Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

tragsmoral anderseits den schmalen Mit telweg zu finden und zu halten, klar ausgesprochen.-" Am zielführendsten erwies sich immer mehr der persönliche Kontakt. Während auf dem Land in der Regel der Pfarrkir chenrat die Einhebung der Kirchenbei träge durch dazu bestellte, mit Licht bildausweis ausgestattete Organe vor nehmen konnte, wurde die Einhebung im Reichsgau Wien besonders erschwert durch die Verfügung, daß nur hauptbe rufliche Organe verwendet werden durf ten. Und da es verständlicherweise schwer war, solcherart geeignete Mitar beiter zu finden, blieb sehr oft dem Pfarrer die gesamte Arbeit allein.-" Der Eingang an Kirchenbeitragsmit teln war nicht überall gleich. Während er gesamtösterreichisch im Jahr 1939 rund 5 Mill. RM betrug, stieg er 1940 schon auf 15 Mill. RM. 1944 sogar auf über 20 Mill. RM an. Laut Bischofskonfe renzbeschluß sollten Klagen möglichst lange hinausgeschoben werden. In Wien zeigte der Gebarungsausweis für 1939 und 1940 für den Zeitraum Herbst 1939 bis 30. April 1940 einen Eingang von RM 3,003.464,89, für den Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 1940 einen Eingang von RM 4,501.877,70 auf.-" Bei der Konfernz der FIKA-Direktoren im April 1944 stellte sich heraus,daß in Wien, Graz, Klagenfurt und Eisen stadt noch nie geklagt hatte werden müssen, wohl aber in Salzburg,Linz und St. Pölten. Somit hatten sich die schlimmsten Erwartungen bzw. die üblen Absichten der nationalsozialistischen Machthaber nicht erfüllt. Die Bevölkerung, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit zwar Geld, aber wenig Waren zu kaufen hatte, kam ihrer Beitragspflicht nicht nur treu nach, sondern die Bereitschaft, die Kir che, die von dem inzwischen zum gro ßen Teil wohl gehaßten Regime ebenso unterdrückt war, zu unterstützen, sich mit ihr zu solidarisieren, überstieg die bangen Erwartungen um ein Vielfaches. Kardinal Innitzer sprach dies in seiner offenen Art bereits im Dezember 1939 aus, als er sich in einem Hirtenbrief dankbar an seine Diözesanen wandte: „...Ich gestehe offen, daß ich manchmal mit einigem Bangen an die Erfordernisse dachte, die der Haushalt einer so großen Diözese auch bei der bescheidensten Lebensführung beansprucht. Diese gro ßen Sorgen habt ihr, liebe Katholiken, durch euer Verständnis und eure Opfer willigkeit erleichtert; ja, noch mehr, ihr habt sie zu den euren gemacht. ... Ich bin glücklich, als Bischof eine Diözese zu besitzen, die weiß, daß die Kirche nicht nur eine Angelegenheit der Prie ster ist, sondern durch die Tat bekannt hat, daß wir alle, Klerus und Volk, in Wahrheit die Kirche sind." Und der Kardinal schließt mit den Worten: ,,Nie mals wird euch der Bischof größere Opfer zumuten, als zur Erhaltung der Diözese unbedingt notwendig sind. Ich weiß mich mit meinem Klerus eins, wenn ich euch versichere, daß wir uns mit dem Bescheidensten begnügen wer den, und ich werde Sorge tragen, daß sich niemand - und das gilt besonders für diejenigen, die härter unter der Not des Lebens zu tragen haben - durch die Leistung der Kirchenbeiträge bedrückt fühle."-"' Im Sommer 1945, nach Kriegsende, begannen die Zahlungen zu stocken.Die Katholiken glaubten mit dem Ende des NS-Staates auch das Ende des Kirchen beitragsgesetzes gekommen. Der Staat sah das aber anders: das Rechtsüberlei tungsgesetz, welches untragbare Vor schriften aus der nun wieder österreichi schen Rechtsordnung zu entfernen hatte, brachte dem Kirchenbeitragsge setz Eingang in die Österreichische Rechtsordnung. Was nun das Argument bzw. den Vorwurf betrifft, daß die Kirche nach 1945 nicht wieder auf die Gepflogenhei ten vor 1939 zurückgegangen sei und vielmehr dieses „totalitäre" Relikt doch offenbar ganz gerne beibehalten habe,so müssen bei einer solchen Argumenta tion doch einige Gesichtspunkte mitbe dacht werden: abgesehen davon,daß die notwendige Rechtsgrundlage erst durch den 1955 erfolgten Staatsvertrag ent standen wäre, wäre es für die neuerstan dene Republik mit ihren vielen dringli chen Problemen nicht leicht gewesen, alle enteigneten Güter wieder zurück zuerstatten, bereits weiterveräußerten Grund und Boden, inzwischen völlig geänderte einstige dotierte Posten wie der zu schaffen, ganz abgesehen davon, daß sich auch die Organisation