gene Matriken gefuhrt. Es wurden Got tesdienste und Vortragsabende, Glau benskurse und Fürsorgedienste einge richtet, und auf diese Weise konnte auch hier im Lager ein Minimum an Mensch lichkeit aufrechterhalten werden. Wich tig war aber auch hier die Verbindung mit der alten Heimat, wie zahlreiche Briefe und Karten, an die Hilfsstelle adressiert,beweisen." Die allgemeine Fürsorge umfaßte alle nur denkbaren Bereiche des menschli chen Lebens. Bei der Fülle von Maßnah men und Verordnungen gegen die Ju den, die sich oft überstürzten und von Tag zu Tag ändern konnten, kamen viele zur Hilfsstelle, um sich über den neuesten Stand informieren zu lassen: das ging von Auskünften über Trans porte in den Osten, über Rechtsfragen in Wohnungs- und Schulangelegenheiten, über Vermittlung von ärztlicher Hilfe bis hin zu der Frage, wo in dieser Zeit ein Nichtarier bestattet werden könne. Dokumentenbeschaffung, Medikamente, Brillen, es gab nichts, was nicht an die Hilfsstelle herangetragen wurde. Das Vertrauen war grenzenlos, viele suchten aber auch nur menschliche Nähe und Gelegenheit zu einem persönlichen Ge spräch in ihrer großen Verlassenheit. Ein Problem besonderer Art waren die rassischen Mischehen, das heißt, Ehen zwischen einem jüdischen und einem arischen Partner, im Sinne der Nürnberger Gesetze. War die Frau der jüdische Teil, oder gehörten die Kinder bei Inkrafttreten der Nürnberger Ge setze nicht der jüdischen Religionsge meinschaft an, so galten diese Ehen als privilegierte Mischehen, der jüdische Teil brauchte den Stern nicht zu tragen und erhielt arische Lebensmittel- und Kleiderkarten. So brachte die NS-Herrschaft eine große Unsicherheit und Un gewißheit sowie drückende Sorgen über die betroffenen Menschen. Viele rassi sche Mischehen brachen unter den Ge setzen, der teuflischen Propaganda, zu sammen, manche Partner gingen unter diesem Druck auseinander. Dadurch wurde der jüdische Teil völlig schutzlos. Die Ärmsten waren wohl die Kinder. Am 20. Jänner 1942 fand in Wannsee eine Konferenz statt, die sich mit der „Endlösung" der Judenfrage im Beson deren befaßte. Die Nachricht, daß die Zwangsscheidung aller noch bestehen den Mischehen unmittelbar bevorstehe, veranlaßte Kardinal Innitzer, sich am 3. April 1943 noch einmal direkt an den Papst zu wenden: „...die Durchführung der Ehescheidung, die auf Grund eines neuen Gesetzes erfolgen soll, bedeutet für den nichtarischen Teil Evakuierung in den Osten, ein Zerreißen der beste henden,zumeist kirchlich geschlossenen Ehen, ein unsicheres Schicksal der vie len Mischlingskinder aus diesen Ehen, natürlich auch in vielen Fällen für den zurückbleibenden arischen Teil schwere seelische und wirtschaftliche Not... - Das mir stets nahegehende herzzerrei ßende Leid so vieler meiner Diözesanen und ihr namenloses Elend läßt mich Eure Heiligkeit bitten und anflehen, alles, was etwa in der Macht Eurer Heiligkeit steht, zu veranlassen, ...daß diese geplanten Maßnahmen, wenn möglich, unterbleiben...".'^ Die letzten Jahre der NS-Herrschaft standen unter dem Zeichen der Kriegs ereignisse, der sich ständig verschlech ternden Versorgung, der immer stärker einsetzenden Bombenangriffe, und schließlich am Ende der näherrücken den Front. Gerade der 2. Bezirk, in dem der größte Teil der Juden lebte, wurde besonders stark bombardiert. Viele Ju den kamen verstört in die Hilfsstelle, weil sie sich mit dem gelben Judenstern nicht in die Luftschutzkeller trauten. Auch für die U-Boote wurde es immer gefährlicher. Je mehr sich allerdings das Ende des Krieges abzeichnete, um so ungehinderter konnten die Nichtarier wieder auf die Straße gehen.Jeder hatte nun genug mit sich selbst zu tun. Die Bomben machten keinen Unterschied zwischen Ariern und Nichtariern. Das Ende des Krieges und damit der NS-Herrschaft brachte auch das Ende der Nürnberger Gesetze und aller übri gen unmenschlichen Ausnahmebestim mungen für die Juden. Es gab nun keine Gestapo mehr und keinen Judenstern. Die Hilfsstelle konnte wieder frei arbei ten, die russische Besatzungsmacht be hinderte ihre Arbeit nicht. Ihre Arbeit erreichte nun noch einmal einen Höhe punkt, da viele Hilfsaktionen, vor allem ausländische, nicht wußten, daß auch Katholiken jüdischer Abstammung ge nauso verfolgt wurden, wie ihre mosai schen Rassegenossen. Daher saßen die nichtarischen Katholiken wieder zwi schen sämtlichen Stühlen.Zu dieser