Augen verschließen vor dem Elend in der Welt, vor dem Hunger, vor dem Haß, vor dem Krieg, auch nicht vor der Ausbeutung in ihren vielfältigen For men. Es ist ein alter christlicher Grund satz: Die Gnade setzt die Natur voraus. Dort, wo den Menschen ihr natürliches Recht nicht zugestanden wird, können sie sich auch nur schwer auf ihre über natürliche Aufgabe konzentrieren. In diesem Sinne,um es nochmals zu sagen, muß die Kirche immer auch politisch handeln. Es kommt nur darauf an, wie sie es tut. Wenn der Erzbischof von Wien einge laden wird, vor dem Vorstand des ÖGB zu sprechen, so ist das im Grunde auch ein politischer Akt. Wenn - rein äußer lich betrachtet-zwei so große Organisa tionen wie Kirche und ÖGB, deren Angehörige ja zu einem großen Teil dieselben Menschen sind, die aber sehr verschiedene Zielsetzungen haben, wenn diese beiden Organisationen ver suchen einen besseren Kontakt zueinan der zu finden, versuchen einander bes ser kennenzulernen - immer im Inter esse derselben Menschen -, so ist das auch Politik. Sie wissen, daß diese Ver suche einer Kontaktaufnahme nicht von heute und nicht von gestern sind, daß ich schon verschiedene Male bei Ihnen war und Sie auch bei mir. Sie können sich denken, daß dies mit Aufmerksam keit und nicht immer und überall mit wohlwollender Aufmerksamkeit regi striert wurde. Aber ich habe mich stets dazu bekannt und werde mich stets dazu bekennen. In diesem Sinne muß auch ein Bischof Politik machen. In diesem Sinne bin ich ein politischer Bischof. Aber ich bin kein politisierender Bi schof! Ich bin kein Bischof der ÖVP und kein Bischof der SPÖ. kein Bischof der Unternehmer und keiner der Gewerk schafter. Nicht ein Bischof der Bauern und nicht einer der Städter. Ich bin der Bischof aller Katholiken. Die Kirche ist für alle da, sie fühlt sich verantwortlich für alle Menschen, auch für jene, die ihr formell nicht zugehören. Die Kirche darf nicht politisieren Die Kirche, sagte ich, muß politisch handeln, sie darf aber nicht politisieren. Das politische Freund-Feind-Verhältnis kommt für die Kirche nicht in Betracht, da sie grundsätzlich für alle Menschen da sein muß; ihr Blick muß immer so klar sein, daß sie im vermeintlichen Gegner von heute den möglichen Ver bündeten von morgen sehen kann. Von Otto Bauer stammt das Wort,daß es das Schicksal oder das Geschick der Kirche sei, immer gemeinsam mit dem Gegner von gestern sich dem Gegner von heute oder morgen zu steilen. Dort, wo die Kirche Politik macht - ich brauche nicht zu betonen, daß ich hier unter Politik öffentliches Wirken und nicht Parteipolitik verstehe -, wird sie sehr vorsichtig sein. Nicht aus takti schen Gründen, nicht um politisch zu lavieren, sondern aus dem einfachen Grund, weil ihr im Konkreten meist die Kompetenz dazu fehlt. Sie maßt sich nicht den Sachverstand an, zu entschei den, was ein Christ in jeder konkreten Situation und in jeder Frage tun soll oder tun darf. Der einzelne kann und soll sogar sehr bestimmte politische Mei nungen vertreten, aber er darf sich dabei nicht immer auf die Kirche und nicht auf die Gesamtheit der Gläubigen berufen. Man kann als Christ politisch sehr wohl verschiedener Meinung sein und kann als Christ seiner politischen Überzeugung in verschiedenen politi schen Gruppierungen Ausdruck geben. Sie werden vielleicht sagen, die Kir che habe nicht immer danach gehandelt. Das will ich nicht bestreiten. Wenn sie es nicht getan hat, wo sie sich zu sehr in Parteipolitik verstricken ließ, wo sie politisierte, hat sie auch schwer an den Folgen getragen. Man muß der Kirche zugestehen, aus eigenen Fehlern zu ler nen. Auch sie ist einem Lernprozeß unterworfen, und sie weiß, daß sie in ihrem irdischen Handeln nicht unfehlbar ist. Die Erste Republik und die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung wa ren ein solcher Lernprozeß. Und ich hoffe, Sie werden mir zugeben, daß die Kirche einiges gelernt hat. Daß die österreichischen Bischöfe 1945 einen Be schluß aus dem Jahre 1933 erneuerten, ihren Priestern die Annahme eines poli tischen Mandates zu untersagen, war eine der Lehren, die aus der Vergangen heit gezogen wurden. Niemals mehr sollte es so sein, daß man in einem Priester den politischen Gegner sehen kann.Daß uns diese Tatsache heuer als selbstverständlich vorkommt,ist ein Be weis dafür, daß wir heute in manchen Dingen anders denken als