und der Bedarf der Kirche - man denke nur an die zahlreichen erfolgten Neuerrichtun gen von Pfarren in der Zeit des Dritten Reiches-radikal geändert hatte. Somit war es sicherlich auch im Inter esse des Staates, ein funktionierendes System eher zu belassen als es zu zer stören. Es ist daher nicht fair, dieses Faktum der Kirche allein und überdies mit ausschließlich negativen Beizeichen in die Schuhe zu schieben." Allerdings gab und gibt es seit der Wiedererrichtung Österreichs nach 1945 Bemühungen um ein österreichisches KB-Gesetz. Bereits im November 1945 nahm Dir. Dr.Taschner mit dem damali gen Unterstaatssekretär im Unterrichts ministerium, Dr. Hefel, in dieser Frage Kontakt auf. Am 8. Juni 1948 reichte die Bischofskonferenz den ersten Gesetzes entwurf beim Unterrichtsministerium ein. Die Beratungen darüber wurden aber anläßlich der Verhandlungen über den Vermögensvertrag zunächst zurück gestellt. In den Jahren 1947 bis 1952 wurden laufend Änderungen bzw. Überarbeitun gen der Textvorlage vorgenommen. Das Kirchenbeitragsgesetz stand auf der Ta gesordnung nahezu jeder Bischofskonfe renz. Im Jahr 1950 tauchte auch die Frage einer staatlichen Einhebung der Beiträge auf."'- Das Staatsvertragsdurchführungsgesetz zu Art.26 des Staatsvertrages vom 15. Mai 1955, am 20. Dezember 1955 beschlossen, brachte den eindeutigen Anspruch der geschädigten Kirchen auf Wiedergutmachung ihrer Verluste, die durch nationalsozialistische Maßnah men, insbesondere durch den §5 des Kirchenbeitragsgesetzes eingetreten wa ren,durch. Durch den Vermögensvertrag vom 23. Juni i960 wurde dieser Anspruch abge golten. Die Kirche erhielt von selten der Republik als Entschädigung für die im Jahre 1939 verstaatlichten Religions fondsgüter eine jährliche Abgeltungslei stung von 100 Mill. öS zugestanden. Der davon auf die einzelnen Diözesen entfal lende Anteil macht allerdings nur etwa ein Zehntel des Gesamtbedarfes der Kirche aus. Der Vertrag hat zwar die öffentlich-rechtliche Stellung der katho lischen Kirche in Österreich neuerlich unterstrichen, der Kirchenbeitrag besaß aber nach wie vor nicht den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Abgabe. So mit blieb letztlich das Problem der Steuergerechtigkeit bzw. der Beitrags gerechtigkeit ebenso bestehen wie eine läufende Diskussion über die pastoralen Aspekte des österreichischen Kirchen beitragssystems."' 1962 trat eine neue, von allen Diözesen gemeinsam beschlossene und erarbeitete Kirchenbeitragsordnung in Kraft. Der Tagungspunkt Nr,27 der Bi schofskonferenz vom April 1968 berich tet: „Das Kirchenbeitragsgesetz ist im Entwurfsoweit fertiggestellt, daß es der Bundesregierung überreicht werden kann." Meinungsverschiedenheiten, im besonderen gegen den 2 des geplanten Gesetzes, der sich mit der Auskunfts pflicht der Behörden betreffs Wohnort und Arbeitgeber des Beitragspflichtigen befaßte, verhinderten das Zustandekom men einer Einigung. Im Jahr 1972 wurde die Absetzbarkeit der entrichteten Kirchenbeiträge er reicht - eine Forderung, die schon im Jahr 1955 im Weißbuch der Bischöfe erhoben worden war. Hier hieß es da mals ziemlich deutlich: „...Bis 1938 wa ren in Deutschland selbst die Kirchen beiträge steuerlich absetzbar und sind es wieder seit 1947. Trotz wiederholter Suppliken aller Konfessionen haben wir bis heute in Österreich für dieses Anlie gen nur taube Ohren gefunden, während z. B. Kammer- und Gewerkschaftsbei träge dieses Vorrecht genießen. Wenn hier technische Durchführungsschwie rigkeiten vorgeschützt werden, können wir angesichts der tatsächlichen Durch führung in Deutschland nur sagen, hier mangelt der gute Wille."'' Im Jahr 1982 wurde ein weiterer Ver such eingeleitet. Vor allem im Interesse der Beitragspflichtigen ist eine abseh bare, allgemein befriedigende Lösung zu erhoffen! A.F. Anmerkungen: 'DAW,BA Innitzer, Kirchenbeiträge. HHStA-ADR, Bürckel-Akten, 2506/1 Maßnahmen auf kirchensteuerlichem Gebiet,Fernschreiben vom 20 5. 1938. " Vgl. dazu: Maximilian Liebmann, Theodor Innitzer und der Anschluß, Österreichs Kirche 1938, Styria, Graz - Wien-Köln,1988,S.211. ' Vgl. Liebmann,S. 213. Nachlaß Bischof Schoiswohl, freund licherweise von Dr. Norbert Müller, Leiter des Diözesanarchivs Graz, zur Verfügung gestellt. 22

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