Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

2. daß die zwölf Arbeitsstunden durch 2 Ruhestunden unterbrochen werden sollen. 3. daß die Kinder an Sonn- und Feyer tagen zu gar keiner Arbeit in Fabriken verwendet werden dürfen. Einige in dem zurückfolgenden Gut achten stellen den Antrag, daß die Kin der, welche das zwölfte Jahr noch nicht erreicht haben, nur halbtägig zur Arbeit verwendet werden sollen, damit sie in der andern Hälfte des Tages unterrichtet werden können. Dieser Antrag ist sehr wohl gemeint, aber nicht ausführbar, weil an jenen Orten, wo der Unterricht in der Schule nur halbtägig ertheilt wird, die Hälfte der Fabrikskinder, wel che über 9 Jahre alt sind, in die Schule zu jenen Stunden kommen würden, wo die kleinsten Kinder von 6 bis 7 Jahren unterrichtet werden und weil sie des Religionsunterrichts entbehren würden. C.Uiber die intellektuelle Bildung der Kinder Fabrikskinder über 12 Jahre sollen nach den bestehenden Vorschriften zum Besuche der Wiederholungsschulen und Christenlehren, so wie andere Kinder verhalten seyn und die Fabriksinhaber sind dafür verantwortlich zu machen, daher an jenen Orten, wo die Wiederho lungsschule an Sonnabenden gehalten wird, die Fabrikskinder an den dazu bestimmten zwey Stunden dem Wiederhohlungsunterricht beiwohnen sollen. Die Kinder, welche in einzelnen Nothfäl len vor Erreichung des zwölften Jahres in Fabriken gebraucht werden, sollen aber täglich durch zwey Stunden den Unterricht in den vorgeschriebenen Schulgegenständen erhalten. Wenn sie der Arbeit wegen zu den bestimmten Schulstunden der zweyten Klasse nicht erscheinen können oder wenn am Fa briksorte keine Schule wäre, so sollte der Fabriksinhaber verpflichtet seyn, durch Bezahlung eines ordentlichen Lehrers für den Unterricht der Kinder zu sorgen. Durch die hohe Verordnung vom 18. Februar 1787 ist nach der Meinung des f.e. Konsistoriums für die Bildung der Jugend nicht hinreichend und zweckmä ßig gesorgt. Auch ist diese Vorsorge nicht ausführbar, weil der Ortsseelsor ger und der Schullehrer an Sonn- und Feyertagen ohnedieß so beschäftiget sind, daß sie unmöglich an diesen Tagen einen besonderen Unterricht für die Fabrikskinder ertheilen könnten. Die k.k. Polizey-Oberdirektion glaubt, und zwar mit Grund, ein Mittel zur Sicherstellung des Unterrichtes der Fa brikskinder darin zu finden,daß ordent liche oder öffentliche Prüfungen gehal ten weden sollen. Dieses Mittel wäre allerdings zweckmäßig, kann aber nur dort angewendet werden, wo eine beste hende Anzahl solcher Kinder in einer Fabrik vorhanden ist. b.Über das sittliche Wohlder Kinder Dieses ist in Fabriken durch das Zu sammenkommen beider Geschlechter durch die Schamlosigkeit der älteren Arbeiter großen Gefahren ausgesetzt und es ist sehr schwer,dem Uibel durch äußere Gesetze zu steuern, wenn der Fabriksherr selbst nicht einen morali schen Sinn und ein reges Gewissen hat. Das f.e. Konsistorium würde den Ge danken der beiden Wiener Stadt-Physi ker, daß gar keine Mädchen in Fabriken verwendet werden sollen, sehr zweck mäßig finden, besorget aber, daß er nicht ganz ausführbar sey. Wenigstens sollte von Seiten des Staates, so viel möglich, darauf gedrungen werden, daß die Geschlechter bey den Arbeiten in Fabriken getrennt werden sollen, daß die Kinder an Sonn- und Feyertagen vor-und nachmittags bey dem Gottes dienste erscheinen und wenigstens vier Mahl des Jahres zur hl. Beicht geführet werden sollen, damit der Ortsseelsorger doch einige Gelegenheit habe, auf das Gewissen derselben zu wirken. E.Feyer der Sonn- und Festtage Es ist wirklich dringend nothwendig, daß die Ortsobrigkeiten strenge darüber wachen und verantwortlich gemacht werden, daß an diesen Tagen in den Fabriken nicht gearbeitet werde, was leider nur zu oft der Fall ist. Besonders wird unter dem Titel der Reinigung, der Verrichtung der Reparaturen in sehr vielen Fabriken der Sonn- und Festtag entheiligt und selbst gewissenhafte Ar beiter werden mit Bedrohung der