Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

uns die Kirche heute wert? Was wäre wohl alles anders, wenn Kirche in unse rem Lande nicht existierte? - Fragen über Fragen. Wir wollen versuchen, diese Fragen wenigstenszum Teil zu beantworten. Bei der Suche nach einem Ort, wo man nicht eigens „hingehen" muß,sind wir auf die Nischen zwischen den Außenpfeilern, rund um den Stephans platz, gestoßen. Und weil der Boden dort uns gehört, lehnen wir uns gewisserma ßen an den Dom an. In seinem Buch „Der unbewußte Gott" spricht Viktor Frankl einen sehr schönen und wahren Gedanken aus. Er meint, es gäbe drei Dinge auf dieser Welt, die imstande seien, den Menschen über das Sichtbare hinaus auf das Un sichtbare, das Bleibende, zu verweisen. Und er nennt diese drei Dinge auch beim Namen: die Religion, die Kunst und die Liebe. Der Wiener Stephansdom steht im Brennpunkt dieser drei Kraftlinien, die, entweder jede für sich oder auf irgend eine Weise miteinander verbunden, wohl jeder Mensch zumindest einmal in seinem Leben erfahren hat. Der Dom als Gotteshaus steht wohl außer Diskussion. Der Dom als Kunst werk bedarf auch keiner weiteren Er klärung. Der Dom als Sinnbild für die Liebe weist uns heutige Menschen auf eine Tatsache hin, die weitgehend nicht bedacht wird: mit wieviel gläubiger Liebe die Menschen unserer Stadt, unse res ganzen Landes an diesem Dom ge baut. ihn ausgeschmückt, ausgebessert und für ihn immer wieder finanzielle Opfer gebracht haben. Und warum? Weil eben der Dom ihnen unmittelbar die geheimnisvolle Verknüpfung jener Kräfte deutlich machen konnte, welche die Grenzen unseres endlichen Lebens zu sprengen imstande sind. Und somit hoffen wir auf den Ver trauensvorschuß, den der Dom genießt, um ihn ein wenig für unsere Zwecke auszunützen und auf Dinge aufmerksam zu machen, die in ihren Zusammenhän gen vielleicht bisher nicht genug beach tet worden sind. Die vorliegende Nummer der „Bei träge" enthält kurze Abhandlungen, welche die Ausstellung vom Thema her begleiten wollen. Aus technischen Gründen kann der Objektbeschrei bungsteil in Form eines Doppelbogens für jene, die mehr an Information wün schen, erst dem Juni-Diözesanblatt bei gelegt werden. Die Ausstellung selbst wird den ganzen Sommer über zu sehen sein. Fragen und Anregungen jeder(ver nünftigen)Artsind erwünscht. Vielleicht gelingt eine kleine „Quadra tur des Kreises": ein meditativer Ver such zu einem „heißen Thema"...??? Annemarie Fenzl Was meinte Jesus Christus? Manchmal hört man Menschen sagen, Jesus Christus hätte ein „gestörtes Ver hältnis" zu den irdischen Gütern gehabt. Solche Behauptungen werden in der Regel dann laut, wenn es um Kritik an der Kirche geht, die mit irdischen Gü tern schlecht und recht zu leben ver sucht. Abgesehen davon, daß es nicht gut denkbar ist, daß Gottes Sohn zu irgend einer Konsequenz der Schöpfung ein gestörtes Verhältnis haben konnte, sollte man eher gerade das Gegenteil sagen: Jesus hatte genau das richtige Verhältnis dazu. Bald nach seiner Geburt brachten ihn seine Eltern nach Jersualem in den Tempel, um ihn dem Herrn zu weihen, wie das üblich war. Und Lukas erzählt uns: „Auch wollten sie ihr Opfer dar bringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben" (Lk 2, 24). Am Beginn seines Lebens steht die Tempel steuer,wenn man so will. Was Jesus im Laufe seines Lebens zu den irdischen Gütern zu sagen hatte, haben die Evangelisten getreu aufge schrieben. Man braucht nur die Bibel zur Hand zu nehmen. Man wird erkennen, daß Jesus, im Bewußtsein seiner Mission, die Men schen immer wieder auf die Gratwande rung zwischen Verantwortung und Egoismus, zwischen benützen und doch nicht besitzen, zwischen festhalten und loslassen, hingewiesen hat. Die meisten Menschen verstehen ihn nur nicht rich tig. Manche wiederum verstehen ihn genau. Das hat dann meist weitrei chende Folgen. Im Laufe ihrer Ge schichte hat ihn die Kirche auch nicht immer ganz richtig verstanden. Doch hören wir Jesus am besten selbst: Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten. Und sein Ruf verbreitete sich in ganz Syrien (Mt 4, 23-24). Scharen von Menschen aus Gali läa. der Dekapolis, aus Jerusalem und Judäa und aus dem Gebiet jenseits des Jordan folgten ihm(Mt 4, 25). Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich"(Mt 5, 1-3). Und er sagte weiter: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, son dern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Wurm sie zer stören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz"(Mt6. 19-34). Und er sagte auch: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon" (Mt6,24). Auf seinem Weg nach Jerusalem zog er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und lehrte(Lk 13, 22). Da lief ein Mann auf ihn zu. fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen: Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht die Ehe brechen,Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht falsch aussagen,Du sollst keinen Raub begehen; ehre Deinen Va ter und Deine Mutter! Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch, (^h,verkaufe was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleiben den Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen,die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Sie aber erschraken noch mehr und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich(Mk 10, 17-31). Darum sprach Jesus auch vom rech ten Gebrauch des Reichtums: Ich sage euch: Macht euch Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons,damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen wer det, wenn es mit euch zu Ende geht. Wer in den kleinsten Dingen zuverläs sig ist. der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen. Wenn ihr im Umgang mit dem unge rechten Reichtum nicht zuverlässig ge wesen seid, wer wird euch dann das wahre Gut anvertrauen? Und wenn ihr im Umgang mit dem fremden Gut nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann eurer wahres Eigentum geben?(Lk 16,9-12) Auch in Jerusalem sprach Jesus zum Volk in Gleichnissen. Er lehrte auch im Tempel. Eine große Menschenmenge hörte ihm zu. Und als er einmal dem Opferkasten gegenüber saß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten war fen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen, als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluß hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen

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