Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

besonders zu sich gerufen; daß er sie rhit seinem Gottesfrieden erquicke. Lassen Sie mich auch eine Bitte an Sie alle richten: Halten wir in Sandleiten untereinander Frieden! Nicht bloß den äußerlichen, sondern den inneren des Herzens, den Frieden der verstehenden Menschengüte. Mögen uns auch geistige Anschauungen voneinander trennen, sie sollen nicht zwischen Mensch und Mensch als Feinde stehen. Zusammen finden wollen wir uns besonders in der gegenseitigen Karitashilfe! Es ist so viel Not in Sandleiten, buchstäblich oft bitte rer Hunger. Wir Katholiken wollen darum in unserer Kapelle einen eigenen Sammeltisch aufstellen, wo Liebesgaben jeglicher Art (Kleider, Nahrungsmittel, Geld usw.) dankend entgegengenommen werden. Weiters werden sich In den nächsten Tagen unsere Vertrauensleute bei Ihnen anzufragen erlauben, ob sie dieses oder jenes für die Armen von Sandleiten geben möchten. Seien sie uns darüber nicht ungehalten, wir wollen damit ja nur helfen. An alle Sandleitener Katholiken richte ich aber die höfliche Bitte, dem ,Sandleitenwerk' beizutreten. Es soll dies kein Verein, sondern nur die leben dige Zusammenfassung aller ernsten Katholiken sein, die auch bereit sind, je nach Kräften ihre Arbeit oder ihr Scherflein für unsere Kapelle, für die christliche Karitas und für die Jugend zur Verfugung zu stellen. Anmeldungen werden jederzeit im Sekretariat bei der Kapelle oder auch sonst bei den einzel nen Vertrauensleuten entgegengenom men. Lassen Sie mich am Schluß noch Ihnen allen Gottes reichsten Segen für das Christfest und das kommende Jahr wünschen. Beten wir alle darum, daß es ein Jahr des Heiles werde. Mit priesterlichem Friedenswunsch: Heinrich Veith Seelsorger von Sandleiten" Über die besonderen Probleme der Seelsorge in Sandleiten schreibt Veith weiter: „Noch ein Spezialgebiet der Sandleitenseelsorge sei genannt, die christliche Karitas. Es sollen hier nicht Zahlen stehen, die etwa angeben, was schon geleistet wurde. Gilt es ja doch nicht, an dieser Stelle einen Rechen schaftsbericht zu bringen. Unser Herr und Meister wollte ja auch nicht, daß wir unsere helfende Liebe ausposaunen oder, wie die Pharisäer einst, damit großtun. Wenn wir von dem Karitasdienst im Rahmen der Seelsorge sprechen, dann geschieht es, um dessen hervorragende Rolle zu betonen. Niemand anderer, als unser Heiliger Vater selber, Papst Pius XI., hat ja doch die moderne Seelsorge auf das notwendige Diakonat der gläubi gen Karitas hingewiesen. Der Bedrängte und Arme, der Hilfesuchende und Lei dende, wem wird er denn glauben und folgen? Niemals dem, der ihn mit schö nen Worten und Versprechungen vertrö stet, sondern dem, der ihm wirklich hilft. Weil die Sklaven und Armen von eihst, die Geächteten der römischen Kulturwelt bei den Christen Recht und wahre, hilfsbereite Liebe fanden, darum haben sie sich bekehrt und zu Christus bekannt. Vergessen wir diese Tatsache aus der Geschichte unserer Kirche nie mals. Besonders wenn es gilt, wie In Sandleiten, zu missionieren. Es kann also unsere Seelsorgeparole für die Zukunft nur eine restlose, bis zum letzten bereite Opfergesinnung für unsere notleidenden Brüder und Schwe stern sein.'" Veith war bereit, viel auf sich zu nehmen, um den Sandleitnern aus ihrer wirtschaftlichen und seelischen Not zu helfen: Er verzichtet auf seine Lehr amtsausbildung, entwickelt große Krea tivität und Initiativen zur Schaffung einer Seelsorgestation mitten im soziali stischen Gemeindebau. Zuerst versucht er einmal mit Nahrungsmitteln, Brenn material, Geld und Kleidern auszuhel fen. In einer Spanne von nur eineinhalb Jahren versammeln sich um ihn bereits an die 60 Frauen und Männer, 150 Jungscharkinder, 30 bis 40 Burschen, in etwa ebenso viele Mädchen und etwa 50 Pfad finder. Auch 70 bis 80 Kinder werden im Hort betreut. Vorläufig trifft man in angemieteten Räumlichkeiten zusam men. Veith gelingt es auch vielfach, die Lehrer der örtlichen Schulen in seine Kinder- und Jugendarbeit mit einzubin den. Er erwirbt ein altes Schloß in Karlstein im Waldviertel, wo er im Som mer 1937, das ist ein Jahr nach Vollen dung und Einweihung der neuen Pfarr kirche, für seine Kinder ein Ferienlager in zwei Turnussen mit je etwa 100 bis 120 Teilnehmern organisiert. Er weiß, wie und wo er das notwendige Geld auftreibt, und das zur Zeit der größten wirtschaftlichen Krise. 