Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Ende gehenden Krieges vor größeren Gebäudeschäden bewahrt wurde. Nach Finsternis und Todesschatten begann ein neues Licht der Hoffnung über dem erzbischöflichen Knabenseminar zu leuchten. Vom Bischof gerufen, traten die hochwürdigen Herrn Dr. Sotola, Dr. Kurz und später Präfekt Neudecker an und begannen in wahrhaft heroischem Einsatz die neue Arbeit. Die Familien der Stadt Hollabrunn nahmen die Zög linge in ihr Haus und in ihre Verpfle gung auf, gewiß mit dem Blick auf den HeUand, der gesagt hat: ,Was ihr dem geringsten eurer Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!' Die Besetzung des Knabenseminargebäudes ließ sich nicht vermeiden. Wasso viele trugen, mußten auch wir tragen. Durch einen Befehl des Marschalls Lewedenko sollte das Seminar aber doch frei werden. Wir konnten es nicht an nehmen, weil die Last auf die Familien der Stadt gefallen wäre. Ich sagte es sofort: ,Wir müssen nicht nur in Holla brunn, wir müssen mit Hollabrunn le ben.' Durch neue Verhandlungen wurde es erreicht, daß ohne Belastung der Stadtbewohner ungefähr ein Viertel des Seminargebäudes mit der Kapelle für den neu beginnenden Seminarbetrieb zur Verfugung gestellt wurde. Die Ka pelle wurde neu geweiht, das Ewige Licht leuchtete wieder auf. Es begann die Arbeit des Spirituals Dr. Kurz in der Kapelle und die Arbeit des Studienprafekten Augustin Neudecker in den Stu dienräumen während des Tages. Ver pflegung und Nachtquartier behielten die Zöglinge noch bei den Familien der Stadt, die sie in christlicher Liebe weiter aufnahmen. Dann kam die Zeit der vollen Freigabe. Die ehrwürdigen Schwestern des heiligen Karl Borromäus kamen und begannen hingebungs voll dem Hause zu dienen. Gott weiß die Opfer, die sie gebracht haben! Er ver gelte sie ihnen! Jetzt wurde auch schon die Verpflegung der Zöglinge im Hause möglich. Jetzt sind wir-Gott sei Dankso weit gekommen,daß die Zöglinge ihr volles Quartier im Hause haben. Mit dem neuen Schuljahr ist der Seminarbe trieb wieder voll im Gange. Es liegt uns allen am Herzen, den Familien der Stadt, die uns so hochherzig beigestan den sind, aus ganzem Herzen Dank zu sagen. Dieses gute Werk wird in der Geschichte des Knabenseminars unver gessen bleiben. Das erzbischöfliche Knabenseminar ist wieder neu erstanden! Wahrhaftig, das Gefühl einer großen Freude wird in mir, dem einstigen Seminaristen und dem späteren Rektor, wach am Tag der Wie dereröffnung des Knabenseminars, und so wird es bei allen fVüheren Seminari sten sein. Hier haben wir unsere Jugend verlebt, hier ist unser Beruf aufgeblüht, hier sind wir die ersten Stufen zum Heiligtum emporgestiegen. Eine unaus löschliche Dankbarkeit erfüllt unser Herz. An dieser Freude nehmen gewiß auch alle teil, die einst Seminaristen waren, wenn sie auch in den Entschei dungsjahren ihres Lebens einen anderen Beruf ergriffen haben. Sie haben hier studiert und wurden hier erzogen, und gewiß: Es wurde das gute, feste Funda ment für eine christliche Lebensauffas sung gelegt. Die Kirche und die Welt braucht katholische Laien, die für die hohen Güter unseres Glaubens ein le bendiges Gefühl haben und ein mann haftes Christentum in ihrem Leben zei gen. Wir alle wünschen dem Knabense minar eine glückliche Zukunft. Diese Zukunft ist nicht nur auf mate riellen Voraussetzungen aufgebaut. Diese Zukunft beruht vor allem auf der Idee des Knabenseminars. Sie soll wie der voll lebendig werden: Hier im Hause in den Herzen der Vorsteher und der Zöglinge, aber auch in allen Freunden und im christlichen Volke unserer Di özese. Diese Idee führte zur Gründung des Knabenseminars durch den hochse ligen Kardinal Rauscher im Jahre 1856. Durch ihn wurde die Diözese Wien gleichsam mobilisiert für den großen Gedanken der Weckung von Priesterbe rufen, die bis dahin nur ungefähr die Hälfte der für die Seelsorge notwendi gen Priester hervorbrachte. Das große Mittel zur Erreichung dieses Zieles war die Gründung des Knabenseminars,für das zuerst das Karmeliterkloster ob der Laimgrube in Wien übernommen wurde. Am 1. Oktober 1856 wurde es für diesen heiligen Zweck geweiht. Im Jahre 1881 wurde das Knabenseminar nach Holla brunn verlegt. Am 2. Okotber 1881 wurde es von Fürsterzbischof Cölestin Josef Gangibauer in feierlicher Weise geweiht. 