Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Teile ehtchristUcht - die .sociale Frage' erschien gespensterhaft und erfüllt nun alle Gemüter mit ängstlicher Besorgnis, wie mit einer unheimlichen Vorahnung kommender Katastrophen. Unsere heutige Gesellschaft ist bis auf den tiefsten Grund erschüttert. Die so ciale Frage ist eine Lebensfrage Im emi nentesten Sinne des Wortes für die ganze Menschheit geworden. Ihre Lö sung ist die großartigste, die bedeu tungsvollste, aber auch schwerste Auf gabe unserer Zeit. Wer kann und wird nun diese Aufgabe lösen? .In der Rückkehr zu den christlichen Prinzipien, zu den Lehren der Kirche und ihres Oberhauptes liegt einzig und allein die Lösung der socialen Fragen', sagte unser heiliger Vater P.P. Leo XIII Sache der Diener der Kirche, des Clerus, ist es daher, in voller Erkenntnis und Würdi gung des Ernstes unserer Zeit mit der ganzen Glut eines für Gott und das Heil der unsterblichen Seele begeisterten priesterlichen Herzens tätig einzugreifen im socialen Wirken - jeder nach Ver hältnis und Möglichkeit. Wir sehen auch an herrlichen VorbUdern, wie Hitze, Kolping, was ein Priester selbst zu lei sten imstande ist, wenn nur Muth und Vertrauen auf die Hilfe von oben ihn beseelt! - Allein wie viel würde erst gewirkt werden können,wenn sich Prie ster vereinigen zur gemeinsamen und geregelten Thätigkeit und mit der Hin gabe ihrer Person alle ihre leiblichen und geistigen Kräfte und Fähigkeiten ausschließlich für diese Wirksamkeit Gott dem Herrn zum Opfer bringen? Wäre dies nicht eine erhabene Lebens aufgabe? - Sprechen wir deutlich: Wäre es nicht für unsere Zeit von höchster Bedeutung und segensreichstem Ein flüsse auf die Gesellschaft, wenn sich eine eigene geistliche Genossenschaft bloß für die Pflege und Förderung der zeitlichen und geistlichen Interessen des Handwerker- und Arbeiterstandes bil dete? Die Antwort dürfte wohl nicht verneinend ausfallen, denn, wie ein hochachtbarer Ordensmann in einem seiner, vorigen Jahres in der Correspondenz des Wiener Gebetsvereines veröf fentlichten Briefe zur .socialen Frage' schreibt, .braucht es nach der Überein stimmung aller Fachmänner eine Art von Vereinen, in welche sich die Ärzte und Krankenwärter (der hochwürdige Herr vergleicht die socialen Verhältnisse mit einer Krankheit), d.i. Priester und Brüder zusammenthun*. Und sagen wir es nun unumwunden heraus: Der An fang zu einem solchen Vereine,zu einer eigenen geistlichen Genossenschaft für genannten Zweck ist bereits gemacht. Institutum Calasantinum ist der Name der bildenden Genossenschaft und der Anstalt, mit welcher der Gefertigte mit Genehmigung Sr. Eminenz, des hochwürdigsten Cardinal-Fürsterzbischofes von Wien das Werk begonnen hat. Hauptzweck der Genossenschaft ist, wie bei jeder, das Streben nach Voll kommenheit. Mittel hierzu sind die Be obachtung der gewöhnlichen Gelübde des Gehorsams, der Armuth und Keuschheit und des besonderen vierten Gelübdes, die leiblichen und geistigen Kräfte dem Wohle des Handwerker- und Arbeiterstandes nach Vorschrift und Re gel und der Weisung der Oberen zu widmen. Als geplanter Wirkungskreis der Genossenschaft kann angegeben werden: A. Im allgemeinen: die Ausbildung aller Liebeswerke bezüglich des zeit lichen und geistigen Wohles der Arbei ter, insoweit dies mit den gegebenen Satzungen und Regeln übereinstimmt. B.Im Besonderen: 1. Die Ertheilung des Religionsunter richtes in Volksschulen für Knaben, auf welche für die Zeit des Lehreintrittes heilsamer Einfluß geübt werden kann. 2. Die Lehrvermittlung, durch welche christliche Meister brave, christliche Lehrlinge und umgekehrt zugebracht werden sollen. 3. Die Errichtung von Lehrlingsasy len,in welchen theUs armen Knaben,bis ein für sie passender Lehrplatz gefunden ist, theils wirklichen Lehrlingen, die jedoch beim Lehrmeister nicht Wohnung und Verpflegung haben, diese und christliche Erziehung erhalten. 4. Die Errichtung von Lehrlingsverei nen, welche den Lehrlingen an Sonnund Festtagen in ihren freien Stunden zur geselligen Versammlung ein Heim bieten, sie dadurch von schlechter Ge sellschaft abhalten und durch entspre chende Beschäftigung, in theils unter haltender, theils belehrender Weise zur Heranbildung eines christlichen Hand werksstandes verhelfen. 