Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

das allen Angriffen siegreich widersteht. Die Welt aber war bereits weitergezo gen. die Besatzung der Festung hatte sozusagen - überspitzt formuliert - keine Feindberührung mehr und damit auch keine Berühung mehr mit der Welt. Die Welt braucht die Kirche, aber auch die Kirche braucht die Welt. Denn sie ist ja dazu gestiftet worden, einer unheilen Welt das Heil zu zeigen und zu bringen. Für die Menschen der Welt ist sie da, zu ihnen hat sie Gott gesandt. Und die Welt wieder weiß, daß sie ersticken müßte, wäre sie in sich ge schlossen. Sie weiß aus den negativen Erfahrungen, daß auch sie die Öffnung nach oben braucht. Diese Öffnung nach oben kann ihr nur die Kirche zeigen. Eine Verbindung von Kirche und Welt, von beiden als notwendig erkannt, konnte nur auf der Basis der Urform menschlicher Kommunikation, auf der Basis des Gespräches erfolgen. Nicht im Monolog, nicht im Selbstgespräch, son dern im Dialog, im brüderlichen Ge spräch zwischen Kirche und Welt konn ten die Mauern der Isolioerung durch brochen werden.Papst Johannes hat das Gespräch mit der Welt begonnen. Wie sehr die Welt auf dieses Gespräch ge wartet hat,ist aus dem geradezzu enthu siastischen Echo zu sehen, mit der die Welt die Erscheinung des Papstes Jo hannes begrüßt hat. Papst Paul hat dieses Gespräch in ein System gebracht. In seiner Enzyklika „Ecclesiam suam" hat er die drei Kreise des Dialogs abge steckt: Den Dialog mit den getrennten Christen,den Dialog mit den nichtchrist lichen Religionen und schließlich den Dialog mit den Nichtgläubigen. Für je den dieser drei Gesprächskreise errich tete er ein eigenes Sekretariat. Die Kir che - so ist das zu verstehen - schließt sich nicht mehr selbstgenügsam und selbstgerecht ab, wie man ihr vorgewor fen hat, sie will mit den anderen reden, mit den getrennten Christen, mit den gläubigen NichtChristen, aber auch mit jenen, die nicht glauben, die den Glau ben ablehnen, ja ihn vielleicht sogar bekämpfen. Der Katholik, so ist das weiter zu verstehen, ist nicht bloß ein Antiprotestant, ein Antimohammedaner, ein Antibuddhist, er ist aber auch nicht bloß ein Anti-Atheist. Aus den Positio nen des Kampfes, des Gegensatzes, der feindlichen, rein negativen Haltung ist die Kirche in die Position des Ge sprächspartners getreten, der Fragen stellt, der verstehen und helfen will. Die Welt ist für die Kirche nicht etwas Feindliches, von dem man sich isolieren, von dem man sich bewahren, das man notfalls bekämpfen soll. Die Welt, das hat die Kirche erkannt, ist etwas Ei genständiges, vor der die Kirche nicht fliehen, die sie auch nicht überwältigen, sondern bewältigen soll mit Verständnis, mit Einfühlungs, mit Hilfs- und Dienstbereitschafl... ...Es kommt also darauf an, was wir selber nach dem Konzil tun, das heißt nicht nur darauf, was in Rom nach dem Konzil geschieht. Die nachkonziliare Arbeit ist auf der Weltebene auf ver schiedene Kommissionen verteilt. So ist eine postkonziliare Liturgiekommission mit der Ausführung der Konzilsbe schlüsse zur Liturgiereform beschäftigt. Der Heilige Vater selber hat eine Reform und Erneuerung an der römi schen Kurie angekündigt. Die Bischofs synode als Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe wird in seine Aufgabe hineinwachsen müssen. Ihre Stellung und Wirksamkeit wird nicht nur von den Richtlinien des Papstes, sondern auch vom Willen und der Tatkraft der Bischöfe abhängen. Auf der diözesanen Ebene werden die Diözesansynoden Be schlüsse und Ziele des Konzils in Raum und Zeit ihrer Umwelt umzusetzen ha ben. All das aber, was in Rom und in der Heimat im Anschluß an das Konzil an rechtlichen und institutionellen Be schlüssen, Reformen und Änderungen geschieht, wäre letztlich nutzlos, wenn nicht der Geist des Konzils, der neue Geist einer erneuerten Kirche, einer brüderlichen Kirche, einer Kirche, die sich den Werken der Liebe und des Friedens widmet, Einzug halten würde in die Herzen eines jeden einzelnen Christen. Wenn am 7. Dezember die historische Reichweite