Zeit ging dann die Hilfsstelle in der Caritas der Erzdiözese Wien auf. In der Folge wurde versucht, die Schützlinge der Hilfsstelle in die Obhut der Pfarren und der Pfarrcaritas zu entlassen, damit das bisher erzwungene Ghettodasein lang sam aufhöre. Im Februar 1946 kam es nach einer Besprechung mit dem Inter nationalen Roten Kreuz zur Gründung eines „Hilfsausschusses für rassisch ge schädigte christliche und konfessions lose Österreicher". So kann man zusammenfassend fest stellen: als Einzelperson hat Kardinal Innitzer, in Zusammenarbeit mit seinem Team, welchem er die Arbeit in prinzi pieller und finanzieller Hinsicht ermög licht hat, Hunderten nichtarischen Men schen das Leben gerettet. Als katholi schem Bischof mögen ihm die nichtari schen Katholiken vielleicht mehr am Herzen gelegen sein. Als Mensch, der eingebunden war in das nationalsoziali stische Schreckensreich, hat er nichtari sche Menschen gerettet, denn nicht die Religion, sondern die Rasse entschied nach dem Willen der Machthaber über Leben und Tod des einzelnen. Er hat darüber hinaus vielen Todeskandidaten die letzte Lebenszeit erträglich und - mit aller Vorsicht ausgesprochen - menschlicher zu machen versucht und das auch erreicht, wie erschütternde Briefe aus Polen und Theresienstadt es beweisen. So kann man die Ereignisse des März 1938, wenn man will, von verschiedenen Standpunkten aus be trachten. Eines aber kann man nicht: sie mit dem schrecklichen Holocaust so unmittelbar in Verbindung bringen, wie es mitunter der Fall zu sein scheint. Die Märzerklärung und der „Heil-HitlerBrief, welchen der Kardinal in den folgenden Jahren immer offen als Irrtum eingestand, und das Schicksal der Juden haben unmittelbar nichts miteinander zu tun. Im September 1941 hat Kardinal Innitzer in einem Hirtenwort, das seiner Zeit gedanklich weit voraus war, die Liebe gegenüber all jenen, die durch ihre größere Not und Hilfebedürftigkeit uns Nächste geworden sind, als Maßstab beim Jüngsten Gericht genannt,und hat damit in einer Zeit, als dieses Denken noch nicht Gemeingut der Gesamtkirche war, ein Signal gesetzt. Daß er sonst, wie alle Bischöfe seiner Zeit, in der Regel zuerst die katholischen Nichtarier ansprach, ist ihm nicht anzulasten. Ein anderes Denken lag einfach nicht im Bewußtsein der Zeit. Die Gesamtkirche dachte so. Erstmals im Jahr 1943 verur teilten die deutschen Bischöfe in einem gemeinsamen Hirtenbrief über ,,Die zehn Gebote als Lebensgesetz der Völ ker" jede Tötung, die in sich schlecht ist, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt wurde: an...Menschen fremder Rassen und Abstammung...".'-' Das Zweite Va tikanische Konzil brachte schließlich mit seiner „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Reli gionen NOSTRA AETATE" eine grund legende Voraussetzung für einen neuen Beginn, für eine „Theologie Israels", die einfach bisher gefehlt hatte. P. Born, der von Kardinal Innitzer eingesetzte Leiter der Hilfsstelle, schrieb nach dem Kriegsende einen abschlie ßenden Bericht über seine Arbeit in den letzten fünfJahren nieder; dabei geht er auch auf die Rolle des Kardinals ein. P. Born schreibt hier wörtlich: „...Letzt lich gebührt das Verdienst und der Dank Kardinal Innitzer, der auch hier seinem Wahlspruch treu blieb: ,In caritate servire.' Er war wohl der einzige Bischofdamals im großdeutschen Raum, der in seinem Palais eine Hilfsstelle für rassisch Verfolgte einrichtete. ...Der Kardinal nahm an der Arbeit seiner Hilfsstelle persönlich starken Anteil,ließ sich ständig berichten, stellte zum größ ten Teil die erforderlichen Mittel zur Verfügung, keine Summe war ihm zu hoch, oft genug halfer mit Lebensmittel marken aus, wurde nicht müde, bei allen kirchlichen und außerkirchlichen Stellen vorstellig zu werden, um die Deportationen zu verhindern... Alle ras sisch Verfolgten, ob Träger des gelben Sternes oder nicht, konnten nicht nur zu jeder Zeit in die Hilfsstelle kommen, sondern auch ohne jede Anmeldung zum Kardinal selbst gelangen. Jeden einzelnen nahm der Kardinal mit wahr haft brüderlicher Liebe auf. Keiner ging ungetröstet von ihm. Gestärkt und auf gerichtet durch sein Wort und seine Güte, mit seinem Segen,gingen so viele in die Fremde, in ein fernes, dunkles Schicksal,in den sicheren Tod".' Anmerkungen: ' Vgl. Kleines 21.6. 1929,S.2. Volksblatt vom 8
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