wurden leistungsfähige kirchliche Herr schaften gebildet. Im Lauf des 11. Jahr hunderts geriet die Mehrheit der öffent lichen Gerichtsbezirke in die Hand der Bischöfe und Reichsabteien. Die Reichs kirche wurde dafür zu den bedeutend sten militärischen und finanziellen Lei stungen verpflichtet. Schon im 10. Jahrhundert aber erhob sich, in Verbindung mit der cluniazenser Reform eine mächtige kirchliche Oppo sition, welche die Kirche und insbeson dere die Geistlichkeit aus der Abhängig keit von weltlichen Instanzen und Inter essen zu lösen suchte, um sie für ihre eigentlichen Aufgaben freizumachen. Die Gründung des nach einer ver schärften Benediktinerregel ausgerichte ten Klosters Cluny im Jahr 910,das, von jeder weltlichen und geistlichen Ober aufsicht befreit, allein unter päpstlichem Schutz stand, und die daraus erwach sende Reformbewegung der Klöster be wirkte eine tiefgreifende Erneuerung der Kirche mit der Beseitigung der Ausartungen des Eigenkirchenwesens. Auch die Reformbewegung der Zister zienser, deren monastisches Leben nach der Benediktusregel am 21. März 1098 in Citeux begann, hatte infolge ihrer zentralistischen Verfassung eine bisher un bekannte Stoßkraft: jährliche Visitation der Klöster, ein jährliches Generalkapi tel, sorgte für Geschlossenheit nach au ßen. Die Charta Caritatis verlangte um der Reinheit der Regel willen die Frei heit von jeder kirchlichen und weltli chen Einmischung, im Besonderen die Freiheit vom grundherrlichen Eigenkirchenwesen. Nicht zuletzt der Persönlichkeit Bern hards von Clairvaux (1090 bis 1153) ist die große Ausbreitung des Ordens zu verdanken, der in einer ausgewogenen Harmonie von Gotteslob, geistlicher Le sung und Handarbeit zu einem bedeu tenden Wegbereiter der Reform wurde. Als diese Ideen der Kirchenreform Rom eroberten, trat ein vollständiger Umschwung in Ansehen und Machtstel lung des Papsttumes ein. In der zweiten Hälfte des 11. Jhdts. leitete die Gregoria nische Reform mit ihrer strengen Tren nung zwischen Priester- und Laientum den Prozeß der Laisierung des Staates ein. Bis dahin hatte sich die mittelalterli che Christenheit als Einheit, verkörpert in zwei Häuptern, Kaiser und Papst, gefühlt. Nun wurde die Entwicklung zum päpstlichen Hierokratismus, d. h. einer kirchlichen Weisungsgewalt ge genüber dem Staate, begonnen. Aus der Verbindung der cluniazensischen Reformbewegung mit der an alt kirchlichen Idealen orientierten Kanonistik erwuchs, bei der verschärften An wendung der Primatialgewalt gegen über dem Episkopat, der Investitur streit, der zu einem grundsätzlichen Streit zwischen „regnum" und „sacerdotium" wurde. Schon 1059 wahrte das Papstwahlde kret das Recht des deutschen Königs an der Papstwahl in Hinkunft nur äußer lich, in einer unbestimmten Klausel. Ebenso wurde ein grundsätzliches Ver bot der Laieninvestitur ausgesprochen. Auf der römischen Fastensynode von 1075 verschärft Papst Gregor VII. (1073-1085) dieses Verbot unter Bannan drohung. Die Befolgung dieser Forde rung hätte bei dem seit Otto I. bestehen den Reichskirchensystem dem König die Regierung unmöglich gemacht. Die 1076 erfolgte Absetzungserklärung des Pap stes sowie die Bannung des Königs (Heinrich IV., 1056-1106) sind schwere Geschütze von beiden Seiten. So wurde der sogenannte Investitur streit zu einem grundsätzlichen Streit zwischen Kirche und Reich, weil die von den Gregorianern angestrebte Lösung nicht ohne tiefgreifende Änderung der Reichsverfassung möglich gewesen wäre. In diesem Entscheidungskampf zwischen Kaiser und Papst wurde somit ein grundlegender Wandel im Verhältnis der beiden Gewalten herbeigeführt. Das deutsche Königtum erlitt einen Schlag, von dem es sich nie wieder ganz erholte. Die Führung Europas ging vom Kaiser aufden Papst über. Der Kompromiß des Wormser Kon kordates von 1122 anerkannte zwar das Obereigentum des Königs über das Reichskirchengut, lockerte jedoch seine Herrschaft über die Kirche zugunsten der geistlichen Fürstentümer. Weitere Auseinandersetzungen waren somit un vermeidlich. Ein so erstarkendes Papsttum bean spruchte und behauptete darüber hinaus immer mehr den Alleinherrschaftsan spruch über Kirche und Welt(= Staat). Dies wirkte sich praktisch in einer Viel falt von Forderungen, besonders finan zieller Natur,aus. Erschien unter den Staufern (1138-1254) die kaiserliche Macht in Ita lien und Sizilien der Kurie als eine Gefahr für ihre eigene Selbständigkeit, so vertrat Papst Alexander III. (1159-1181)noch eine enge Zusammenar beit von geistlicher und weltlicher Macht. Papst Innozenz III. (1198-1216) stand mit dem Doppelvikariat des Chri stus rex und Christus sacerdos der christlichen Welt vor. Als er, erst 37jährig, gewählt wurde, stand er einem in sich gespaltenen Reich gegenüber. 