früher. Auch die Arbeiterschaft hat Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Ich meine zum Beispiel die Tatsache der Bildung einer einheitlichen österreichi schen Gewerkschaftsbewegung. So wie die Einheit der österreichischen Ge werkschaftsbewegung im ÖGB wesent lich zu einer Stärkung der Position der Arbeiter und Angestellten in diesem Staat beigetragen hat, so glaube ich auch, hat der Rückzug der Kirche aus der unmittelbaren Parteipolitik zu einer Verbreiterung ihres Zuganges zu allen Menschen in diesem Land, gleich wel cher politischen Überzeugung sie sind, geführt. Damit,so hoffe ich, ist deutlich geworden,daß es in der Kirche in erster Linie um den Menschen und seine Pro bleme geht. Dabei wird die Kirche dar auf achten, daß ihre Amtsträger immer so handeln, daß niemand ihre über den Parteien stehende Haltung anzuzweifeln vermag.Und Sie verstehen,daß sie auch keinen politischen Klerus mit umge kehrten Vorzeichen haben will. Wo die Kirche reden maß Ich sagte vorhin, daß die Kirche in konkreten politischen Fragen kein Re zept anzubieten vermag, weil ihr dazu vielfach die nötige Sachkenntnis fehlt. Sie wird daher in politischen Sachflragen eher zurückhaltend sein. Nicht schweigen aber darf die Kirche, reden muß die Kirche, wenn es um die Grundfragen des menschlichen Lebens geht. Hier muß ihre Seelsorge auch Menschensorge sein. Ich bitte, mich zu verstehen, wenn ich vor Ihnen und gerade vor Ihnen, nicht schweigen darf zu einer Angelegenheit,in der viele von Ihnen wahrscheinlich anderer Meinung sind. Sie wissen, was ich meine: die in Gang befindliche Diskussion über die Frage der Abtreibung. Sie kennen den Brief,den die Bischöfe an den Herrn Bundeskanzler geschrie ben haben. Hier ist es die Pflicht der Kirche, mit aller Entschiedenheit darauf hinzuweisen, daß niemand das Recht habe, schuldloses Leben zu vernichten, daß das Leben allen heilig sein muß.Das klingt wie eine Phrase. Aber ich bitte sie zu bedenken, wenn einmal der Grund satz fällt, daß kein Mensch das Recht hat, über das Leben eines anderen Men schen zu verfugen, wie dieses Leben auch aussieht, dann schützt uns nichts mehr vor der totalen Verfügbarkeit, vor der totalen Manipulation des Menschen. Dann ist der Mensch Material, das nur nach seinem Nützlichkeitswert gemes sen wird. Dann kann man mit uns alles machen. Das ist keine religiöse Frage, sondern eine menschliche, die uns alle angeht, weU sie uns vielleicht alle ein mal persönlich betreffen kann. Es wäre sehr traurig, wenn das Prinzip der Un verletzbarkeit menschlichen Lebens nur eine Marotte religiös gläubiger Men schen wäre, wenn es die anderen Men schen gar nicht mehr als Problem sähen. Darum geht es der Kirche: um den Schutz des Menschen, nicht um Strafbe stimmungen, nicht um Paragraphen. Dies ist Sache des Staates, Sache der Volksvertretung. Die Kirche oder die Bischöfe, wenn Sie wollen, machen keine Gesetze, sie haben sie auch nicht auszuführen. Die Kirche kann nur ihre Stimme erheben, bitten, beschwören, mahnen, warnen. Nicht aus eigenen, eigensüchtigen, egoistischen Motiven, sondern als Stimme des Menschen. Sie kann sich prinzipiell nur an die Katholi ken wenden, an jene, die sie hören wollen. Sie kann an ihr Gewissen appel lieren, sie kann und sie muß dieses Gewissen auch schärfen, sie muß auf merksam machen auf das, was auf dem Spiel steht. Sie muß das aber auch allen Menschen sagen, sie ist hier nicht nur die Vertretung iher Glaubensgemein schaft, sondern das Gewissen der Men schen. Ist das hart, ist das doktrinär, ist das unmenschlich? Den armen Frauen gegenüber, die in schwerste Konflikte gestürzt werden und oft keinen Ausweg sehen; sollen sie angeklagt, bestraft, eingesperrt werden? Nicht strafen, hel fen muß man hier. Aber nicht allein mit Worten, nicht mit fVommen Sprüchen, nicht mit unverbindlichen Hinweisen. Helfen kann man nur durch die Tat. Das gilt auch für die Kirche und gerade für die Kirche. Wenn sie nicht imstande ist, ein großzügiges Hilfsprogramm in die Wege zu leiten, wenn sie nicht versucht, soweit sie kann, alle Fälle auswegloser Not und Verzweiflung aufzufangen, dann wird ihr bloßes Wort auch nicht mehr viel Kredit haben. Und ein solches großzügiges Hilfsprogramm ist in Vorbe reitung. In der Diskussion ist das Wort gefkllen, die Kirche werde es sich wohl 41
RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=