Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

im wesentlichen abgeschlossen war, ist bekannt, daß man um die Mitte des 17. Jahrhunderts begonnen hat, die mittel alterlichen Scheiben durch farbloses Glas zu ersetzen, und daß vermutlich aus Anlaß der Aufstellung des barocken Hochaltares die drei Fenster des Mittel chores (I, Süd II, nord II) bis oben vermauert wurden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts muß die Vermauerung der beiden schrägen Chorschlußfenster wie der entfernt worden sein, da dort bis zur umfangreichen Restaurierung und Neuordnung um die Jahrhundertwende 55 Scheiben eingebaut waren. Mit mittelalterlichen Scheiben war auch ein Drittel eines Fensters im Frauenchor gefüllt, und bis gegen 1889 waren Reste der Chorverglasung in den beiden Fen stern der Eligiuskapelle untergebracht. Die letzte große Restaurierung der Zeit um 1900/1901, der wir im wesentlichen auch die heutige Zusammenstellung ver danken, hat leider nachhaltig in die Substanz der Scheiben eingegriffen. Durch viele Ergänzungen, die heute in diesem Ausmaß sicher nicht mehr ver tretbar wären, ist die Authentizität der Glasgemälde zum Teilsehr belastet. Dessenungeachtet stellen diese weni gen Scheiben, die von der ursprüngli chen Verglasung des Domes erhalten sind, besonders kostbare Zeugnisse der Wiener Malerei der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts dar, auch deshalb, weil aus der Zeit keine einzige Altartafel aus den zahlreichen Wiener Kirchen erhal ten ist. Nur die vor wenigen Jahren freigelegten Wandmalereireste im Chor der Wiener Michaelerkirche bezeugen in gleicher Weise das beachtliche künstleri sche Niveau der hier in den dreißiger und vierziger Jahren tätigen Werkstät ten. Verglichen damit nimmt sich die Zahl der erhaltenen Glasgemälde aus dieser Zeit - gemeinsam mit den im Chor von Maria am Gestade zusammen gestellten sind es über 60 Rechteckschei ben - sehr stattlich aus. Sie sind durch aus in der Lage, eine Vorstellung von dem Reichtum und der künstlerischen Bedeutung der Monumentalmalerei die ser Zeit zu geben. Das stilistische Er scheinungsbild der in St. Stephan erhal tenen Glasgemälde ist - abgesehen von wenigen Scheiben des frühen 15. Jahr hunderts - soweit einheitlich, daß man ihre Entstehung in zeitlichem Zusam menhang mit der baulichen Vollendung des Chores annehmen kann. Darüber hinaus zerfällt der Bestand in zwei Ent wicklungsstufen, repräsentiert durch das Kreuzigungsfenster und die Steini gung des hl. Stephanus einerseits, die typologischen Folgen sowie die beiden Apostelscheiben andererseits. Es ist an zunehmen, daß die Verglasung mit dem Ostfenster hinter dem Hochaltar begon nen wurde, das wohl ursprünglich als zentraler Blickpunkt in der Achse des Hallenchores die monumentale Kompo sition der Kreuzigung Christi als Mittel punkt heilsgeschichtlicher Darstellun gen enthalten hat. Nur dieses - heute an der Südseite des Hauptchores einge setzte - Fenster ist zumindest in größe ren Teilen in der authentischen Zusam menstellung auf uns gekommen. Die über sieben Geschosse reichende 21 Scheiben umfassende Komposition der Kreuzigung dokumentiert noch ein drucksvoll die ursprüngliche Konzep tion einer solchen Bilderwand. Die ei gentliche Kreuzigungsszene erstreckt sich über drei Geschosse, deren unter stes zum größten Teil von einer breiten, teppichartig gemusterten Sockelzone eingenommen wird. Das zweite Geschoß beinhaltet die Hauptpartien der Figuren der Maria-Johannes- sowie der LongmusGruppe, während Christus hoch über den Assistenzfiguren, bereits flankiert von Architekturbaldachinen, die Mitte des dritten Geschosses einnimmt, was eine eindrucksvolle Steigerung von den Seiten nach der Mitte zu ergibt. Ikonographisch vertritt die gesamte Darstellung einen Typus zwischen dem monumentalen Repräsentations- und dem Ereignisbild. Der „Kruzifixus dolorosus" auf dem grünen Astkreuz ver körpert den dramatischen Realismus dieses Andachtsbildes. Die Maria-Johan nes-Gruppe folgt der auf ältere italobyzantinische Vorbilder zurückgehen den Ikonographie des „svenimento",der ohnmächtig zusammensinkenden Got tesmutter. Auf der anderen Seite steht ihr als „profanes" Zeugenpaar der Hauptmann, dessen Worte „Vere filius dei erat iste" auf einem Spruchband über ihm zu lesen sind, und ein Kriegs knecht gegenüber.Diese beiden Figuren illustrieren mit zahlreichen Details sehr anschaulich die Kriegstracht dieser Zeit. Beide Paare leiten sich vom vielfigurigen