Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

hunderts. in dem Prophetendarstellun gen den oberen Abschluß einer Szene bilden. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben die Propheten von St. Stephan ursprünglich auch einer hoher gelege nen Zeile angehört. Eine allgemeine Anregung zur Auf nahme eines typologischen Programms in ein Fenster von St. Stephan ist zwei fellos von einer der großen typologi schen Schöpfungen des Hochmittelaiters, dem Verduner Altar in Kloster neuburg, ausgegangen.Die unmittelbare Quelle für die Anordnung der Triaden wurde jedoch in den bibiia-pauperumHandschriften vom Beginn des Jahrhun derts gefunden. Sowohl ikonographisch wie kompositionell folgen die erhaltenen Glasgemälde den entsprechenden Dar stellungen des Codex 1198 der Wiener Nationalbibliothek. Nur zwei Dreier gruppen sind vollständig erhalten, wei tere vier durch Einzelscheiben gesichert. Daraus läßt sich ablesen, daß sämtliche Triaden auf die Passion bezogen waren und Kindheit und Jugend Christi unbe rücksichtigt geblieben sind. Oies kann dem Zufall der Erhaltung zuzuschreiben sein, aber auch ein bestimmtes Aus wahlprinzip bedeuten. Aus den Hinter grundfarben der erhaltenen Scheiben läßt sich, wenn man dem auch sonst durchgehenden Rhythmus a-b-a folgt, schließen, daß die Triaden mindestens fünf Fenstern angehört haben müssen. Die kompositionelle Gliederung des Zy klus sah so aus, daß die szenischen Darstellungen in der Vertikalen nicht unmittelbar aufeinander gefolgt sind, sondern durch waagrecht durchlaufende - allerdings für jede Szene gesondert komponierte - Architekturen getrennt waren. Diese zumeist wohl zweigeschos sigen Baldachintabernakeltürme sind zum Unterschied von der Architektur des Kreuzigungsfensters nicht aus der Tradition der Bauhütte zu verstehen und demonstrieren so die stilistische Wandlung, die sich beim Fortschreiten der Verglasung vollzogen hat. Ihre Vor lagen sind in der italienischen Trecentomalerei beheimatet, und sie dokumen tieren damit auch in der Glasmalerei jenen für die österreichische Malerei dieser Zeit charakteristischen südlichen Einschlag. Die Aufnahme dieser ,.mo dernen Sehweise" wandelt jedoch das kompositionelle Gefüge selbst nicht, sondern beschränkt sich auf einen streng abgegrenzten Sektor. Sämtliche erhaltenen Scheiben des typologischen Zyklus sind heute im Fenster der südli chen Chorschräge des Hauptchores ver einigt. Das christologische Thema war ur sprünglich in allen drei Chören sowohl in zyklischen Folgen als auch in weite ren Kreuzigungsdarstellungen vertre ten. Im Fenster der nördlichen Chorschräge des Hauptchores wird es durch das Motiv des mit Trauben behangenen Weinstocks in den Maßwerkscheiben belegt. Die heutige Zusammenstellung von Passionsszenen und bekrönenden Architekturen ist zum größten Teil rein zufällig. Darüber hinaus belegen erhal tene Einzelscheiben die ursprüngliche Existenz eines Marienleben- und eines Zwölf-Apostel-Fensters, mindestens eines Fensters mit Heiligenlegenden be ziehungsweise Apostelmartyrien sowie einer monumentalen Thron-SalomonisKompositlon. Die mittelalterliche Glasmalerei, die schon von der Beschaffenheit ihrer Ma terie her zu den gefährdetsten Kunstgat tungen gehört, war im Laufe der Jahr hunderte mannigfachen Bedrohungen ausgesetzt. Aufstände und kriegerische Auseinandersetzungen haben den Be stand ebenso dezimiert wie der verän derte Geschmack der Barockzeit, die dem mystischen Leuchten der gotischen Fenster helle, durchlichtete Kirchen räume vorgezogen hat. Zu den weiteren Verlusten, die durch die gründliche ,.Re staurierung" der Jahrhundertwende, welche sehr nachhaltig in die Substanz eingegriffen hat, verursacht wurden, kommt in den vergangenen Jahrzehnten noch eine neue Gefährdung durch die geschädigte Umwelt. Das „weiche" mit telalterliche Glas wird vor allem von dem im „sauren" Regen enthaltenen Schwefel angegriffen und systematisch zerfressen. Zusätzlich kommt es durch die jahrhundertelange Funktion der Scheiben als Klimascheide zu einem weiteren Schadensphänomen. Das an der Innenseite herabrinnende Kondens wasser bewirkt das Abplatzen und Ab wittern der Schwarzlotzeichnung, was bei weiterem Fortschreiten auch der Zerstörung des Kunstwerkes gleich kommt. Ein Vergleich von Aufnahmen, die 1943 anläßlich des kriegsbedingten Ausbaus der Verglasung angefertigt wurden, mit dem heutigen Zustand zeigt den bereits dramatischen Verlust der Zeichnung beispielsweise in manchen Köpfen. Seit einigen Jahren läuft nun als weiteres Projekt neben den übrigen umfangreichen Restaurierungsvorhaben zur Erhaltung des Stephansdomes auch die Konservierung der mittelalterlichen Verglasung. Die Scheiben werden Fen ster für Fenster ausgebaut und in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes gereinigt. An ihre Stelle tritt eine soge nannte Außenschutzverglasung aus mo dernem farblosem Glas. Das orignale Bildfenster wird nach Restaurierung um einige Zentimeter in das Kircheninnere zurückversetzt. Mit dieser in ganz Eu ropa seit etwa zwanzig Jahren prakti zierten Methode, die keinen Eingriff in die Substanz des Kunstwerkes bedeutet, wird der Versuch unternommen, verbes serte Umweltbedingungen und somit eine längere Lebenserwartung für die geringen Reste einer Kunstgattung zu schaffen, die wie kaum eine andere in der Lage ist, uns ein Bild von Reichtum und Leuchtkraft der Farben mittel alterlicher Kunstwerke zu vermitteln. Anmerkung: ' Detailliertere Angaben zu den im folgenden behandelten Fragen zur Ge schichte der Verglasung, zum ikonographischen Programm sowie zu Stil und Datierung siehe in: Eva Frodl-Kraft, Die mittelalterlichen Glasgemälde in Wien, Corpus Vitrearum Medii Aevi Österreich I, Graz-Wien-Köln 1962.-Zu den Fragen der Erhaltung und Konservierung siehe auch: Ernst Bacher, Elisabeth Oberhaidacher. Mittelalterliche Glasmalereien aus St. Stephan, Katalog der 140. Wech selausstellung der österreichischen Ga lerie, Wien 1990. Hinweis: Im Rahmen der Domfestwoche „650 Jahre Albertinischer Chor"(21. bis 29. April 1990) wird auch eine historische Ausstellung im Stephansdom zum Chor jubiläum stattfinden. In dieser werden auch die Beziehungen Herzog Albrechts II. zur Kirche, die im vorliegenden Heft aus Platzgründen nicht dargestellt wer den konnten,behandelt werden. iViener Diözesanblatt: Inhaber: Erzdiözese Wien (Alleininhaber). Herausgeber: Erzb. Ordinariat. Redaktion: Diözesanarchiv Wien (Dr. Johann Weißensteiner). Alle: 1010 Wien, Wollzeile 2. - Hersteller: Herold Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., 1080 Wien,Strozzigasse 8.-Das„Wiener Diözesanblatt" ist das offizielle Amtsblatt der Erzdiözese Wien. 24

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