Mit seiner Personbefaßt sich unterande rem der Beitrag von Johann Weißenstei ner. Pfarrer Petrus hielt sich im Jubel jahr 1300 oder kurz davor in Rom auT, um hier für den König beim Papst zu vermitteln. Es ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß der große Ablaßbrief von 1300 möglicherweise auf seine Initiative zurückgeht, umsomehr, als im Text der Urkunde ausdrücklich der „rector ipsius ecclesie"", also der Pfarrer der Kirche, erwähnt wird. Pe trus von Aspelt wird in der Literatur als „kluger Mann, als Staatsmann großen Formats" beschrieben". Als Pfarrer von St. Stephan war er somit vielleicht, in Vertretung des Königs, eine der treiben den Kräfte für eine Erweiterung der alten Kirche. Es ist anzunehmen,daß er als Pfarrer, wenn auch nicht immer anwesend, mit der Bürgerschaft von Wien in Verbindung stand. Im Jahr 1300 begannen die Kaufver handlungen der Wiener Bürger mit dem Stift Zwettl, wie in dem Beitrag von Richard Perger ausführlich dargestellt wird. Im Stiftungsbuch von Zwettl stellt der Chronist unter dem Jahr 1300 fest: ,,coacti sumus vendere" ,,wir sind gezwungen, zu verkaufen" - und zwar jenes Haus, welches, an der Ostseite des Stephansplatzes gelegen, dem neuen Bau im Wege stand. Nach der Erwer bung eines Ersatzhauses in der Nähe fanden die Kaufverhandlungen im Jahr 1304" ihren Abschluß. Es mag sich die Frage stellen, warum sich die Zwettler gezwungen fühlten,das Hauszu verkau fen und warum die Verhandlungen so lange Zeit in Anspruch nahmen. Meines Erachtens sollte die Möglich keit eines Zusammenhanges zwischen der großen Ablaßurkunde für St. Ste phan von 1300 - (auf den Zusammen hang zwischen der Erteilung von Abläs sen und der Aufbringung notwendiger Geldmittel wird später noch einzugehen sein) - und dem Drängen der Bürger schaft von Wien, das Zwettler Haus zu erwerben, grundsätzlich überdacht wer den. Dem Ganzen könnte die Überle gung zugrunde gelegen sein, daß das erste Jubeljahr der Geschichte, von Bo nifaz VIII. ausgerufen, auch für die Stephanskirche eine große Ablaßur kunde erbringen sollte, um ein Startka pital zu schaffen für erste konkrete Schritte in Richtung auf eine Erweite rung hin. Wenn nun die Bürgerschaft Wiens, angespornt von ihrem Pfarrer Petrus, der seinerseits ein Vertrauter des Königs war, ihre Absicht einer Er weiterung der Stephanskirche kundtat, und mit dem Hausankauf gewisserma ßen den ersten Schritt setzte, so konnte dies wiederum in Rom als Grund für die Ausstellung einer großen Ablaßurkunde angeführt werden. Dieser Gedanken gang müßte aber sicher noch genauer untersucht werden. Soviel zur Vorgeschichte der Planung. Nach dem erfolgten Abschluß des Haus kaufes im Jahr 1304 konnte mit dem Abbruch des im Wege stehenden Hauses der Zwettler und mit dem Neubau theoretisch begonnen werden. Praktisch gibt es aber in den nächsten Jahren kaum Nachrichten über ein Bau geschehen an der Stephanskirche, wenn man von dem Beitrag eines Hierz, „gesezzen an dem Griezze"'^ und seiner Frau Heilke, die zwei Pfund Pfennige zu dem „werche" zu St. Stephan geben, aus dem Jahr 1302, sowie dem Testa ment der Margaret der Praeuzzlinne''', die im Jahr 1306 „hinz sand Stephan zu dem Chore 10 Pfund Pfennige" stiftet, absieht. Dazu ist zweierlei zu bedenken: zum ersten muß der Gebrauch der Termini „Bau" und „Werk", dem die lateini schen Termini „fabrica", bzw. „opus" gegenüberstehen, nicht unbedingt im mer das tatsächliche Bauvorhaben be zeichnen, sondern kann damit auch nur das Kirchenfabriksgut, das Vermögen, meinen. Auch in den Jahren, in denen keine direkte Bautätigkeit nachweisbar ist, kommen Stiftungen „zum Bau", d. h.zur Fabrik, vor." Außerdem scheint es nicht befriedi gend möglich zu sein, das Verhältnis zwischen tatsächlich getätigtem und auch erhaltenem Urkundenmaterial wirklich überzeugend festzustellen. So können wir aus der Stiftung der Marga ret Praeuzzlinne nur festhalten, daß im Jahr 1306 über einen Neubau des Chores von St. Stephan bereits geredet worden sein muß. Der Bau aber, sofern er überhaupt begonnen worden war, schien zu stokken, weil offensichtlich kein ,,Motor" vorhanden war. Das könnte auch wie derum daraufhindeuten,daß die Bürger ursprünglich von außen zu dem Plan der Erweiterung motiviert worden wa ren. Der Pfarrer, Petrus von Aspelt, scheint nach 1301 nicht mehr in dieser Funktion auf. Am 2. Juni 1301'"' urkundet er noch in Wien und bezeichnet sich als „Peter, pischolf ze Pasel, und an seines Herrn Herzog Rudolfs Statt obrister phleger und verweser der pharrechirchen sand Stephans ze Wienne". Ihm folgt, wieder vom Herzog präsen tiert, sein Bruder Paulinus Aspelt, der am 28. November 1305 stirbt.'