Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Ende des christlichen Antisemitismus Vortrag an der Universität Wien im Rahmen einer Veranstaltung der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich und des Koordinierungs ausschussesfür christlich-jüdische Zusammenarbeitam 22.April 1975 Heuer im Oktober sind es genau zehn Jahre, daß die „Judenerklärung" des II. Vatikanischen Konzils feierlich verab schiedet wurde. Der Text,dem die Väter des Konzils damals mit überwältigender Mehrheit zustimmten, hat ein für alle mal einen Schlußstrich gezogen unter das Phänomen des „christlichen Antise mitismus", der sich des Christlichen nur als Deckmantel bediente. Unmißver ständlich hat das Konzil in diesem Do kument betont, daß sich nach dem Plane Gottes die Anfänge des Glaubens der Kirche und ihrer Erwählung schon bei den Patriarchen, bei Mose und den Propheten finden... Die Konzilsväter haben damit nichts Aufsehenerregendes oder Neues zum Glaubensbewußtsein der Kirche hinzugefügt. Durch die Jahr hunderte hat die Kirche bei jeder Meß feier in der römischen Liturgie nach der Wandlung gebetet, daß Gott das Opfer Wohlgefallen möge wie einst das „Opfer unseres Vaters Abraham". Wichtig ist, daß die Kirche gesprochen hat und daß sie es unter den Augen der ganzen Welt beim Zweiten Vatikanischen Konzil ge tan hat. Auf kaum einem anderen Gebiet galt es so viel Schutt wegzuräumen wie auf dem der Beziehungen zwischen Christen und Juden. Nicht nur deswegen, weil Christen und Juden 2000 Jahre erbittert miteinander im Geistigen gerungen ha ben,sondern auch deswegen, weil Chri sten, solange die Macht auf ihrer Seite stand, den Juden Böses zugefügt haben. In diesem erbitterten Ringen war, so lange der Glaube noch die Gesellschaft und die geistige Welt geprägt hat, em gemeinsamer Grund gegeben. In einem Europa des selbstgenügsamen Dies seitsglaubens, der beginnenden Säkula risierung entstand aus einem Bündel verschiedener Motive jener Wahn, der unzählige Menschen aus rassischen Gründen und um ihrer jüdischen Ab stammung willen bekämpfte und ver nichtete. Die Christen müssen sich traurig und beschämt eingestehen, daß nicht wenige von ihnen vom Zeitgeist irregeführt wurden und damit jenem Wahn einen Teil der Vorwände geliefert haben. Und dies geschah, obwohl der Antisemitis mus-schon das Wort ist eine Prägung des 19. Jahrhunderts - im Juden doch auch den Glauben des Christen tödlich treffen und vernichten wollte. Die Kirche hielt es daher für angemes sen, in die Erklärung des II. Vatikani schen Konzils auch ein Confiteor einzubeziehen: „Im Bewußtsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgun gen gegen irgendwelche Menschen ver wirft, nicht aus politischen Gründen, sondern aufAntrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben." Das Konzilsdokument über das Ver hältnis zu den nichtchristlichen Religio nen (Nostra aetate) hat in seinem 4. Teil mit dem Dokument zur Judenfrage einen langen Reifeprozeß durchlaufen. So kam jene Urfassung, die Johannes XXm.von Kardinal Bea im Jahre 1962 erbeten hatte und die im gleichen Jahr der Zentralkommission des Konzils vor gelegt worden war, zum Abschluß. In diesem Dokument (Nostra aetate) spricht das Konzil außerdem in einer großartigen Schau der Einheit des Men schengeschlechtes über die religiöse Er fahrung alle Völker, wobei das dem Artikel 4 vorangegangene Kapitel dem Islam gewidmet ist, der mit dem Chri stentum und dem Judentum den Glau ben an den Gott Abrahams teilt. Mit klaren Worten hat das Konzil dem Antisemitismus jede pseudotheoloaiscbp Wurzel genommen; „Obgleich die jüdi sche Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heuti gen Juden zur Last legen." Historisch gesehen, sind für den Tod Jesu drei Personengruppen verantwort lich; Eine kleine Gruppe jüdischer Nota bler (der Hohe Rat), ein römischer Verwaltungsbeamter und eine Handvoll Sy rer, die zur 10. in Palästina stationierten Legion gehörten. Christus aber hat, wie die Konzilserklärung als ständige Lehre der Kirche unterstreicht, „in Freiheit, um der Sünden aller