Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

''S.Anm.8. '"• Die Pfarrarmenanstalt und das Recht, Rede im Landtag vom 31. Jänner 1866, in; Joseph Othmar Rauscher, Hir tenbriefe, Predigten, Anreden, Neue Folge. 2.Band, Wien 1875,S.18ff. "■Ebd. '' Das Zeichen des heiligen Kreuzes, Hirtenbrief vom 28. Jänner 1872. ' Beim Antritte des Erzbisthumes Wien, Hirtenbrief an alle Gläubigen vom 15. August 1853. "'Der Mordversuch, Hirtenbrief vom 24. Februar 1853. Rede im Landtag vom 31. Jänner 1866, in: Joseph Othmar Rauscher, Hir tenbriefe, Predigten, Anreden, Neue Folge, 2. Band, Wien 1875, S. 18 ff. Beim Antritte des Erzbisthumes Wien, Hirtenbrief an alle Gläubigen vom 15. August 1853. Dokumente zur religiösen und sozialen Lage der böhmischen Ziegeiarbeiter am Wienerberg Herausgegeben von Johann Weißensteiner Das glänzende Wien der Ringstraßen ära hatte auch eine, heute oft schon vergessene, Kehrseite; die Ziegel, mit denen die Ringstraßenbauten errichtet wurden, wurden von meist aus Böhmen zugewanderten Airbeitern am Wiener berg erzeugt. Die folgenden Dokumente fuhren in ihre schwierige Arbeitswelt, auch in ihre religiöse Not, ein. 1. Kurze Schilderungen aus der Umge bung der Stadt Wien. Oder: „Eine alte Spezialität". Geschrieben von Stefan Wersan*^ Ich erlaube mir, die hochehrwürdigen Herren, Herren Leser einzuladen, mir in eine nahe Gegend, welche sehr stark bevölkert, jedoch nur sehr wenigen un serer geehrten Herrn Mitbürger bekant ist, zu folgen, um dort lebende unsere Mitmenschen in ihrem Leben und Trei ben ein wenig zu betrachten. Diese Leute leben auf den Ziegelwer ken in der Umgebung Wiens und zählen zirka 7. bis 8. Tausend Seelen. Sie ent wickeln eine Thätigkeit, welche man sehr trefflich mit einem Ameisenhaufen vergleichen kann. Sie sind diejenigen, die uns das unent behrliche Baumaterial, die Ziegel, lie fern. Wir bewundern das vorzüglich gute Baumaterial und sind erstaunt über das sehr rasche Erbauen der Pracht-Gebäu den und darum wollen wir auch wissen, wo dieses Baumaterial erzeugt und wie seine Lebensweise eingerichtet ist. Wir wollen uns auch überzeugen, ob das Leben der Ziegelmacher verdient, eine „Spezialität" genannt zu werden. Es war etwa '/j4 Uhr Morgens, als wir bei der „Spinnerin am Kreuz" anlang ten, von wo aus wir zuerst unser schö nes Wien ein wenig betrachten wollten. Kaum aber hatten wir uns an den Stufen der Statue niedergelassen, hat sich uns ein anderes interessantes Büd geboten: Wir sahen eine lange Kette von schwer beladenen Ziegelwagen mit einer großen Anstrengung der Pferde heraufzufahren; wir lenkten unsere Blicke dahin und bedauerten nun die Pferde ob ihrer grossen Plage. Nachdem wir, durch die ses gestört, vom erstem Plan ganz abge lassen haben, gingen wir laut UJisern Programm auf das nächste Ziegelwerk; und was sahen wir da? Dort strengte sich ein Mann an, eine hochgeladene, zirka fünf Zentner schwere Scheibtruhe auf den Arbeitstisch seines Weibes zu bringen. Sein etwa zehn Jahre alte Sohn hilft ihm in der Art eines Vorspanes heraufzufahren. Am Arbeitstisch emsig beschäftigt fanden wir das Weib dessel ben Mannes; wir grüßten sie. Sie erwi derte unseren Gruß sehr kurz und ließ sich in der Arbeit keinen Aufgenblick durch uns stören. Wir frugen sie nur, was die Kinder zuhause machen, worauf sie uns nur ganz trocken antwortete: „die schlafen noch". Wir wollten uns also auch die Woh nungen dieser Leute ein wenig ansehen und von dem vorhandenen eine kleine Notiz sich abzunehmen. Die Häuser sind, zumeist die sogenannten „Interminenwohnungen" und daher auf das Einfach ste hergestellt. Es sind durchgehens Massenquartiere, wo zumeist 4, 8 bis 12 oder 14 Familien beisammen wohnen. Einzelnwohnungen gehören zur Selten heiten und werden nur von die Forge setzten bewohnt. Das Kochen geschieht ebenfalls in demselben Zimmer und wird zumeist