlers betrafen,sondern denjeni gen, der für die Errichtung dieser Ge betsstätte Propaganda gemacht hatte. Unter Berufung aufeine zufällige Unter redung mit Kardinal Innitzer nach einer Veranstaltung teilte mir der damalige Provinzial der Salvatorianer P. Roland Macho folgends mit": „Inzwischen ist auch die ganze Angelegenheit in die Presse gekommen und bis zu Seiner Eminenz gedrungen, der von den Vor würfen, die ihm darob gemacht wurden, sehr unangenehm betroffen ist und der ganzen Sachen ablehnend gegen übersteht... Ich bitte Sie darum, diesen Plan sofort fallen zu lassen und vor allem das Plakat (Werbeplakat für die Gedenkstätte) an der Kirchenfassade zu entfernen." Inzwischen war die Druckerlaubnis für die Flugschrift „Wir beten für die Toten des Krieges und der Willkür" vom Ordinariat in Mariahilf eingelangt'®. Auch die einzelnen Prediger hatten be reits ihre Themen ausgearbeitet, so daß eine Absage der groß angekündigten Gedenkwoche nur weitere Komplikatio nen ausgelöst hätte. So konnte die Feier allen Hindernissen zum Trotz einen überaus würdigen Verlaufnehmen. Das hatte zur Folge, daß allgemein - mit Ausnahme eines kleinen Kreises - bedauert wurde, daß die Gedenkstätte nicht errichtet werden konnte. Auch der Bezirksvorsteher und die Künstlerschaft waren nun enttäuscht. Man war ja nur gegen Wotruba, nicht aber gegen das Mahnmal. Obwohl ich wußte,daß es nun sinnlos sei, weiter in dieser Richtung tätig zu sein, ging ich mit den Bauplänen der Firma F. Jakob zu Kardinal Innitzer. Er durchblätterte hastig die Pläne auf der Suche nach dem Entwerfer Wotruba. Als er diesen nicht fand, sagte er, eine Dame habe ihm den Zeitungsartikel gebracht und bedauert, daß man kirch liche Aufträge an kirchenfeindliche Künstler vergebe. Ich erwiderte, daß ich Wotruba noch nie gesehen und schon gar nicht ersucht hätte, für die Gedenk stätte einen Entwurf anzufertigen, und bot ihm Beweise für meine Darstellung an. Der Kardinal antwortete: „Nein, ich glaube Ihnen. Nach Ihrer Darstellung sieht die Sache ganz anders aus... Ge gen das Projekt habe ich nichts einzu wenden. Nun aber ist dieses Projekt durch diese Angelegenheit belastet... Machen Sie sich nichts daraus." Der Kardinal war Menschenkenner genug, um zu erkennen, daß Wotruba nicht allein schuld am Fall meines Planes war. Zusammenfassung: Die Gedenkwoche der Toten des Krieges und der Willkür in Mariahilf hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß die Toten in Österreich keineswegs vergessen sind. Die Räume der Gruft blieben erhalten für eine Zeit, die sich verpflichtet fühlte, den Rand gruppen der Gesellschaft eine Stätte der Zuflucht zu gewähren'®.Es konnte zwar 1952 kein Mahnmal aus Stein, wohl aber ein Denkmal des Wortes und des Gebe tes geschaffen werden. Anmerkungen: 'Friedrich Heer, Vorwort zu Steiners „Zum Tod verurteilt", S. 13, in: Wr. Gesch.-Blätter, 43. Jg., Heft 1, S. 4, Anm. 10. Pfarr-Chronik St. Michael, 1939-1976, S.27. "Ebenda S.26 u.31. 'Ps. 129, 1. Waldemar Posch, Inschriften der Grabsteine in der Mariahilferkirche, in: Mariahilfer Pfarrbote,54.Jg. 1, 1978. "Franz Jakob ermöglichte auch die allmähliche Restaurierung der desolaten Mariahilferkirche dadurch, daß er sich bereit erklärte, die Pfarre könne nach Belieben ihre Bauschuld in kleinen Ra ten abtragen. 'Unser Hausfrauen-Magazin, Folge 6, August 1952,S.2. ® 24. Sept. 1952,Nr.223, S.3. ® Das Kleine Volksblatt, 18. Okt. 1952, Nr.24,S.3. '" Der Chronist, in Mariahilfer Pfarr bote, Nr.4, 1952/53. '' Gedenkstätte für die Toten des Krieges, in: Neue Wiener Tageszeitung, 24. Sept. 1952, Nr.223,S. 3. '- Verlag Oprecht,Zürich-New York. '"Wiener Samstag, Unparteiische Wochenzeitung,Jg. 1, Nr. 2, 4. Okt. 1952, S.2. ''Neue Wiener Tageszeitung, 24. Sept. 1952. '•'■Wiener Samstag, 1. Jg., Nr. 3, 11. Okt. 1952. Ebenda. '" Brief V., 15. Okt. 1952. '"Schreiben des Eb. Ordinariates Wien, Z. 5981, 1952. An Stelle der Andachtstätte für die Toten konnte jetzt durch das Obdachlo sen-Hilfswerk „Gruft" von den Frauen der Vinzenz-Gemeinschaft ein Hilfswerk geschaffen werden, das täglich von etwa 100 Bedürftigen besucht wird. Die ehe maligen Grufträume umfassen einen großen Gemeinschaftsraum, eine Küche, Toiletten, drei Duschen und einen Um kleideraum, Wr. Kirchenzeitung, 140. Jg./Nr. 51, 18. Dez. 1988. S. 5. 63
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