Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

trolle über dieselben müssen unter Bedachtnahme auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit aufeinander abgestimmt werden. Die Kirche von Wien bekennt sich im Geiste des Evangeliums zur Armut und zieht daraus, um die Lauterkeit des Zeugnisses zu gewährleisten, die not wendigen Folgerungen." Eine Denkschrift des Wiener Erzbischofs Kardinal Christoph Anton Migazzi über die Vorteile pfarrlichen Grundbesitzes(1776) Im Zuge der schon unter Kaiserin Maria Theresia einsetzenden Kirchenre formen wurde den landesfürstlichen Pfarren am 18. Mai 1771 vorgeschrieben, ihre Grundstücke innerhalb eines Jahres an den Meistbietenden zu verkaufen. Der Erlös sollte in öffentlichen Fonds angelegt werden. Der Wiener Erzbischof und das Fassauer Konsistorium in Wien wurden aufgefordert, ihre Meinung über den Vorschlag, diese Vorgangsweise überhaupt bei allen Pfarren zu überneh men, abzugeben'. Ähnliche Vorschläge wurden von den staatlichen Behörden auch 1773 und 1776 gemacht.Von staatli cher Seite wurde der Verkaufder pfarr lichen Grundstücke als Maßnahme zur Entlastung der Seelsorger propagiert. Das Passauer Konsistorium in Wien und der Wiener Erzbischof sprachen sich jedoch einmütig gegen diese Vorgangs weise aus; sie verwiesen dabei vor allem auf die Tatsache, daß die Finanzierung der Pfarren aus Kapitalerträgen viel stärker den Gefahren der Geldentwer tung ausgesetzt sei. In diesem Zusammenhang verfaßte Kardinal Migazzi am 12. Juni 1776 die folgende Eingabe an die Kaiserin^.Wenn seine Argumente natürlich zeitgebunden waren, so sind sie doch ein wichtiges Zeugnis für die Verteidigung der finan ziellen Autonomie der Kirche. Gleichzei tig wird das Wirken der Seelsorge in einer noch weitgehend agrarisch gepräg ten Gesellschaft anschaulich beleuchtet. „Betrachtungen auf den gemachten An trag, auch die Äcker der Pfarren und Kirchen zu verkaufen. 1. Die Stiftungen sind ein Denkmahl frommer Christen. Diesen hat der Lan desfürst nach deren Verlangen die Auf rechthaltung zugesagt, und in den mei sten Stiftbrieferl allen Verkauf verbothen. 2. In allen übrigen will man die Geist lichen nicht änderst, als Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft ansehen, wie hart geschieht ihnen denn nicht, da man sie zu einer Veräußerung nöthigen will, welche keinem anderen Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft aufgetragen wird, und sie mit eben so vielen Rechte, als alle übrige Mitglieder besitzen. 3. Diese Stiftungen machen den Un terhalt des Dieners des Altares aus, welcher erbrechen wird, wenn der beste Theil der Realität, als wie ein Acker ist, verkauft wird. Der Pfarrer kann bey Abgang eines Ackers sich kein Vieh halten; durch diesen Mangel geht ihm der nothwendigste Theil an Nahrung ab, als: Milch, Butter und Schmalz, welches er in manchen Dörfern nur in sehr hohen Werthe. öfters aber auch nicht um baares Geld nach der bekannten Erfahrniß haben kann. 4. Der Abgang des Viehes macht ihm die Beylassung des Zehends und der Wiesen fast mehr schädlich als nützlich; er kann sich noch eines, noch das andere zu Haus führen laßen, da eben dieser Theil der pfarrlichen Einkünfte zu der Zeit einzubringen ist, wo des Bauern volks Zugvieh mit der Aerndteeinführung beschäftiget ist und nicht gemiethet werden kann. 5. Der Verkauf der Aecker wird auch einen sehr geringen Ersatz durch die Versteigerung für den Seelsorger ein bringen, theüs aus Abgang der Käufer, theils aus Mangel des baaren Gelds. 24 Joch Aecker machen gemeiniglich den meisten Theil der Unterhaltung des Seelsorgers aus, und wenn auch ein Joch um 100 Gulden verkauft würde,so ist der Betrag des Kapitals hievon nur 2400 Gulden, folglich nur ein Interesse'' von 96 Gulden, und bey Herabsetzung der Interessen ein noch weit geringerer Betrag. 