Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

brunn etwa 300 Flugzeuge der deutschen Wehrmacht,für uns eine eindrucksvolle Demonstration. Aus Hollabrunn und den umliegenden Gemeinden wurden die ersten Verhaftungen und Übergriffe be kannt. Zum Abendessen marschierte die 7. und 8. Klasse demonstrativ in den Speisesesaal mit dem Ruf: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Wir Jungen waren entsetzt, Rektor Ettl sah betroffen auf und schwieg. Mir waren die „Großen" plötzlich fremd geworden. Aus Schuhpa staschachteln geschnittene Hakenkreuze tauchten als Anstecknadeln auf. „Heil Schmoll" lautete daher unser hämischer Gruß. Zumindest wir Jüngeren hatten noch nichts begriffen. Am nächsten Tag probte unser „Musi" (Präfekt Mitterer) mit uns bereits das Horst-Wessel-Lied. Nach Wiederaufnahme des Unterrichts hielt Direktor Hofer eine Ansprache an die Gymnasiasten. An die Adresse der Seminaristen richtete er die Aufforde rung, auch im großen deutschen Vater land unsere Aufgabe zu erfüllen. Wir hörten inzwischen, daß die Väter einiger Klassenkameraden verhaftet worden seien. Angst und Unsicherheit vermisch ten sich mit dem aufregenden Gefühl, plötzlich Angehörige der deutschen Na tion zu sein. Der Schulunterricht nahm seinen Fortgang. Bald ging es in die Osterferien. Danach war vieles anders: Viele „Wiener" gaben sich uns „Gscherten" gegenüber als NS-Begeisterte. In Wien war man von der Entwicklung begeistert, man hatte große Hoffnung für die Zukunft unter Hitler. Einige von unserer Klasse begannen sich abzuson dern, und ein für uns bis dahin unbe kanntes Mißtrauen kam auf. Präfekt Seemann erklärte, es handle sich wohl um pubertäre Schwierigkeiten, die man rücht überbewerten dürfe. DasEnde desSeminars Nach Schulschluß fuhren wir, wie gewohnt, zu unseren Eltern. Schon im Juli erfuhr ich von Präfekt Seemann, daß das Seminar vermutlich geschlossen werden müsse. Zudem spitzte sich die Sudetenkrise zu, und die Wehrmacht zog in die grenznahen Dörfer und Städte. Auch im Seminar wurden Solda ten einquartiert. Genagelte Soldatenstie fel traten an die Stelle unserer lärm schluckenden Hauspatschen... Ich half mit, in aller Eile die privaten Sachen der Seminaristen zu verlagern. Als fest stand, daß das Seminar geschlossen würde, versuchte Präfekt Seemann eine möglichst geschlossene Übersiedlung imseres Jahrganges nach Wien.Im zwei ten Bezirk in Wien suchte das ffühere „Judengymnasium" Zirkusgasse Schü ler. So war es möglich, daß alle, die es wollten, wieder beisammen waren. Wir wohnten in Privatquartieren, die uns über das Priesterseminar bei katholi schen Familien vermittelt wurden...Ich half bei der Abmeldung vom Hollabrun ner Gymnasium mit. Direktor Hofer bekam ein immer längeres Gesicht, als sich die Schülerzahlen lichteten. Zuletzt meldete ich mich selber ab. Die Mehrzahl der aus Niederösterreich stammenden Schüler fänd sich also in Wien wieder, als im September der Unterricht begann. Und Seemann hielt seine Schar fest zusammen. Wir trafen einander regelmäßig, so daß wir einan der nie ganzaus den Augen verloren. Ich selbst wohnte bei einer MesnerfamUie in einem Haus mit überwiegend jüdischer Bevölkerung. Hautnah erlebte ich mit, was damals mit den Juden geschah, wie sie gedemütigt wurden... Wenig später übersiedelte ich zu einem Schulkollegen, dessen Vater, DollfußSchulkollege und Funktionär des frühe ren Regimes, sich in CJestapo-Haft be fand. Dort fand ich einen weiteren „Hol labrunner" einer höheren Klasse und weitere Studenten aus Niederösterreich. Wir bildeten eine nette Gemeinschaft, bis wir nach Kriegsausbruch dem Alter entsprechend zur Wehrmacht eingezo gen wurden. In meiner Pfarre leistete ich bis zu meiner Einberufung Mesner dienste. Da ich nicht Mitglied der Hitler jugend gewesen bin, mußte ich einige Male beim SA-Wehrdienst Veranstal tungen besuchen, sonst blieb ich unbe helligt... Von unserem Jahrgang sind acht im Krieg gefallen. Einige haben nach 1945 weiterstudiert,jedoch sind von ehemals 43 Seminaristen meines Jahrganges nur zwei Theologen hervorgegangen." Rektor Ettl:Rückblick und Ausblick Am 6. Oktober 1946 - neunzig Jahre nach der Eröffnung des ersten Knaben seminars der Erzdiözese Wien durch Kardinal Rauscher - wurde das