Menschen willen sein Leiden und seinen Tod aus unendli cher Liebe auf sich genommen, um unser aller Sünden willen, nicht etwa wegen der Verfehlungen der Juden.Erst das Kreuz, die demütige und freiwillige Annahme des Leidens durch Jesus hat die Versöhnung zwischen Gott und den Menschen gestiftet". Theologisch gese hen, ist es also irrig, den Juden gegen über die Anklage wegen Gottesmordes zu erheben.Daher hat sich das Konzil in der Endfassung des Textes auch gar nicht mehr mit diesem Vorwurf ausein andergesetzt. Die zentrale Aussage trifft der Konzilstext vielmehr dort, wo er, den Überlegungen des Apostels Paulus folgend, betont, daß die Juden niemals als von Gott verworfen bezeichnet wer den dürfen. Gottes Gnadengaben, seine Liebe und seine Berufung sind unwider ruflich.- Die Wiener Diözesansynode hat übri gens diesen Gedanken sehr schön ausge führt, wenn sie in einem „Appell" zur Frage der ,,christlich-jüdischen Begeg nung" sagt: „Es widerspricht der Lehre der Kirche Christi, die den Juden durch Jahrhunderte von Christen und Nichtchristen zugefügten Leiden und Demüti gungen als Folgen der Verstoßung durch Gott zu deuten. Daher müssen sich alle Christen von antijüdischen Affekten freihalten und etwaigen antisemitischen Diskriminierungen seitens anderer ent gegentreten. Die Kirche von Wien er wartet von den Katholiken, daß sie nichts unversucht lassen, um die zwi schen ihnen und den Juden bestehende und durch traditionelle Mißverständ nisse genährte Entfremdung zu über winden."... ...Die große Zäsur im Verhältnis von Juden und Christen brachten dann die NS-Verfolgungen. Schon in den dreißi ger Jahren war bei den Salzburger Hochschulwochen über das Thema „Die Kirche aus Juden und Heiden" referiert worden. Pius XI. prägte das Wort „Geistlich sind wir alle Semiten". Für den Wiener Bereich sei nur an das Wirken der „Erzbischöflichen Hilfsstelle für nichtarische Katholiken" erinnert, die nicht nur den Christen jüdischer Abstammung half. Dann, nach dem Krieg, hat sich im Bereich der Wiener Erzdiözese zunächst eine Kommission von Pax Christi um den Dialog zwischen Juden und Christen bemüht. Die jetzt von den vatikanischen „Richtlinien" für die Durchführung der Konzilserklärung „Nostra Aetate" geforderten regionalen Kommissionen sind für den Wiener Be reich mit dem „Koordinierungsausschuß für christlich-jüdische Zusammenarbeit" praktisch bereits seit zehn Jahren vor weggenommen worden. Der aus den Bemühungen von Pax Christi entstan dene Ausschuß stand von Beginn seiner Tätigkeit an auf einer ökumenischen Basis, so daß hier Christen verschiede ner Konfessionen mit den Juden zusam menarbeiten... ...Die Bemühungen des Koordinie rungsausschusses um Verständigung ha ben sehr wesentlich auch die Erklärung der Wiener Diözesansynode über das „Verhältnis der Kirche zu Nichtkatholiken, Juden und NichtChristen" beein flußt. Die Wiener Diözesansynode hat sich als eine der wenigen nachkonziiiaren Synoden in Europa mit dem Ver hältnis zu den Juden befaßt. Die Leit sätze, Resolutionen, Empfehlungen, Vo ten und Appelle zur christlich-jüdischen Begegnung sind von den Synodalen mit überwältigender Mehrheit angenommen worden,.. ...Wie es einer Empfehlung der Diöze sansynode entsprach, haben die Institu tionen der katholischen Erwachsenen bildung in der Erzdiözese, vor allem Bibelwerk und Bildungswerk, die Be schäftigung mit den Themen „Altes Te-' stament" und „Judentum" intensiviert. Auch dies ist ein Anliegen der vatikani schen Richtlinien zur Judenerklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die damit zwei wichtige Tatsachen erneut ins Bewußtsein ruft: „Jesus stammt, wie seine Apostel und ein Großteil seiner ersten Jünger, aus dem jüdischen Volk. Indem er sich als Messias und Sohn Gottes offenbarte, als Überbringer einer neuen Botschaft, des Evangeliums, hat Jesus sich immer dazu bekannt, die frühere Offenbarung zu erfiillen und zu vollenden." Das ist das eine, anderer seits darf man aber auch „das Alte Testament und die sich darauf grün43

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