von die eiteren Kindern oder auch einer Großmutter besorgt. Außer dem Koch herde gibt es dort keine Kücheneinrich tung. Auch keine Speisevorrath-Kam mer oder dgl. finden wir hier nicht vor, sondern nur einen Vorzimmer-Raum, wo dicht aneinander gereiht ganz einfa che gewenliche Kisten stehen, welche die ganzen Mundvorräthe, sowie auch das Kochgeschirr beherbergen. Als entsprechender Wohnraum für eine, wenn auch mehrköpfige Familie, sind drei Quadratmeter oder 9 Quadrat schuh bestimmt. Hier sehen wir eines oder zwei Betten stehen, welche aus ungehobelten Brettern nur ganz einfach zusammengenagelt sind. Das Ruhelager bietet ihnen ein wenig Rüttstroh, wel ches nur selten in einen Strohsack gefiillt, gewönlich aber nur mit einem Stück Leintuch oder Kotzen bedeckt ist. Sehr oft entbehrt ein derartiges Bett jedwedes Betgewand und als nothwendiger Schutz gegen die Kälte werden nun die Oberkleider benützt. Dort in der Mitte des Zimmers sehen wir ein Bett stehen, um weiches sehr enge eine spanische Wand gezogen ist. An die Bettfüsse nemlich sind vier Stangeln angenagelt, auf diese dann ein paar Leintücher gespannt, welche nun die interessante spanische Wand bilden. Zwischen diesen wird ein neue Weltbür ger empfangen, dann aber wird der unnöthige(?) Schutz sofort entfernt und am zweiten oder dritten Tage geht nun die Mutter schon wieder an ihre Arbeit, welche sie als eine „Ziegelmacherin" zu verrichten hat. Kinder, welche im Bett keinen Plaz mehr haben, werden ganz einfach für die Nacht auf dem ziegelgepflasterten Boden hergebettet. Die Wohnungen sind bereits durchgehens mit Mauerziegeln gepflastert, was den Ziegelmachern nebst andere auch den Vortheil gewährt, daß die Kinder, sobald sie aus der Wiege herauskommen, mit den Ziegelsteinen sich sofort bekant machen, wobei der Körper für den Ziegelraacher Beruf ge hörig abgehärtet wirtL Hie und da sehen wir auch ein kleines an die Wand gerücktes Tischchen, ober welchen diverse Bilder und ein Kruzifix hängen. Eine zu Füßen des Bettes ste hende Kleiderkiste oder ein Kofer er gänzt die Zimmereinrichtung eines Ziegelmachers. Aus dem oberwähnten Vorzimmerraum-Gang gelangt man in vier ganz gleiche Zimmern. Wir wollen hier eine kurze Betrachtung anstellen und besonders, was die Kindererziehung an belangt, einiges beobachten: Die Kinder, stets mehrere an der Zahl, sind bis zum Schulgehen, gewenlich nur mit dem Hemdchen bekleidet und wie im Sommer, so auch ira Winter baarfußig. Wie schon erwähnt worden, arbeitet die Mutter den ganzen Tag im Sommer und Winter Hand in Hand mit ihrem Mann und besonders aber im Sommer ist sie des Morgens 3 oder '/j4 Uhr schon bei ihrem Arbeitstisch draußen am Platz mit dem Zi^elmachen beschäftigt. Hat sie schon etwa 10- oder 12-jährige Kin der, so müssen dieselben überall, wie im Haus, so auch am Platz, verschiedene Arbeiten verrichten. Die kleineren, 1 bis 6 Jahre alte Kinder, sind den ganzen Tag sich selbst überlassen und erhalten bei solchen Verhältnissen eine nur sehr spärliche Erziehung. Die geistige Ent wicklung und die sozusagen ganze moralische Erziehung wird also der Schule überlassen. Kaum in ein anderes Zimmer eingetretten, begrüßten uns dortseihst drei alte Großmütter. Sie fragten unter An dern auch, ob es doch endlich wohl zu Stande kommen wird, daß für ihre Kin der (der sämtlichen Ziegelmacher) eine geeignete Schule errichtet wird werden. Ob sie auch die Zeit noch erleben wer den, wo sie an Sonn- und Feiertagen eine böhmische, ihnen verständliche Predigt zu hören bekommen werden. Und welchen Trost konnten wir ihnen geben? In einem anderen Zimmer lag ein zirka 40 Jahre alter Mann, weichen ein schlimmes Fußleiden ans Bett gefesselt, darnieder. Fünf seiner Kinder standen um ihn, ganz trostlos und trauend um ihren armen, leidenden Vater. Wir frag36

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