Dorrünus, Altissimus: Als Sanctus galt der fromme,ja heiligmäßige Schneider, als Dominus, der Herr und Leiter der ganzen Diözese, Marschall, als Altissis mus der Höchstrangige, der Kardinal, über 80 Jahre alt, kränklich. Auf Anra ten der Ärzte verbrachte Gruscha die Wintermonate am Gardasee, den Som mer in Kranichberg. Nach dem Tode von Weihbischof Dr. Johannes Schnei der (26. I. 1905) rückte Dr. Marschall als Generalvikar und Dompropst nach. Jetzt leitete Dr. G. Marschall eigentlich allein die Diözese, ging unters Volk, suchte zu helfen, wo er konnte,gewann so die Herzen der Wiener. Er unter stützte die Männerarbeit von P. Hein rich Abel SJ und beteiligte sich an den Männerwallfahrten nach Mariazell. Die Bevölkerung der Kaiserstadt Wien wuchs ständig an, Riesenpfarren ent standen.Durch den Bau von Notkirchen (Neumargareten,Zwischenbrücken,Het zendorf u. a.)suchte Dr. Marschall die so schwierig gewordene seelsorgliche Lage der Stadt zu verbessern - ein Beweis echter verantwortungsvoller Hirten sorge. Kardinal Gruscha, bereits 90 Jahre alt geworden, nicht mehr einsatzfähig, ver langte eine Ablöse. Allgemein rechnete man, daß Dr. Marschall der Nachfolger sein werde. Aber zur allgemeinen Über raschung wurde Dr. Franz Xaver Nagl, Bischof von Triest, vom Kaiser zum Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge ernannt(1.Jänner 1910). Weder von Kardinal Gruscha oder dem Nuntius noch vom Kaiser war Dr. Marschall über die neu geschaffene Si tuation in der Erzdiözese informiert wor den, verständlich dann die Reaktion. Schwer gekränkt legte Dr. Marschall alle Ämter nieder, blieb weiter Dom propst. Die Funktion als Generalvikar endete mit Ernennung des ErzbischofKoadjutors. Die Bestürzung und Enttäuschung unter der mächtigen Anhängerschaft nützte die freisinnige Presse aus, ver breitete Hetzartikel gegen Kirche und Rom. Eine große Anzahl von Gemein den im Bezirk Mistelbach, wo er sich gerne aufgehalten hatte, verlieh dem angesehenen Volksbischof die Ehren bürgerschaft (darunter Wildendüm bach). Die Sympathiekundgebungen in der Stadt zeigten die große Beliebtheit, die vor ihm keiner erlangt hatte, Der Nachfolger, Biachof Dr. Franz Nagl, hatte keinen leichten Anfang, mußte manches über sich ergehen lassen. Mit Ruhe, Klugheit und Tatkraft überwand er alle Schwierigkeiten, gewann bald Volk und Klerus. Unter der Wiener Bevölkerung ver breitete sich folgender Spruch, der uns verschlüsselt die rechte Antwort gibt, wieso Marschall nicht Erzbischof von Wien wurde: „Er (Marschall) ging über einen HOHEN-BERG,stolperte über einen STEIN und trat sich einen NAGEL ein." Die Vertrauensstellung, die Dr. Mar schall beim kaiserlichen Hof hatte, ihn beglückte, verursachte auch,die bitter sten Enttäuschungen. Kaiser Franz Jo seph hatte Dr. Marschall, den Erzieher des Thronfolgers, beauftragt, den Erz herzog Franz Ferdinand von der geplan ten Heirat mit der nicht ebenbürtigen Sophie Gräfm Chotek abzubringen. Nach altem Habsburger-Hausgesetz war einem Thronfolger eine solche Ehe un tersagt. Wir wissen nicht, wie Dr. Mar schall diesen so heiklen Auftrag über mittelt hat. Franz Ferdinand, bisher freundschaftlich mit seinem ehemaligen Lehrer verbunden, zeigte sich tief ver letzt, geriet in Wut und trennte sich von da an von Dr. Marschall und empfing ihn nicht mehr in seiner Residenz(Belvedere) und mied jeden Verkehr mit ihm. In seinem Zorn soll Franz Ferdi nand die Bemerkung gemacht haben: „Der (Marschall) kann froh sein, wenn er letzter Kanonikus von Gurk wird!" Daß auch Gräfin Chotek,später geadelt, Fürstin von Hohenberg, ähnlich rea gierte, wie ihr künftiger Gemahl, kön nen wir uns vorstellen. 