Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

hat dann der hl. Vater Pius Xll. in herzlich-brüderlicher Weise Stellung ge nommen, indem er dem Kardinal ein Handschreiben mit eigener Unterschrift zukommen ließ; er sagt darin u. a.: „Wir hatten beim Lesen des Berichtes das Empfinden, als ob die von Dir erlittene körperliche Mißhandlung uns selbst widerfahren wäre." Der hl. Vater nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, welche Ge sinnung solches Tun verrät, und freut sich darüber, wie das Volk zum Bischof steht. Wenige Tage später ist in Königs brunn ein Plakat von der NSDAP ange schlagen: „Im Jahre 1934 hat Kardinal Innitzer das Todesurteil unserer Kameraden un terfertigt (!). 13 Männer wurden gehängt. Er ist schuld an ihrem Tod.Im Septem ber 1938, als der Führer das Sudetenland frei machte und alle unsere Feinde zum Krieg hetzten, hat auch Kardinal Innit zer dem Führer den Kampf angesagt (!). Obwohl er selbst ein Sudetendeutscher ist, wollte er dem Führer in den Rücken fallen (!). Er ist unser Gegner und wird esimmer bleiben. Darum glauben wir auch an den Herr gott, aber nicht an den Kardinal Innit zer. Vergeßt das nicht, wenn ihr von den faulen Eiern sprecht! Mehr nachdenken! Weniger reden!" Ein letztes Mal war der Kardinal das Ziel jugendlicher Demonstranten am 8.Dezember 1941 abends gelegentlich eines Pontifikalamtes. Auch hier wurde versucht, den Kardinal auf dem Rück weg ins Palais zu hindern. Es kam aber schon während des Gottesdienstes in der Kirche,im alten Stefansdom,zu Störun gen, zu Anflegelung von Kirchenbesu chern. Der Kardinal sah sich veranlaßt, am nächsten Tag sich an den Gauleiter Baidur v. Schirach mit einer Be schwerde zu wenden und ihn besonders darauf aufmerksam zu machen, daß solches Benehmen der Jugend etwas Symptomatisches sei, von einer Verro hung der Jugend Zeugnis gebe. Man hätte in einem Rechtsstaat, falls der Kardinal zu Störungen der Ruhe Anlaß gegeben hätte, ihn zitieren, ihn einvernehmen können, aber die Praxis im Dritten Reich war, die „kochende Volksseele" darauf zu hetzen und nach her mit Achselzucken zu bedauern. Man hat fernerhin, um auf den Kardinal einen Druck auszuüben, den Sekretär Dr. Weinbacher im November 1939 ver haftet und späterhin nach Parchim in Mecklenburg verbannt, angeblich we gen Landesverrat, in Wirklichkeit aber deswegen, wie man später erfahren konnte, weil er der ,,böse Geist" des Kardinals sei. Das heißt auf Deutsch, den Kardinal konnte man wegen seiner Haltung nicht gut einsperren, weil das unliebsames Aufsehen in der Weltöffent lichkeit erregt hätte, so nahm man den Sekretär. Der Umstand, daß man sich an den Kardinal nicht mit Polizeimaßnahmen heranwagte, wurde günstig für so man che Hilfsaktion. Unter seinem unmittel baren Schutz, in seinem Hause, wurden durch die Jahre des Nazismus alle die Gruppen unterstützt, die der Nazismus in Elend gebracht hatte. Hier fanden die katholischen Beamten Hilfe, die wegen ihrer Gesinnung entlassen worden wa ren, die Familien derer, die in Konzen trationslagern festgehalten wurden-wie viele litten Not und Hunger!Hier fanden Hilfe alle die Christen, die wegen ihrer rassischen Zugehörigkeit keine Hilfe, ja nur Verfolgung und Qual vom Staate erduldeten. Dr.Jakob Weinbacher Erzb.Sekretär Wien,am 7.September 1945 Anmerkungen: 'Zum Schicksal von Weihbischof Weinbacher in der NS-Zeit vgl. Jakob Fried, Nationalsozialismus und katholi sche Kirche in Österreich(Wien 1947)91. ^ Maschinschriftliche Niederschrift mit eigenhändiger Unterschrift; Diözesanarchiv Wien,Bischofsakten Innitzer. ^ Die Darstellung bedarf natürlich einer eingehenden Kommentierung. Da diese an dieser Stelle nicht geboten werden kann, sei der Leser nachdrück lich auf die eingehenden Studien von Maximilian Liebmann verwiesen: Maxi milian Liebmann, Kardinal Innitzer und der Anschluß. Kirche und