5. Die Gründung katholischer gewerblicher Privatschulen und Erthei lung des Religionsunterrichtes in den bezüglichen Staatsschulen. 6. Nach Bedürfniß die geistliche Lei tung von katholischen Gesellen-, Mei ster- und Arbeitervereinen. 7. Arbeiter-Exerzitien. 8. Die Leitung von Arbeitshiusern und Besserungsanstalten. 9. Arbeits- und Dienstvermittlung u.a.m. Vorliegende Blätter, welche das gege bene Programm zum ersten Male in weitere Kreise bringen, sind nun be stimmt, als Organ des Institutes, Ver künder dessen Thätigkeit und Bestre bungen zu sein und führen desshalb den Titel: ,Das christliche Handwerk*,.Stim men aus dem Calasantinum', und wer den als solche in ihrer Entwicklung zu einer Zeitschrift für den gesammten Handwerker- und Arbeiterstand sich gestalten, um als Hilfsmittel zu dienen, denselben nach der Mahnung des heili gen Vaters zu den christlichen Prinzi pien, zu den Lehren der Kirche und ihres Oberhauptes zurückzuführen... Möge es auch nicht befremden, daß die erste Nummer fast ausschließlich mit dem Calasantinum sich beschäftigt, aber es schien nothwendig und nützlich, eben gleich in der ersten Nummer die P.T. verehrten Leser mit Zweck und Einrichtung des Institutes, dessen Organ diese Blätter sein sollen, und von dem sie Heil und Segen in den gesammten christlichen Handwerker- und Arbeiter stand tragen wollen, vollkommen ver traut zu mächen. Gott segne das Unter nehmen!" ' ' Im Jahr 1888 konnte rhit dem Kirchen bau in der Idagasse (heute P.-SchwartzGasse, 15. Bezirk) begonnen werden,es fanden sich auch Laienmitarbeiter, so daß die Gründung einer eigenen Or^ densgemeinschaft sich immer mehr als nächster Schritt in der Berufungsge schichte Schwartz' zeigte. Kardinal Gangibauer war einverstanden; aller dings war auch eine staatliche Genehmi gung vonnöten, und diese ließ auf sich warten. In der zweiten Hälfte begannen sich die Probleme zu lösen (sie waren V. a. finanzieller Natur), und am 24. November war es dann soweit:Schwartz konnte mit fünf Laienbrüdern eingeklei det werden,so daß mit diesem Tag auch die „Kongregation der frommen Arbei ter vom hl. Josef Kalasanz von der Mutter Gottes"geboren wurde. Der Anfang war schwer,es fehlte v.a. an Mitgliedern, die sich dieser wirklich „armen" Gemeinschaft angeschlossen hätten. IJÖl hatte sie erst zwölf Mit glieder.^trat auch der erste Priester Wenzel Siman in die Gemeinschaft ein; dieser erwies sich in der Folge als treuer und umsichtiger Gefährte Schwartz' und trug viel zur Konsolidierung und zum Aufbau der jungen Gemeinschaft bei. Um sich in etwa ein Bild von der Arbeit der Kongregation in ihren Anfangen machen zu können, seien hier einige Fakten genannt: Im Lehrlingsoratorium waren im Jahre 1895 156 Lehrlinge, im Jahr 1896 wurden 145 Lehrstellen ver mittelt (lange bevor es Arbeitsämter gab), im Lehrlingsheim waren 1896 31 Lehrlinge dauernd untergebracht. Aner kennung fand die junge Gemeinschaft auch in der Gesellschaft der damaligen Zeit. Schwartz hatte viele Wohltäter in Adeisfcreisen; als Repräsentant der Kalasantinerarbeit fungierte der „Verein zur Erziehung katholischer Lehrlinge"-, dessen Protektorat ab 18^ die Kaiser tochter Erzherzogin Marie Valerie über nahm. Das Werk gedeiht: Ausbreitung Es war Schwartz immer ein großes Anliegen, den Lehrlingen und Arbeitern Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen; deshalb legte er auch allergrößten Wert auf Bildung, Sprache und Umgangsfor men, was sich u.a. in zahlreichen TheateraulTührungen und sonstigen kulturel len Aktivitäten der Lehrlinge zeigte, wie überhaupt das Theaterspiei in der Kalasantinerseelsorge der ersten Jahrzehnte eine große Rolle gespielt hat. Es wäre aber verfehlt, würde hier der Eindruck entstehen, «iaR es d«)Kalasantinem nor um .JCultur" gegangen wäre. Schwartz war einer, der den Mensrfien ganzheit lich sah, dem es sowohl um die mate rielle Not (die er immer als erstes an packte; er sagte einmal -im Zusammen hang mit der Kalasantinerarbeit bei den Knaben in Hemals -r ,,Bei diesen Kin dern geht jede Seelsarge zuerst einmal durch den Magen"), als auch die geistige und geistliche Not seiner Schützlinge ging. Er machte sich zahlreiche Gedan ken, über die Veränderung ihrer sozia len Lage durch Gösetzesreformen, aber 26

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