Sündenstrafen,die nach bereits vergebe ner Sündenschuld hier oder im Jenseits noch abzubüßen sind.-" Der Brauch, denjenigen Ablässe zu verleihen, die zu einem gemeinnützigen Zweck etwas beitragen wollen, reicht bereits in das 11. Jahrhundert zurück. So wurde, neben Gebeten. Kirchen- und Krankenbesuchen, auch immer wieder zu Sach- und Werkleistungen für Spi talsbauten, Brückenbauten, aber auch Kirchenbauten, aufgefordert. Hatte nun eine Kirche einen Ablaß erhalten, strömten viele Menschen bei ihr zusam men, um durch Verrichtung der vorge schriebenen Gebete und sonstigen Lei stungen einen solchen zu gewinnen. Da in der Mehrzahl der Fälle, neben Gebetsleistungen, die realistische Ab sicht. entsprechende Geldmittel für das jeweilige Vorhaben zu sammeln, im Vordergrund stand, brachte man diese Ablaßurkunden an weithin sichtbarer Stelle, etwa an der Kirchentüre, an. Um sie dem einfachen Volk,das in der Regel nicht lesen konnte, näherzubringen, wurden sie künstlerisch und farben prächtig ausgestattet. Somit liegt die besondere Bedeutung solcher Urkunden als sichtbare Signale erhöhter Bautätig keit. gerade für die Baugeschichte vieler Kirchen aufder Hand. Ähnlich verhält es sich auch bei St. Stephan; Abgesehen von den beiden Ablaßurkunden des 13. Jh.s. bzw. der Jahrhundertwende,(1277 und 1300) las sen sich in der Folge -für die Zeit des Chorbaues - zwei größere Gruppen von Ablaßurkunden deutlich erkennen: eine erste Gruppe von vier Urkunden aus den Jahren 1323 bis 1327-^ also eine Zeit, in der offensichtlich der Bau voran getrieben wurde, sowie eine zweite aus der Zeit rund um die tatsächlich erfolgte Chorweihe im April 1340--, bzw. ein Jahr danach. Im Jahr 1323^'' verleihen die Bischöfe Andreas von Terracinna und Johannes von Rieti allen, die unter den genannten Bedingungen und an den bestimmten Festtagen die Stephanskirche besuchen, einen Ablaß von je 40 Tagen. Als Petenten treten ein gewisser Petrus mitseiner Frau Engela aus Wigena auf. Ogesser identifiziert Wigena mit Wien, was auch wahrscheinlich ist. Petrus ist u. U. mit dem Wiener Ratsbürger Peter Wisent^' zu identifizieren, der von 1325 bis 1341 nachweisbar ist. Die 1326, vor Juli 5 in Avignon ausgestellte Urkunde nennt einen Ulrich „Chiner, qui has indulgencias procuravit"^'", vielleicht ein Mitglied der Ratsbürgerfamilie am Kienmarkt. Ob die Stephanskirche durch zwei un mittelbar vorangegangene Brände in der Stadt, am 5. Dezember 1326 und am 23. März 1327 in Mitleidenschaft gezogen wurde, läßt sich nicht schlüssig bewei sen^*'. Im Jahr 1327 läßt ein gewisser Liphard in Rom zwei Urkunden, mit Datum vom 2., bzw. 6. April-^ ausstel len. Liphard'-'" muß vor 1349 verstorben sein, wie aus einer Urkunde vom 5. April 1349 hervorgeht, wo als Besitzer eines Weingartens ein „weilnt maist Liephart, der arczt" genannt wird. Da die meisten Ärzte dieser Zeit dem geist lichen Stand angehörten, ist dies auch von Liphart anzunehmen-"'. Während es in der Urkunde von 1323 noch allgemein heißt: „qui,... manusque porrexerint adiutrices" (alle jene, die hilfreich Hand anlegen), so liest man 1326 und 1327 schon deutlicher: „necnon qui ad fabricam ornamenta luminaria, seu quevis alia dicte ecciesie necessaria manus porexerint adiutrices". Die Bauarbeit am Chor ist offenbar im Gang. Die Patenten sind, soweit aufgrund der Quellenlage bekannt, ausnahmslos bür gerlich. Die Bürgerschaft von Wien erscheint in der Folge in erster Linie als Bauträger auf. Hand in Hand mit dem Auftreten der Ablaßurkunden geht auch eine deut liche Zunahme der bürgerlichen Legate und Stiftungen zu Bau und Einrichtung des neuen Raumes. An dieser Stelle scheint ein kurzer Blick auf das religiöse Leben und Den ken der Zeit nützlich zu sein dieses ist gekennzeichnet durch eine Fülle ver schiedenster, vielfach bis zum Wider spruch gegensätzlicher, Äußerungen und Formen der Frömmigkeit. Die Men schen, die sich in weitaus größerem Maße als heute vorstellbar, von überir dischen Mächten abhängig empfanden, waren in besonderer Weise von der Sehnsucht nach Übereinstimmung mit den himmlischen Mächten erfüllt. Er schütterungen aller Art, wie Hun gersnöte, Seuchen und Naturkatastro phen,welche gerade auch aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vermeldet werden, verstärkten das allgemeine Streben nach Heilsversicherung. „Die Menschen ergriffen deshalb - in der Sorge um ihre