eines Konzils vor aller Au gen in Erscheinung trat, als der Bischof von Rom, das Oberhaupt der katholi schen Kirche, mit dem Vertreter des Patriarchen von Konstantinopel den Friedensgruß tauschte, so sind es die heilsamen Entschlüsse des menschli chen Herzens, der Erneuerungswille eines jeden einzelnen Katholiken und Christen, um das konziliare Wort in die konziliare Tat der christlichen Erneue rung zu wandeln. Dazu braucht es den heilsamen Entschluß, an den das Herrenwort appelliert: „Wenn das Sa menkorn nicht in die Erde fallt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht." Daß dieses letzte, entscheidende Kon zilsergebnis auch für die Wiener Erzdi özese von unseren Nachfahren regi striert werden kann, das ist meine Hoff nung als Konzilsvater und Erzbischof von Wien. Anmerkung: Gedruckt als Nr. 1/1966 der Schriften reihe des Katholischen Bildungswerkes (gekürzt). Bischof aller Katholiken: Die gemeinsame Basis ist der Mensch Rede vor dem Bundesvorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbundes am 27.Februar 1973 Gemeinsame Interessen Ein Gespräch zwischen Kirche und Gewerkschaftsbewegung hat nur dann Sinn, wenn es in aller Offenheit gefuhrt wird. Es hätte wenig Sinn, wenn die Gesprächspartner sich nur das sagen würden, was jeweils der eine vom ande ren hören möchte, wenn man sich ge genseitig zum Zeugen für die eigenen Bestrebungen anrufen würde, eine durchgehende Gleichheit der Interessen und Zielrichtungen postulieren möchte, die es zwischen zwei so eigenständigen Institutionen wie Kirche und Gewerk schaftsbewegung nie geben kann. Wohl aber hat so ein Gespräch dann Sinn, wenn es den jeweiligen Standpunkt,den eigenen Aufgabenkreis und die besonde ren Ziele klar herausstellt und herauszu finden versucht, wo Gemeinsamkeiten sind, wo Interessen parallel laufen, und ob und wieweit Wege gemeinsam be schriften werden können.Ich persönlich bin der Überzeugung, daß es bei Aner kennung der jeweils verschiedenen Auf gaben manche gemeinsamen Interessen zwischen Kirche und Gewerkschaftsbe wegung gibt, daß wir auch dort, wo wir von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen, oft das gleiche Ziel anstreben. Nur müssen wir an diese Frage in aller Nüchternheit und in vollem Verantwor tungsbewußtsein herangehen. Gerade die österreichische Arbeiterschaft und die österreichische Gewerkschaftsbewe gung haben immer Verantwortungsbe wußtsein und Nüchternheit ausgezeich net. Gerade mit ihrem nüchternen Sinn für die Realitäten haben sich die öster reichischen Arbeiter von Schwärmern distanziert. Auch die Kirche ist aus ieidvoller Erfahrung heraus Schwarm geistern immer sehr kritisch gegen übergestanden. Auch die Kirche handelt politisch Ich kann Ihnen hier das Wesen der Kirche nicht erklären. Ich brauche es wohl auch nicht.Ich möchte aber zuerst, wenn Sie gestatten, auf ein immer wie der auftauchendes Mißverständnis hin weisen und es zu klären versuchen, ein Mißverständnis, das viel Verwirrung gestiftet hat. Es ist das Schlagwort von der politisierenden Kirche. Die Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis von Jesus Christus gestiftet worden, um den Menschen die Frohe Botschaft vom Rei che Gottes zu verkünden, das, wie er selbst gesagt hat, nicht von dieser Welt ist. Das ist die vertikale, über die Er scheinungswelt hinausreichende Zielset zung der Kirche. Die Kirche als Institu tion, als Einrichtung,lebt in dieser Welt, und sie muß in dieser Welt wirken. Jedes Handeln und Wirken in der Öf fentlichkeit, in der Welt, ist Politik. In diesem Sinne, und nur in diesem Sinne, handelt die Kirche politisch, Eine unpo litische Kirche wäre ebenso ein Unding wie ein unpolitischer Gewerkschafts bund. Die Kirche solle sich um die Seele kümmern, sagen manche. Aber der Mensch ist immer eine Einheit von Leib und Seele. Seelsorge heißt daher immer auch Sorge um den ganzen Menschen. Der Kirche kann es nicht gleichgültig sein, wie die Weit aussieht, in der die Menschen leben, sie. icann nicht die 40

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