Kreuzigungstypus her, sind also als Abbreviatur eines viel breiter angeleg ten Vorbildes einer volkreichen Kreuzi gung zu verstehen. Trotz der Reduktion bleibt durch die enge Bindung der Figu ren aneinander der Gruppeneindruck durchaus erhalten. Der Wechsel der Hintergrundfarben Rot-Blau-Rot entspricht einer geläufigen Praxis der mittelalterlichen Glasmalerei. Darüber hinaus demonstriert die MariaJohannes-Gruppe eindrucksvoll das mit telalterliche Kompositionsprinzip der Verschränkung von Farben und For men. Die Szene der Kreuzigung wird von einem über 5 Meter hohen dreiteiligen Baldachintabernakelturm - als simile für Ecclesia zu lesen - überragt, der sowohl formal als auch bedeutungsmä ßig den übergeordneten Rahmen für die figurale Darstellung bildet. Gleichzeitig leitet er als verbindendes Vokabular zur gebauten Architektur über, der sich die mittelalterlichen Fenster als funktionel1er Teil des übergeordneten Ganzen integrieren. Der monumentale Architek turaufbau ist nach dem gleichen System konzipiert wie die hochmittelalterlichen Baurisse, die, in strenger Orthogonal projektion wiedergegeben, für den Be trachter dieser Zeit aber ganz selbstver ständlich als räumliche, dreidimensio nale Gebilde zu lesen waren. Das Kreu zigungsfenster. das. als Ganzes ein re präsentatives Beispiel eines hochgoti schen Architekturfensters, einer in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ge läufigen Bildkomposition, darstellt, schließt sich den Spitzenleistungen die ser Bildspezies am Oberrhein würdig an. Dem Martyrium des hl. Stephanus, des Patrons und Hauptheiligen der Domkirche, ist eine über alle drei Bah nen, also über die ganze Breite des Fensters sich erstreckende szenische Darstellung gewidmet.Es ist nicht nach weisbar, ob diese Scheiben auch ur sprünglich zu Füßen der Kreuzigung Christi angeordnet waren, sicher ist als originaler Standort ein Fenster des dem hl. Stephanus geweihten Mittelchores anzunehmen.Ikonographisch handelt es sich ebenso wie bei der Kreuzigungsdar stellung um die besondere Form der Verknüpfung von Ereignis- und Reprä sentationsbild. Die Mitte der Komposi tion wird von der in streng frontaler Haltung isoliert in einem Feld stehenden Heiligenfigur eingenommen, während die aufsie eindringenden Schergengrup pen zu beiden Seiten die Flügel bilden. Der dominierende Farbakkord der Stephanusscheibe, das Smaragdgrün von Dalmatika, Nimbus und Palme einer seits und das Rubinrot des Hintergrun des andererseits, ist mit höchster Wahr scheinlichkeit auch ikonographisch be dingt: Grün gilt in zahlreichen Quellen als Symbolfarbe für die Unsterblichkeit der im Glauben Standhaften, während Rot das erlittene Martyrium bedeutet. Die monumentale Haltung beispielweise der Stephanusfigur, die den aus den früheren Jahrzehnten der ersten Jahr hunderthälfte gewohnten lyrischen Grundklang ablöst, ist auch in Schöp fungen der Bauhütte von St. Stephan wiederzufinden. Sie hat ihre unmittel bare Entsprechung in der gleichzeitigen Chorplastik; direkt vergleichbar ist etwa die Weilerstatue des hl. Stephanus ne ben dem südlichen Chorfenster. Die zweite Zeile des Kreuzigungsfen sters wird heute von drei Wappen der österreichischen Länder eingenommen, deren ursprünglichen Standort wir ebenfalls nicht kennen. Das Fenster, dem sie angehörten, war durch sie je denfalls eindeutig als herzogliche Stif tung gekennzeichnet. Die Wappen von Steiermark, Kärnten und „Österreich", die in dieser Zusammenstellung aus zahlreichen Habsburgersiegeln geläufig sind, werden in einer für diese Zeit charakteristischen Weise Maßwerkme daillons eingefügt und durch einen per spektivisch dargestellten Konsolfries am unteren Scheibenrand zu einer Einheit mit betonter Mittelachse verbunden. Eine ikonographische Besonderheit stellt das Fünf-Adler-Wappen für „Österreich" dar. da es hier zum ersten mal in der Monumentalmalerei an die Stelle des Bindenschildes tritt. Die bei den Zeilen unmittelbar unter der Kreu zigung werden heute von drei halbfigurigen Propheten eingenommen, die aus zweigeschossigen architektonischen Ge häusen über die Brüstung eines durch gehenden Söllers blicken. Diese Darstel lung der Illustration ihrer gewisserma ßen wörtlich verstandenen Zeugenschaft ist in der erhaltenen älteren oder gleich zeitigen österreichischen Glasmalerei sonst nicht vertreten. Wir kennen aller dings ein Fenster des Straßburger Mün sters aus der ersten Hälfte des 14. Jahr23

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=