wiedereröffnete Knabenseminar von Kardinal Innitzer neu geweiht. Beim anschließen den Festakt hielt Rektor Ettl die fol gende Rede^, die die schwerste Zeit des Hollabrunner Seminars zum Inhalt hatte, gleichzeitig aber auch mit viel Hofthung in die Zukunft des Hauses blickte: „Eure Eminenz! Hochgeehrter Herr Bezirkshauptmann! Hochgeehrter Herr Bürgermeister! Hochgeehrter Herr Gymnasialdirektor! Hochwürdigste und hochwürdige Herren! Ehrwürdige Schwestern! Liebe Freunde des Knabenseminars aus der Stadt Hollabrunn und der ganzen Diözese! Liebe Zöglinge! Ein großer freudiger Tag ist gekom men! Das Erzbischöfliche Knabensemi nar ist wiedererstanden, neu geweiht, wiedereröffnet in seiner Gänze für sei nen heiligen Zweck. Der Sturm ist vor bei, der über das Haus hinbrauste. Schauen wir zurück! Mitten in der ver wirrenden Bewegung des Sudetenkon fliktes kam am 21.September 1938 wie ein Blitzschlag die Verfügung des Lan desschulrates, daß das Erzbischöfliche Knabenseminar aufgehoben sei. Durch eine Anordnung der Kreisleitung wur den die Räume des Knabenseminars zur Weiterführung eines Schülerheims ange fordert: Man hoffte offenbar,daß sich die bisherigen 228 Zöglinge (ohne 8. Klasse) kurzerhand auf dieses Internat umschal ten lassen. Diese Absicht wurde nicht erreicht,zumal von den Internisten eine Erklärung verlangt wurde,daß sie einen weltlichen Beruf ergreifen wollen. Als am 24. Oktober verspätet mit Schulbe ginn eröffnet wurde, meldeten sich nur zehn ehemalige Seminaristen für das Internat. Das Schülerheim erreichte bis Jahresschluß einen Stand von 75 Stu denten. Nun kam das große Scheiden! Die Zöglinge schieden mit schweren Herzen vom Hause. Dann schieden die Vorste her: der hochwürdige Herr Vizerektor Karl Fiby, der sich so viele Verdienste im Laufe seines 37jährigen Wirkens im Hause erworben hat. Er starb am 27.8. 1943 in Neudorf bei Staatz. Ehre seinem Andenken! Es schied der hochwürdige Herr Spiritual Arnold Waigner,der Herr Musikpräfekt Karl Mitterer, die Herren Präfekten Karl Seemann, Ernst Müller, Anton Wesely und Ferdinand Grolik. Präfekt Emil HeszIe blieb als Kaplan in Hollabrunn.Es schieden die Dienstleute, die dem Hause so treu gedient hatten. Am 18. Dezember erlosch das Ewige Licht in der Kapelle. Nach dem letzten Gottesdienst schied der Rektor mit den ehrwürdigen Schwestern, den treuesten Dienerinnen des Hauses, aus dem Kna benseminar. Im Jänner 1939 kam der Entscheid der Statthalterei, daß das Gebäude des Kna benseminars der Kreisleitung als Kreis haus zugewiesen sei. Das Kreuz wurde vom Turm des Hauses herabgenommen, die Statuen über dem Eingang ver schwanden. Die Südseite blieb als Schü lerheim. Es wurde durch Mauern abge trennt. Alles andere war Kreishaus der NSDAP. Als Mieter des Hauses trat die Stadt Hollabrunn ein, statt der Kreislei tung, mit der der Mietvertrag schon entworfen war. Dieser Umstand wirkte sich doch etwas milder aus. Es waren doch auch Kräfte am Werk, welche die Härten zu mildern versuchten, vielleicht in der Erinnerung,daß das Knabensemi nar im Jahre 1881 auf das Bemühen der Stadt Hollabrunn hin nach Hollabrunn verlegt wurde.Der Mietvertrag, den der Rektor entwarf, wurde angenommen. Die Kapelle blieb von der Vermietung ausgenommen, die Schlüssel der Ka pelle blieben in der Hand der Priester von Hollabrunn. Die Miete wurde mo natlich gezahlt: 1600 RM (3000 RM soll ten jährlich auf die Reparaturen gelei stet werden). Das Knabenseminar war stillgelegt. Aber die Idee der Führung und Unter stützung der Priesterstudenten, der frü heren Seminaristen vor allem, lebte mit Hilfe des Canisiuswerkes in einer freien Form weiter. Es ist das große Verdienst des hochwürdigen Herrn Dr. Sotola, des jetzigen Religionsprofessors, daß er vom Priesterseminar aus wie ein bonus miles Christi mit mehreren anderen Herren (dem früheren Präfekten Seemann, ...) sich um die Priesterstudenten in Wien annahm und sie betreute. Und es ist das Verdienst des hochwürdigen Herrn Kurt Gröger,daß er in Hollabrimn zusammen mit den anderen Herrn Kaplänen gute Werke übte. So vergingen die sieben bitteren Jahre, und es kam das Jahr 1945. Gott sei gedankt, daß das Seminarge bäude in den schweren Gefahren des zu 47

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