1900 ehelichte Franz Ferdinand die Gräfm Chotek, beide waren glücklich, vorbildlich ihr Ehe- und Familienleben! Nun in Un gnade bei Franz Ferdinand gefallen, hatte Dr. Marschall keine Chance mehr, zur höchsten kirchlichen Würde von Wien berufen zu werden. „Stein des Anstoßes" mag Rom (Fel sen Petri!) gewesen sein, wo man mit Marschalls Amtsführung nicht so zufrie den war. Bei den verlangten Reformen wollte er nichts überstürzen, vertrat mehr eine ausgleichende liberale Rich tung, was mißfiel. Rom bevorzugte den 54jährigen, kraftvollen Dr. Franz Nagl, der für Reformen eintrat, während Dr. Marschall bereits 70 Lebensjahre er reicht und seine Schaffenskraft im Dienst der Kirche fast erschöpft hatte. Dr. G.Marschall wurde nicht Erzbischof von Wien, das schmälert nicht seine Bedeutung und Verdienste,die er sich in der Erzdiözese erworben hat. Er ist den großen,bedeutenden Weihbischöfen und Generalvikaren beizuzählen. Um nach dem großartigen beruflichen Aufstieg jetzt das Ende einer glänzenden Laufbahn erleben - verkraften - zu können, entschloß sich Dr. Marschall auf zwei Monate (Marz/April 1910) ins Ausland zu reisen, wohl auch, um dem neuernannten Oberhirten nicht im Wege zu stehen. Auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land wollte er den Spuren des Erlösers, seinen Opfertod betrachtend, nachgehen, hoffte hier Entspannung und Trost zu gewinnen. Nur ein knappes Lebensjahr lag mehr vor ihm. zu groß die Erschütterungen, erschöpft alle Le benskraft. Am 23. März 1911 starb Dr. G. Marschall. Auf dem Heilig.städter Fried hof wurde er vorübergehend beigesetzt, denn seine letzte Ruhestätte wünschte er sich in der von ihm so geschätzten Votivkirche. Vor dem Herz-Jesu-Altar, den er errichtet hatte, befindet sich sein Grab. Die riesige Anteilnahme des Vol kes an seinem Begräbnis zeigte noch mals, wie beliebt dieser Volksbischof gewesen ist. Dr. Marschalls Verbindimgeii zur Pfarre Wildendümbach: Weihbischof Dr. Godfried Marschall blieb, nachdem er in Wien zu hohen Ämtern, Würden aufgestiegen war, mit der Pfarre und vor allem mit Neurup persdorf verbunden, übernahm gerne Funktionen. Nur wenige Berichte liegen uns vor: Dr. Marschall war Firmpate des jungen Ignaz Patz (Neuruppersdorf Nr. 70)- das dürfte kein Einzelfall gewesen sein. 1889 war er Primizprediger bei Ignatz Patz -... „der päpstliche Haus prälat Propst Dr. G.Marschall, der seine Jugendjahre in Neuruppersdorf ver lebte." - „Ignaz Patz kam durch seinen Gönner Marschall als Kooperator nach Ober-St. Veit, Wien Xin., eine beson dere Begünstigung für einen Neuprie ster." 1897 weihte er den neuen Hoch altar der Pfarrkirche. Bedauerlicherweise kam es 1901 zu Verstimmungen und Differenzen. Pfar rer Franz Klempa - Kardinal Dr. Innitzer hat ihn scherzhaft als „Franz den Streitbaren" bezeichnet - untersagte dem Kooperator Patz wegen abfalliger Äußerungen das Zelebrieren in der Pfarrkirche. Darüber beschwerte sich der Kooperator beim Konsistorium, ver klagte den Pfarrer auch wegen seiner scharfen Predigten auf der Kanzel. „Weihbischof Marschall, der Protektor des Patz, nahm bereitwilligst diese An klage an." Pfarrer Klempa aber wandte sich direkt an das Diözesangericht. Die Klage des Patz wurde abgewiesen. Da mit gab sich der Pfarrer nicht zufrieden und verlangte vom Konsistorium eine öffentliche Belobigung und erhielt sie auch „trotz Marschall"(Pfarrchronik). Zwei Jahre darauf visitierte der Weih bischof die Pfarre. In der Chronik lesen wir nur: „Vidi 3. VII. 1903 Dr. G. Mar schall" und vom Pfarrer darunter das Ergebnis „Ankunft des Bischofs um 'AS Uhr nachmittags, Abfahrt nach Laa 6 Uhr abends."- Wahrscheinlich der kür zeste Bericht über eine bischöfliche Visi tation! Zur Weihe der neuen Mariahilf-Kirche von Neuruppersdorf 1904 lud der Pfarrer den Dechant von Laa ein, wollte nicht den Weihbischof, der am 28. X. 1907 die Propsteikirche zu Staatz konsekriert hat. Später macht er die fadenscheinige Äußerung: „Man kann doch in Neurup persdorfkeinen Bischofbewirten!" Diese Auseinandersetzungen dürfen wir nicht überbewerten oder nach heuti ger Sicht beurteilen. Das wäre ein Fehl schluß. Alte Leute bestätigen uns... ..meine Großmutter, der Großvater hat oft von diesem Volksbischoferzählt." In der neuen St.-Peters-Pfarrkirche ist dem ehemaligen Schüler der hiesigen Pfarrschule,dem Ministranten der alten, 1971 abgebrochenen Pfarrkirche ein Gedenk-Dankzeichen gewidmet 1975. ein Altarstein in der Mensa des Marienaltares, den Weihbischof Dr. Marschall 1902 selbst konsekriert hat. Anmerkung: ')Vgl. Hans Kutschera, WeihbischofDr. Godfried Marschall. Phil. Diss. Wien 1957; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950. Bd. 6 (1975) l(»f.; Erwin Gatz (Hg.). Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945, Berlin 1983. S.477 f. 59
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