1198 war das Jahr der verhängnisvollen Dop pelwahl zwischen Philipp v. Schwaben und Otto IV. von Braunschweig: die Verdrängung der alten volksrechtlichen Wahl nach Geblütsrecht durch die freie Fürstenwahl kennzeichnete den Beginn der Auflösung der Kaisermacht. Die in der Folge entwickelte Thronstreitpolitik Innozenz III., die letztlich darauf ab zielte, das Imperium in eine dem Sacerdotium untergeordnete Stellung zu drängen, endete aber keineswegs mit einem Sieg; Entschied sich der Papst 1201 in der „Deliberatio super facto imperii" für Otto, mußte er im Jahr 1208 notgedrungen Philipp anerkennen. Derselbe Innozenz III. aber war es auch, der die Urregel der Gemeinschaft der Minderbrüder des Franziskus von Assisi (1181/82-1226) guthieß, welche dann, ergänzt und gestrafft, schließlich am 29. November 1223 als 3. Regel bestätigt wurde. Sie erhob in einer Zeit höchster irdischer Machtansprüche der Kirche die Armut des einzelnen und der Gemeinschaft zum Ordensideal. Unter Friedrich II. (1212-1250), der zunächst in der Goldenen Bulle von Eger im Jahr 1213 den Kirchenstaat in seinen bestehenden Grenzen aner kannte und diesen reichsrechtlich somit absicherte, erreichte aber der Kampf gegen das Papsttum einen neuen Höhe punkt. Um ihre Zustimmung zur Wahl seines Sohnes Heinrich VII. zum deutschen König zu erlangen, versprach Friedrich II. den geistlichen Fürsten in der ,,Confoederatio cum principis ecclesiasticis" im Jahr 1220 weitgehende landesherrli che Rechte und zog sich aus den geistli chen Territorien zurück. So wurden Bischöfe und Äbte zu wahren geistlichen Landesherren. Im Jahr 1231 erhielten die weltlichen Fürsten im „Statutum in favorem principum" dieselben Rechte wie die geistlichen. So wurden die Ge setze von 1220 und 1231 ein Markstein in der Ausbildung der Landeshoheit. Gegenüber dem aufkommenden deut schen Territorialfürstentum aber und dem französischen Nationalkönigtum konnte das Papsttum, nachdem es mit dem Zusammenbruch des Kaisertums zwar einen Sieg errungen, aber gleich zeitig auch seine Hauptstütze verloren hatte,sich nicht mehr durchsetzen. Im Jahr 1245 erklärte das 1. Konzil von Lyon den Kaiser als Ketzer für abgesetzt. Innozenz IV. (1243-1254) er schütterte durch rücksichtslose Anwen dung geistlicher Strafmittel die Treue des deutschen Episkopates, hob schließ lich das Wahlrecht der Domkapitel auf und reservierte sich die Besetzung aller Prälaturen. Der unbedenkliche Einsatz aller kirchlichen Mittel zu politischen Zwecken erschüttert - und das war letztlich entscheidend - die Stellung des Papsttums in den Seelen der Gläubigen. Nach dem Tode Friedrichs II. im Jahr 1250 trat der Niedergang des Reiches offen zutage. Die deutsche Herrschaft über Italien hörte auf. Deutschland und Italien traten in die Reihe der übrigen Staaten ein. Obwohl die Kaiserkrone den Deutschen blieb, verloren sie die politische Führung Europas. Das franzö sische Königtum übertraf an Stärke und schneller Handlungsfähigkeit das deut sche bei weitem. Die letzte Ursache lag bereits im Inve stiturstreit: Der Vernichtungskampfzwi schen Imperium und Sacerdotium hat beide, als universale Gewalten, in ihrem Lebensnerv getroffen. Die lachenden Sieger waren in Europa die Einzelstaa ten,in Deutschland die Fürsten. Ein neues politisches Weltbild stand auf. Die Bulle „Unam Sanctam" Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) stellte noch einmal ein Manifest höchster kirchlicher Ansprüche dar; Ohne eigentlich Neues zu lehren, wird die papalistische Doktrin noch einmal aufs schärfste formuliert. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte bereits Thomas v. Aquin (1225-1274) die Ei genständigkeit und die Funktion des Staates eingehend begründet und damit die wissenschaftliche Auseinanderset zung über das Verhältnis von Kirche und Staat von seiten der Theologen und
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