Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

4. September: Rektor Ettl teilt dem erzbischöflichen Ordinariat mit, daß die Führung des humanistischen Zuges am Hollabrunner Gymnasium vom Unter richtsministerium in Berlin nicht geneh migt wurde. 16. September: Das erzbischöfliche Seminar muß die Aufnahme von Schü lern aus aufgehobenen konfessionellen Schulen und Internaten ablehnen. 16. bis 19. September: Einquartierung von 1248 Flüchtlingen und 981 Mann Militär im Seminar Hollabrunn im Zu sammenhang mit der Sudetenkrise. 21. September: Der Bezirksschulrat Hollabrunn bringt dem Seminar den Erlaß des Landesschulrates Niederöster reich vom 1. September 1938, durch den dieser „alle vor dem 12. März 1938 erteilten Bewilligungen zur Führung von privaten Schulen, Lehranstalten und Schülerheimen(Konvikten),die von Vereinen, Körperschaften, Religionsge meinschaften, Orden und dergleichen geleitet oder erhalten werden,zurückge nommen hat und die Sperre dieser An stalten verfügte" zur Kenntnis. Der Er laß gilt auch für das erzbischöfliche Knabenseminar. Das erzbischöfliche Ordinariat inter veniert bei Reichsstatthalter Dr. Arthur Seyß-Inquart zugunsten des Hollabrun ner Seminars. 23.September:Reichsstatthalter SeyßInquart behandelt die Intervention ab lehnend. 26. September: Kardinal Innitzer pro testiert bei Reichsstatthalter Seyß-In quart und Reichskommissar Gauleiter Bürckel gegen die Aufhebung des Semi-' nars: „Ich erhebe gegen diese Maß nahme Einspruch und ersuche, die Auf hebung dieser das katholische Volk tief verletzenden und die Seelsorge schwer schädigenden Maßnahme veranlassen zu wollen". 27. September: Die Vorstehung teilt den Eltern der Zöglinge die Schließung des Seminars mit. Die Kreisleitung Hollabrunn der NS DAP teilt dem Seminar die Sicherstel lung des Seminargebäudes für die Zwecke eines von der Stadt Hollabrunn zuführenden Schülerheimes mit. 1. Oktober: Die „Gau NiederdonauStiftung für Studienbeihilfen" richtet an die ehemaligen Seminaristen die Auffor derung, einen weltlichen Beruf zu wäh len und stellt für diesen Fall Studienbeihilfen in Aussicht. Nur etwa 3,5% der ehemaligen Zöglinge treten in das Schü lerheim ein. Die Mitglieder der Seminarvorstehung verlassen Hollabrunn, um ihre neuen Posten in der Erzdiözese Wien anzutre ten. 24. Oktober:Eröffhung des städtischen Schülerheims im ehemaligen Seminar gebäude. 29. Oktober: Letzte Messe in der Zög lingskapelle; diese diente dann bis 1945 als Magazin. 23. November:Das landwirtschaftliche Inventar gelangt in einer „freiwilligen Lizitation" zum Verkauf. Verpachtung der Seminargründe. 1. Dezember: Rektor Ettl wird als Pfiirrer von Straning investiert. 18. Dezember Letzte Messe in der Schwestemkapelle, gelesen von Rektor Ettl, der am gleichen Tag als Pfarrer von Straning installiert wird. 1940 3. Jänner: Mietvertrag zwischen dem erzbischöflichen Ordinariat und der Stadt Hollabrunn über die Vermietung des Knabenseminars in Hollabrunn an die Stadt Hollabrunn für die Zwecke der Kreisleitung Hollabrunn der NSDAP. Das Haus dient fortan als Kreishaus der NSDAP. 1945 9. September: Wiederaufnahme des Seminarbetriebs in Hollabrunn; die Zög linge werden dabei zunächst bei einzel nen Familien in Hollabrunn unterge bracht. 13. Dezember: Übergabe des ehemali- • gen Schülerheimes und der Hauskapelle für die Zwecke des Seminars durch die Rote Armee. 1946 5. Jänner: Wiedereinweihung* der Hauskapelle durch Prof. Dr. Franz Sotola. 10. Jänner: Aufhahme des Studienbe triebes im Seminargebäude. 5. Februar: Einzug der geistlichen Schwestern(Kongregation der Barmher zigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus)in das Seminar. 29. Juli: Endgültige Rückgabe des Semi nargebäudes. 14. September: Wiederauffeetzung des Kreuzes am Seminarturm. 