65 Jahre sind seither vergan gen. Das Knabenseminar blühte auf, und wie ein guter Baum trug es reichli che Frucht. Wie viele Priester zeugen dafür! Wie viele, einst arme Knaben, besonders vom Land, weit weg von jeder Studiermöglichkeit, verdanken diesem Hause ihren Aufstieg zum Priestertum. Die Idee des Knabenseminars und sein geistiger Aufbau muß vor allem lebendig bleiben. Dazu ist es wieder neu erstanden! Wir richten unsere Blicke auf die Helfer dieser Idee, vor allem auf die Priester, die hier im Hause als Vorsteher und Erzieher arbeiten, dann auf die Priester, die in der Seelsorge des christ lichen Volkes stehen. Jeder Priester braucht einen Nachfolger. Die schönste Blüte der priesterlichen Arbeit ist die Weckung neuer Priesterberufe. Wir richten unseren Blick hier in Hollabrunn aufeinen anderen Helfer der Idee des Knabenseminars, auf den Idea lismus der Studienanstalt des hiesigen Gymnasiums, an dem unsere Zöglinge studieren. Ich selbst habe hier acht Jahre studiert und 1898 maturiert. Ich weiß, wieviel Dank ich dieser Anstalt schulde, wieviel hohes ideales Gut ich hier empfangen habe. Wir richten unseren Blick auf das Canisiuswerk, das durch seine Zeit schrift ,,Die Volksseele" die hohe Idee des Knabenseminars und des Priester nachwuchses ins christliche Volk hinein trägt. Das Knabenseminar braucht aber doch neben diesen grundlegenden idea len Hilfen auch materielle Hilfe. Mit Dankbarkeit blicken wir zurück in das Jahr 1881. Die Gemeinde Hollabrunn .und vor allem die hiesige Sparkasse haben durch große finanzielle HUfen die Brücken geschlagen für die Ermögli chung des großen Baues und für seine Einrichtung. Der spätere Rektor, mein Religionsprofessor Franz Reuckl, war die treibende Kraft. Mit Dankbarkeit blicken wir auch auf alle Wohltaten zurück, die durch die Sparkasse Holla brunn und das hiesige Spar- und Vor schußkonsortium unseren Zöglingen durch Stipendien erwiesen wurden. Wir hoffen auch für die Zukunft auf eine glückliche Eingliederung des Knabense minars in die Stadt Hollabrunn, die 1881 den Anstoß zur Verlegung des Interna tes nach HoUabrunn gegeben hat. Wir hoffen auch,wenn wir über Holla brunn hinausblicken, wie früher auf die Hilfe des Canisiuswerkes. Dieses Werk war der große Helfer zur Unterstützung der armen Priesterstudenten und der Vermittler der Hilfen an arme Seminari sten. Wir hoffen auch,daß das Werk der Patenschaft für arme Priesterstudenten wieder aufblüht. Wir hoffen auch,in der schweren Zeit des neuen Anfangs, auf die Caritashilfen von den Pfarren der Umgebung,für die ein Aufruf, ein Hilfe rufergangen ist. Ich schließe. Gewiß,uns allen liegt die Bitte am Herzen: Gott segne das erzbi schöfliche Knabenseminar hier in Holla brunn, Gott segne alle, die ihm dienen, Gottsegne aUe,die ihm helfen! In Gottes Namen wollen wir neu beginnen!" Anmerkungen: 'Hans Groer,Hundert Jahre Knabense minar der Erzdiözese Wien. 1856-1956 (Hollabrunn 1956)70-101. Aufbauend auf diese Arbeit wird vom Erzbischöflichen Seminar Hollabrunn auch eine vom Verfasser dieses Artikels zusammengestellte Broschüre zum Thema „Das Seminar im Jahre 1938" herausgegeben. Sie ist als eine Samm lung von originalen Schriftstücken, Aus sagen und Briefen von Zeitzeugen und Auszügen von gefundenen Schriftquel len gedacht. Sie kann beim Erzbischöf lichen Seminar, 2020 Hollabrunn, Kir chenplatz 2, bezogen werden. Eine Auswahl aus dem Manuskript zu dieser Broschüre für die „Beiträge zur Wiener Diözesangeschichte" wurde - mit einigen Ergänzungen aus der Arbeit von Groer für die Jahre 1945 und 1946von Johann Weißensteiner besorgt. ^ Briefliche Mitteilung von Dir. i. R. JosefBayer; März 1988. ^ Festrede von Kan. Dr. Joseph Ettl anläßlich der Wiedereröffnung des Kna benseminars am 6. Oktober 1946; vgl. auch die Gedenkschrift „Erzbischöfli ches Knabenseminar Hollabrunn 1938-1945"(1946)3-8. 48

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