1933 ist jeder 4. Österreicher ohne Arbeit, ingesamt etwa 550.000 Menschen, nur 60 Prozent davon erhalten noch Arbeitslosenunterstüt zung. Hw. Veith schöpfte damals seine Kraft aus einer ungeheuer starken Aufbruch bewegung: „Der Bund Neuland stellt den Versuch dar, die Jugend zu sich selbst zu führen, im Geiste einer Glau benserneuerung ... Nach den Vorstellun gen franziskanischer Ideale prägt sich eine Lebensweise, die zum Ursprüngli chen, Einfachen orientiert ist... Im Zen trum der Jugendbewegung steht das Gemeinschaftserlebnis, das Bruder- und Schwestersein in Reinheit und innerer Wahrhaftigkeit, das gemeinsame Gestal ten des Lebens. ... Darüber hinaus soll ten die Städter, die durch Krieg, Revolu tion und Verproletarisierung vom Glau ben abgefallen waren, zu diesem zurück geführt werden, die Arbeiter, die Armen in der Gesellschaft integriert werden."* „Dieser frische Wind mußte junge Men schen anziehen, denen im Grunde der recht verknöcherte Klerikalismus des alten Österreich und der herrschenden Kirche nichts zu geben hatte. Der Kreis der Neuländer war in den ersten zehn Jahren numerisch nicht so groß, aber qualitativ hochwertig. Dann vergrößerte sich die Zahl der Neulandgruppen rasch, und am Anfang der dreißiger Jahre war die Neuland-Jugendbewegung auf einem Vormarsch, den man sich heute in An betracht des völligen Desinteresses der Jugend der siebziger Jahre an aktiven Jugendgruppen irgendwelcher Art kaum mehr vorstellen kann."*^ Der bündischen Bewegung „Quick born" unter Romano Guardini in Deutschland entsprach in Österreich der „Bund Neuland" unter Michael Ifliegler und Karl Rudolf. Die Verwendung der Muttersprache in der Liturgie, des Volksaltars sowie die Bedeutung und Verantwortung des Laien wurde bereits rimd 35 Jahre vor dem II. Vatikanum vorweggenommen. 1938 wurde unter Kardinal Innitzer das Seelsorgeamt, der Vorläufer des Pastoralamtes gegründet und sein geistiger Vater, Dr. Rudolf, mit seiner Leitung betraut, Hw. Veith stand mitten in dieser Bewegung. Der bibli sche Auftrag, hier in dieser Welt, jetzt und heute das Reich Gottes zu bauen, war ihm Antrieb für sein Leben und gab dem Bund Neuland seine Sprengkraft. Anmerkuiigeo: ' Heinrich Veith, Sandleitenseelsorge, in: Festschrift zur Einweihung der Sandleitenkirche {= Kirchenbau-Nachrichten. Mitteilungsblatt des allgemeinen Wiener Kirchenbauvereines 4 (1936, Nr. 5), Wien 1936, S. 20-30, hier S. 22 f. ^ Ebd. S. 21. " Diözesanarchiv Wien, Nachlaß Prälat Rudolf Karton 67/2: <3ottessiedlungen. ' Veith, Sandleitenseelsorge (wie Anm. 1) 22. Wilfried Skreiner, Rudolf Szyszkowitz, Wien 1977, S. 12. ^ Fritz Molden, Fepolinski & Waschlapski. Auf dem berstenden Stern, Wien 1976, S. 45 f. Stimmen zur Arbeiterseelsorge in der Zwischenkriegszeit Ausgewählt von Johann Weißensteiner Alma Motako: Gedanken zur Proletacierseelsorge „Gern will ich zu der aufgeworfenen Frage einiges aus den Erfahrungen mei ner Arbeit sagen: Alle katholische Orga nisationstätigkeit will nur Bodenberei tung für die Seelsorge sein. Auch in der Großstadt. Die eigentliche Aufschließung der Proletarierseele muß der Seel sorger fertigbringen. Überflüssig, zu sa gen, daß wir in Wien mit rund 200 Seelsorgestellen (Pfarren und Notstatio nen zusammengerechnet) und zwar in entsprechender Besetzung grad und knapp das Auslangen finden könnten. Wir sind noch weit davon entfernt. Un erläßlich ist aber auch die richtige Ein stellung des Seelsorgers zu der Art, wie der Proletarier sich und seine Umwelt erlebt. Der moderne Großstädter über haupt, verseucht von hypertropher Zivi lisation, besser Entseelung, als deren

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