Ent lassung des Dienstes zur Entheiligung gezwungen. Alle dergleichen Arbeiten sollten, wie die hohe Landesselle weis lich festgesetzt hat, an Samstagen nach mittags vorgenommen werden, denn sonst würde der Eigennutz der Inhaber das Gesetz leicht zu umgehen wissen. F.Wanderbücher Da die Kinder unter 12 Jahren nicht als selbständig angesehen werden, kön nen durch Ertheilung der Wanderbücher in ihnen leicht Hochmuth und Lust,sich der älterlichen Gewalt zu entziehen, geweckt werden könnte, so ist das f.e. Konsistorium der unvorgreiflichen Mei nung, daß nur denjenigen in Fabriken arbeitenden Leuten, welche das 15. Le bensjahr bereits zurückgelegt haben, Wanderbücher zu ertheilen seyn dürf ten. Die mitgetheilten Akten folgen gehor samst zurück. Wien,den 27. April 1841 Vincenz Eduard mundirt 28. April 1841. Die Eingabe des Wiener Erzbischofs hatte teilweise Erfolg: bald daraufwurde die Anstellung von Kindern unter zwölf Jahren in Fabriken verboten. Anmerkungen: 'Diözesanarchiv Wien, Schulakten, Mappe 95,Faszikel 3-10:Fabrikskinder. ^ Ebd.Faszikel 9, fol. 14r-19v (1839/Zl. 2678). ^ Ebd.Faszikel 7, 1843/Zl.9338. 'Ebd.Faszikel 7. 1843/Zl.8652. Ebd.Faszikel 8,1841/Zl. 1130. Kardinal Rauscher und die soziale Frage im Spiegel seiner Hirtenbriefe Von Albert Ettmayer* Die wachsende Zivilisation und die Differenzierung der Funktionen der ge sellschaftlichen Aufgaben bilden im Kul turvolk eine neue Gesellschaftsordnung'. Soziale Fragen werden aufgeworfen, Reichtum auf der einen und Armut auf der anderen Seite prägen das Bild der sich weiterentwickenden Gesellschaft der Österreichisch-Ungarischen Mon archie. Rauscher hat die sich daraus ergebenden Probleme vor Augen und äußert sich auch dazu: „Nicht aus Furcht sollen wir dem irdischen Herr scher Gehorsam zollen, sondern um das unsägliche Elend, welches die Erschüt terung der geselligen Ordnung verbrei tet, von Millionen unserer Mitbürger abzuwenden, ..."- Die Probleme, die das Elend mit sich bringt und das Volk aus seinen Wurzeln reißen, offenbaren sich in weiterer Folge auch in der Stel lung und Position der Kirche. Im Gegensatz zur Kirche erkennen die liberalen Kreise die politische Bedeu tung der sozialen Schwierigkeiten, wes halb wirtschaftliche Beiträge in ihren Zeitungen Niederschlag finden. Wie diese reagieren, ist für die Kirche von Bedeutung.Am 10, Mai 1873 schreibt das „Neue Wiener Tagblatt": „Nach dem jüngsten großen Eisenbahnunglück bei Pest ist von einer Seite die Bemerkung gefallen, daß es nur .Arbeiter' waren, die von der Katastrophe betroffen wor den sind. Nach dem großen Börsenun glücke darf diese entsetzliche Bemer kung dahin variiert werden, daß es nur Börsianer waren, die von der Katastro phe betroffen worden sind... Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Ele mentarereignis am Schottenring noch gewaltige Konsequenzen nach sich zie hen." Wie dieser Zeitungsausschnitt be weist, sind soziale und gesellschaftliche Spannungen in der Bevölkerung vor handen. Sozialismus und Kommunismus lehnt Rauscher aus erwähnten Beweggründen ab. Eine Alternative entwickelt das Herrschaftssystem und damit auch die Kirche nicht. Es scheint, als kann die weltliche und auch die kirchliche Insti tution mit der raschen Entwicklung der Industrialisierung und den Problemen der Arbeiterschaft nicht Schritt halten. So bietet sich das Bild in den Hirtenbrie fen. Demonstrativ beschreibt die „Neue Freie Presse" am 26. Februar 1868 die soziale Einstellung „der Kirche": „Cardinal Rauscher verleugnet den schön sten Zug des Christenthums, indem er die Nächstenliebe einem politischen Zwecke unterordnet. ,Gebt der Kirche was der Kirche ist, und den Armen - was übrig bleibt', so etwa lautet der Wahlspruch des Cardinais."' Diese Erläuterung zum Hirtenbrief „Die Angriffe auf den Kirchenstaat und die Kirche"' ist sicherlich nicht die wahre soziale Einsteilung des Kardinals, doch zeigt sie aus dem Blickwinkel der 33

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