6. Auch der jährliche Empfang dieser Interessen wird unsicher seyn; denn wo wird das aus dem Verkauf der Grund stücken fließende Geld angeleget wer den? In Fundis publicis hat es seine Bedenken, denn in den Kriegsläufen werden die Interessen öilers nicht einmahl aus diesen bezahlt, und lehret die Erfahrenheit, daß die Feinde öfters alles hinweggenommen,und kaum mehr eine Stiftung von 200 Jahren zu finden sey, welche in alleinigen Capitalien gegrün det war, und ist kaum ein fundus publicus und ein Staat vorzuzeigen, welcher in 200 Jahren ein öffentliches banquerot nicht gemacht hätte. Woher wird denn in einem solchem Fall der Seelsorger seinen Unterhalt nehmen? Die Gemein den sind erarmet,der Landesfurst dürfte auch nicht im Stande seyn,ihm densel ben zu geben; hiemit könnte sich gar wohl ereignen, daß das Volk ohne Hir ten bliebe. Haften aber die Interessen auf der Herrschaft, so wird der Seelsorger tau send Unannehmlichkeiten ausgesetzt werden; denn wie oft ergiebt es sich,daß das Hirtenamt ihn in Ansehung der Herrschaft oder ihrer Verwalter zu sol chen Schritten verbinde, die beyden unangenehm sind und die Herrschaft und Verwalter wider ihn aufbringen und abgeneigt machen? Der Tag der Zahlung der Interessen wird der Tag der Rache seyn. Soll er alsdenn gerichtlich die Sache betreiben, wie viele Unkösten und Zeitverlust würde er nicht machen, und folglich wie lang nicht nahrunglos verbleiben müssen?, oder aber um seine Nahrung zu haben, wird er seinem Amte untreu werden. Liegt endlich das Geld bey der Ge meinde,so werden die nämliche unange nehme Folgen daraus entstehen, und eben dieselben Gefahren zu befürchten seyn. Die Beschaffenheit einzelner Bauernhäuser ist jedermänniglich be kannt. 7. Die Stiftungen der Realitäten, wenn sie auch durch den Feind zu Grund gerichtet worden, sind wiederum durch den Fleiß der geistlichen Inhaber erho ben und zum Unterhalte gebracht. 8. Die Aufrechterhaltung derley Reali täten hat auch dieses im Voraus, daß nach dem Fallen oder Steigen der Le bensmittel diese immer einen minderen oder größeren Werth haben, mithin das Gleichgewicht beybehalten, daher auch für den Seelsorger die Einkünfte in gleicher Maaße bleiben; bey den Stif tungskapitalien aber werden bey Ver minderung der Interessen die Lebensbedürfniße an Werthe erhöht, der Seelsor ger in doppelten Nachteil gezohen: er erhält weniger an Interessen und grö ßere Kosten zu Beschaffung der Lebens mittel. 9. Der Bauer verlieret ebenfalls vieles dabey. Der Pfarrer verwendet gemeinig lich auf den Ackerbau mehreren Fleiß, er verbindet denselben mit seiner Ein sicht und ertheilet ihm manchen nützli chen Unterricht, wie die nicht von weni gen geschriebenen Wirthschaftsbücher zum Beweise sind. 10. Die Beylassung der Aecker ist auch nicht zur Hinderniß der Seelsorge: die Nachsicht, welche der Pfarrer auf seinen Ackerbau verwendet, machet zwischen der Beschäftigung der Seel sorge und dem Gebethe eine Gemüthserhohlung aus und läuft keinen Sazungen entgegen. 11. Diese Beybehaltung sezet auch den Seelsorger in Stand, sich eine Vor sehung an Naturalien mit Schmalz, Milch, Brodt, Hülsenfrüchten und Stroh zu machen und dem auf dem Lande erarmeten und gemeiniglich in dem Pfarrhofe Hilf suchenden Grundholden von diesem Vorrathe etwas abzugeben, welcher öfter um baares Geld nicht zu haben ist. 12. Mit der Behebung der Interessen wird der Seelsorger sich selten den nöthigen Vorrath verschaffen können, da diese nach den Umständen der Zeiten entweder gar nicht eingehen, oder we nigstens zu jener Zeit nicht erhalten werden, zu welcher die Hausbedürfniße zu verschaffen sind. 13. Die Interessen werden auch in Vergleichung des gehobenen Nuzens aus der Realität einen viel geringeren Theil betragen, wenn die Realitäten aus Man gel der Käufer und des Geldes um einen geringen Werth hindangegeben werden müssen; und obschon geschehen dürfte, daß die darauf haftende Landesfürstliche Gaben von einem oder anderen in Rück stand verblieben, so wäre deswegen nicht auf die Veräußerung des Grund stückes zu dringen, da andere Mittel in Händen, den Ausstand eben so, wie bey einem Weltlichen, zu betreiben, wenn der Verkaufder Realität nicht aufgebür det wird, ausser im Fall, wenn dieser die Wirthschaft gänzlich verläßt, welche doch widerum in fleißigere Hände fällt, die die Abgaben hievon abzinsen. Wieviel arme Pfarrkinder und Wande rer kommen nicht täglich zu ciem Seel sorger um Allmosen; mit Geld kann er solchen nicht beyspringen, ein Stück Brodt muß die Aushilfe seyn, hat er aber kein eigenes Getraid, so wird er genug 14

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