Seligkeit - die von der Kirche angebotenen Formen des religiö sen Lebens und die Möglichkeit der Frömmigkeitsübung, was insbesondere in einer augenfälligen quantitativen Steigerung der Devotion seinen Aus druck fand."'" Andererseits hatte sich die städtische und in gewissem Sinne auch die ländliche Bevölkerung durch ihre Werktätigkeit einen Platz in der Gesellschaft gesichert. So war es im Denken dieser Zeit nur verständlich und konsequent, sich auch den Himmel durch religiöse Leistung zu ,,erwerben". Der Wunsch nach ewiger Seligkeit, nach Loskauf von Sündenstrafen, beflügelte den einzelnen Menschen und die ganze Gesellschaft und setzte Geldmittel frei, die in den Dienst einer Sache, der Reli gion, gestellt wurden. Jeder kirchliche Bau,jede kirchliche Stiftung sollte aber nicht nur die Macht der Kirche,sondern auch Macht und Stärke des einzelnen Stifters verkünden.''^ Diese und ähnliche Überlegungen sind gewiß auch, der Person des jeweiligen Stifters entsprechend, verschieden deut lich, aber grundsätzlich doch, im Be reich der Zuwendungen für den Chor bau von St.Stephan mitzubedenken. So kauft im November 1327-'-'' Pfarrer Heinrich von St. Stephan einen Garten in der „Schaebnitzerlucken" von Nichlas, dem Sohn des Ekprecht des Bogner, um 9 1/2 Mark Silber je 72 großer böhmischer Pfennig für die Mark. Sie ben Jahre spater wird dieser Garten in der Schaebnitzerlucken,jenseits der Do nau, in der heutigen Leopoldstadt gele gen, unter den Stiftungsgütern für Pfar rer Heinrichs große Altarstiftung auf scheinen. Offenbar hat der Pfarrer diese reiche Stiftung von langer Hand vorbe reitet. Am 6. Jänner 1328 beurkundet Gerdraut, Herrn Fridreichs witebe des Saitchoufer,ihren letzten Willen.-" Sie muß eine vermögende Witwe gewesen sein. Sie besaß zwei Häuser in der Deutsch herrenstraße, die sie nach ihrem Tode den Frauen bei St. Niclas auf der Land straße vermacht, unter der Bedingung, daß diese ihrer Schwester Enkelkind Anna, sobald sie sechs Jahre alt gewor den ist, oder im Falle ihres vorzeitigen Ablebens ein anderes Kind aus ihrer nächsten Verwandtschaft in ihr Kloster aufnehmen sollen. Ebenso schafft sie dem Abt von Heiligenkreuz und seinem Convent ihren Weingarten bei Mödling, wofür dieser den Herbort oder „ain ander chnechtel" in das Kloster aufneh men soll. Von dem einen Hinterhaus ihrer beiden Häuser schafft sie 42 den. nach St.Stephan.Ihr gesamtes fahrendes Gut, das sie auf 60 Pfund schätzt,(3600 Taglöhne = 10 Jahre),soll zur Erfüllung noch ausständiger Verpflichtungen her angezogen werden, und von dem Rest soll ihre Schafferin Diemutgeben „sechs pfunt phennige ze dem werich". Von dem dann noch Übrigen sollte man sie bestatten. St. Stephan erhielt also6Pfund. Wenn man bedenkt, daß z. B. der Taglohn eines Weingartenarbeiters in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ungefähr 3-4 Pfennige betrug; daß ein Pfund gleich 240 Pfennige war; so waren 240 x 6 = 1440 : 4 = 360 Taglöhne, also ungefähr der Gegenwert des Lohnes eines Wein gartenarbeiters für ein Jahr! In dieser Testamentsurkunde wird aber auch deutlich, wie sehr die Bürger von Wien in besonderer Weise den Klö stern in und rund um die Stadt verbun den waren, da nahezu jede Familie in einem von ihnen ein Mitglied entweder untergebracht oder bestattet hatte. Aus diesem Grund war die emotioneile Bin dung an die Klöster sehr stark, was sich in verhältnismäßig großzügigen Legaten ausdrückte. Pfarrer Heinrich von St. Stephan er scheint auf dieser Testamentsurkunde der Gerdraut als erster Siegler auf, gefolgt vom Bürgermeister und fünf weiteren angesehenen Bürgern. Zu Ende des dritten Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts scheint erstmals auch das Herrscherhaus auf. In ihrem Testament vom 24. April 1328 bedenkt die Königin Elisabeth die Gemahlin König Fried richs des Schönen, welche am 12. Juli 1330 verstarb, neben reichen Legaten zu den Minoriten (40 Pfund Pfennige), wo sie auch begraben sein will, nach St. Klara (400 Mark), u. a., auch die Pfarre St. Stephan mit5 Pfund,„die man teilen soll under die priester, daz sie Got für der Stifterin Seelenheil bitten". Auch eine Schwester Herzog Albrechts II., Gutta"'* (Inka), die mit dem Grafen Lud wig von Oettingen verheiratet war und 1329 starb, bedachte in ihrem Testament die Stephanskirche: „.. und hinz Sand 14
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