^ Bestehen bleibt die Tatsache, daß in Sachen Bau in diesen ersten Jahren nicht allzuviel geschehen sein konnte - von Seiten des Herrscherhauses gab es. soweit bekannt, keine größere Zuwen dung und auch die bürgerlichen Stiftun gen tropften nur spärlich zum Zwecke des Baues ein; ein Umstand, der doch ein wenig verwundert, zumal die ande ren kirchlichen Institutionen der Stadt verhältnismäßig reichlich bedacht wur den. Gründe für diese zunächst etwas befremdend anmutende Tatsache gab es einige: In besonderer Weise lähmend gewirkt haben muß der Streit um das Patronat der Stephanskirche, welches sowohl der Bischof von Passau. als auch der Landesfürst jeweils für sich bean spruchten.Denn aufdie Stephanskirche, konzentrierten sich bald die verschie densten Interessen. Die wiederholten Versuche der österreichischen Landes fürsten, hier ein von Passau unabhängi ges Landesbistum zu schaffen, scheiter ten immer am Widerstand des Passauer Bischofs, der eine Verminderung seines Einflusses fürchtete.'" Andererseits war auch die politische Lage in dieser Zeit alles andere als erfreulich; nach der Ermordung König Albrechts I. durch seinen Neffen Johann im Jahr 1308 schwand die Hoffitung dahin, ein starkes deutsches Königtum dahin. Wenn Albrecht I. jemals Bistumspläne erwogen hätte, seine unmittelbaren Nachfolger hatten andere Sorgen. Mit der Wahl Heinrichs VII. von Luxemburg ging die Machtstellung der Habsburger im Reich verloren. Auch die Regierungs zeit von Albrechts I. Sohn, Friedrichs des Schönen, die im Jahr 1314 mit einer Doppelwahl begann, war von Kämpfen begleitet und endete schließlich mit Friedrichs Niederlage gegen Ludwig den Bayern bei Mühldorf am Inn im Jahr 1322. In einer solchen Zeit, unter solchen Umständen, war das Interesse für einen Kirchenumbau wohl eher sekundär, konnte ein solches Werk nicht wachsen. Im Jahr 1308 wurde die Stephans pfarre von Herzog Rudolf III. an Albert von Sachsen, einen Enkel Rudolfs I., verliehen, welcher am 6. September 1318 von Papst Johannes XXII, die Di spens für ihren Besitz erhielt. Als eben dieser Albert von Sachsen im Jahr 1321 den Passauer bischöflichen Stuhl be stieg, fingen die Verhältnisse an, sich zu klären. Am 9. April 1323'" einigten sich die Herzoge Albrecht II. und Otto der Fröhliche, nach längerem Tauziehen mit Bischof Albert von Passau, auf Magister Heinrich von Luzern, „obrister Schrei ber der Fürsten in Österreich". An die sem Tag beurkundeten die beiden Her zoge, daß die „Streitsache ... beigelegt sei". Mit Pfarrer Heinrich kam offenbar eine in gewissem Sinne spirituelle Per sönlichkeit mit einem festen Willen und mit Organisationstalent an die Stephanspfarre. Bei seinem Amtsantritt fand er einen begonnenen (?) Neubau, zumindest aber einen geräumten Bau platz im Osten der alten Kirche vor und ging ans Werk. Denn ab dieser Zeit werden zwei Elemente mittelalterlicher Frömmigkeit auch an der Stephanskir che deutlich: vermehrtes Auftreten von Ablaßurkunden einerseits und fromme Stiftungen und Legate von seiten der Bürgerschaft andererseits. Die ersteren wird Pfarrer Heinrich angeregt haben,- wie zu zeigen sein wird, kommen die Petenten der Ablässe ausschließlich aus dem bürgerlichen Lager. Bei den from men Stiftungen ging der Pfarrer von St. Stephan höchstpersönlich mit gutem Beispiel voran. Der Begriff „Ablaß" hat bis in unsere Zeit herauf in der Regel einen mitunter etwas anrüchigen Beiklang, in Erinne rung an tatsächliche Mißbräuche gegen Ende des Mittelalters, wo das maßlos vermehrte Ablaßwesen in erster Linie als beliebte Geldquelle betrachtet wurde und mit „zum Zündstoff der Reforma tion"'-' gehört hatte. Grundsätzlich verhießen Ablässe, nach der kirchlichen Lehre, allen jenen, die bestimmte religiöse, aber auch wohl tätige Werke verrichteten, eine entspre chende. von den kirchlichen Oberen gewährte Nachlassung ihrer zeitlichen 13
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