6. Oktober: Wiederweihe des Seminars durch Kardinal Innitzer. Ein damaliger Tertianer erinnert sich^ „Die Mehrzahl der Seminaristen stammte aus ländlichen bzw. bäuerli chen Verhältnissen. Fast ausnahmslos war die politische Gesinnung im Semi nar ident mit einem konservativen, christlichen, oft noch monarchistischen Weltbild. Dollfuß und nach ihm Schuschnigg hatten ja Österreich als zweiten deutschen Staat bezeichnet. Österreich mit seiner alten deutschen Geschichte und einstiger Größe wurde auch in den Schulbüchern propagiert; Marxismus und Nationalsozialismus wurden wegen ihrer Religionsfeindlich keit abgelehnt. Die Marxisten waren zu dieser Zeit nach dem Bürgerkrieg kaum vorhanden. Ihre Führer befanden sich im (westlichen) Ausland und agitierten von dort gegen unser Land. Die Natio nalsozialisten bildeten vorwiegend in Städten und Industriegebieten eine ter roristische Minderheit (in Hollabrunn praktisch bedeutungslos). Am damaligen Dollfußgymnasium in Hollabrunn war zum Gedenken an den „Märtyrerkanzler" und Hollabrunner Seminaristen eine plastische Gedenkta fel errichtet worden. Für die Seminari sten schien die Welt in Ordnung.Die 302 Zöglinge am Schulbeginn des Jahres 1937/38 hörten zwar von der zunehmen den Bedrängnis Österreichs, ...„aber wir fühlten uns als künftige Priesterstu denten dadurch in unserem Berufsziel eher bestärkt". DosNordlicht Nach einem normalen Arbeitstag im Jänner 1938 benutzten wir nach dem Abendessen die Zeit zu allerlei Unfug. Plötzlich kam einer von uns aus dem Schlafsaal gelaufen und berichtete, daß es in Fellabrurm oder Groß brennen müsse, der Himmel sei ganz rot. Immer stärker und großflächiger färbte sich der Nachthimmel im Westen und Norden... Über Radio hörten wir, daß es sich um ein Nordlicht handle. Irgendwer meinte, solche Himmelserscheinungen seien zu letzt vor dem Ersten Weltkrieg beobach tet worden. Sie bedeuten Unglück und Krieg... Wenige Wochen später erlebten wir die Wirklichkeit: Unser Präfekt See mann kam mit einem Radiogerät in unser „Museum" und ließ uns die Rede Schuschniggs im Bundestag (als bereits Nationalsozialisten in die Regierung ge nommen werden mußten) miterleben: „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod". Nun hatten auch wir Vierzehnjährigen be griffen, daß etwas Unheimliches auf uns zukam. DasEnde Österreichs Noch immer hofften die Seminaristen, daß es gutgehen könne, zumal auch der neue Innenrninister Seyß-Inquart von der Heimat Österreich und dem Väter glauben sprach,den es zu erhalten gelte. Nach dem Aufruf Schuschniggs in Inns bruck zu einer Volksabstimmung über die Selbständigkeit Österreichs erfaßte uns die allgemeine Unruhe. Wir sahen unsere externen Klassenkollegen auf den Straßen Hollabrunns mit Wahlpla katen. Alle waren überzeugt, daß Schu schnigg die Wahl für Österreich gewin nen werde. Lediglich unser Turnprofes sor, der sich später als harmloser Nazi gab, lächelte vielsagend über unsere Vermutungen. Der Anschluß Am Abend des 11. März kam Präfekt Seemann völlig verstört und berichtete uns von der Abschiedsrede Schusch niggs im Radio. Er empfahl uns, beim Abendgebet für unser Vaterland beson ders zu beten. In der Nacht hörten wir mehrmals von der Straße her Geschrei (Heil Hitler, Sieg Heil, u. ä.). Am näch sten Tag war schulfrei. Wir nützten den schönen Vorfrühlingstag zu ausgiebigen Spaziergängen im Seminargarten. Zu einer vernünftigen Arbeit fand sich kein Gedanke. Wir sprachen darüber, ob es Sinn gehabt hätte, dem bevorstehenden Einmarsch deutscher Truppen militä risch zu begegnen. Wir waren sehr trau rig über den für uns nicht begreifbaren Untergang unserer Heimat. Einige fürchteten, ihre Väter würden politi schen Pressionen ausgesetzt sein, zu Recht, wie sich bald herausstellte. Wir sangen im kleinen Kreis das Gebet Andreas Hofers (Ach Himmel, es ist verspielt... Du Hl. Jungfrau und Köni gin Maria, auf Dich ich jetzt vertrau...). Die Präfekten versuchten uns Mut zu machen und erwähnten die wirtschaftli che und soziale Lage unseres Landes und die Hoffhungfür die Zukunft. Während in Wien das Heldenplatzspektakel stattfand, flogen über Holla46

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