Nationalsozia lismus in Österreich 1938 (Graz 1982) (=Grazer Beiträge zur Theologiege schichte und kirchlichen Zeitgeschichte 1). Liebmann hat bei seinen Forschun gen auch die Niederschrift Weinbachers herangezogen und ausgewertet. ' Nach Aussagen von Dr. Josef Him melreich, dem Sonderbeauftragten des Gauleiters Bürckel. erfolgte die Befügung der Worte „und Heil Hitler" erst am 21. März; vgl. dazu BWDG 20(1979) 5. Kardinal innitzer und die Juden Von Annemarie Fenzl In Yad Washem,der Gedenkstätte des jüdischen Martyriums in aller Welt,, kann der Besucher, nicht ohne betroffen zu sein, eine Kopie des mit ,,Heil Hitler" unterzeichneten Schreibens des Wiener Kardinals Theodor Innitzer (1932-1955) sehen. Dieses Begleitschreiben zur soge nannten „Feierlichen Erklärung" der österreichischen Bischöfe, datiert mit 18. März 1938, gerichtet an Gauleiter Bürckel, stempelt den Kardinal offen kundig-an dieser gewichtigen Gedenk stätte -für ewige Zeiten zu einem Sym pathisanten der Nazis und somit zu einem indirekt Mitschuldigen am schrecklichen Holocaust. Da nicht anzunehmen ist, daß der Wiener Kardinal aus beabsichtigter Bos heit unter die Naziverbrecher eingereiht worden ist, da vielmehr eher eine ver kürzte Sicht der Dinge nur die eine Seite der Medaille sehen läßt: aus die sem Grund soll versucht werden, jene andere Seite zu zeigen, von der her die Behauptung, Innitzer sei ein Feind des jüdischen Volkes gewesen, einfach falsch erscheint. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, das Wissen von heute wohl zu unterscheiden vom Bewußtseinsstand von damals. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Christlichsozialen seiner Zeit war Theo dor Innitzer nie ein Antisemit.Daß es im Zusammenhang mit jüdischen Mitbür gern Schwierigkeiten geben könnte, mußte ihm wohl bewußt werden, als er als Rektor der Wiener Universität im Juni 1929 jüdische Studenten vor Aus schreitungen und sogar tätlichen Angrif fen deutschnationaler und nationalsozia listischer Studenten so energisch in Schutz nahm wie kein anderer Wiener Rektor der Zwischenkriegszeit.' Die österreichischen Juden haben das schon damals anerkannt. Der Kardinal galt schon vor 1938, um es in der Nazitermi nologie auszudrücken, als Judenfreund. Das kam nicht zuletzt in der nicht nur in NS-Kreisen üblichen Verballhornung seines Namens „Inser Unnützer" zum Ausdruck. Die latent vorhandene Judenfeindlich keit, auf die näher einzugehen wohl nicht notwendig ist, wurde im Zuge der Machtergreifung Hitlers in Deutschland am 30. Jänner 1933 neu entfacht. In Österreich versuchte man zunächst, die Judenfrage als offiziell nicht vorhanden zu betrachten. Dennoch wurden gele gentlich bereits Übergriffe aufjüdischen Lebensraum bekannt. Der Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe vom 21. Dezember 1933^ ist in diesem Zusam menhang besonders zu nennen. Elf Mo nate nach der Machtergreifung Hitlers stellen die Bischöfe den Grundirrtümern der NS-Lehre vier Grundwahrheiten gegenüber und verurteilen „den natio nalsozialistischen Rassenwahn, der zum Rassenhaß und zu Völkerkonflikten führt,ja führen muß..." Kardinal Innitzer, seit September 1932 an der Spitze der Erzdiözese Wien, nahm von Anfang an eine entschieden judenfreundliche Haltung ein. Im Jahr 1933 kam es zur Gründung des Paulus werkes. Dieses verfolgte ein doppeltes Ziel: einerseits so viele Juden wie mög lich dem Christentum zuzuführen, nicht zuletzt, um diese andererseits dadurch zugleich vor möglichen Verfolgungen durch das NS-Regime zu schützen. Als allerdings am Nürnberger Parteitag des Jahres 1935 die sogenannten „Rassen gesetze" verkündet wurden, schwand damit auch jegliche Hoffnung, sich viel leicht durch Konversion zu retten. Da mit war eine deutliche Verschärfung der Judenverfolgung eingeleitet worden. Und die katholischen Nichtarier, Hitler nannte sie „Bastarde", hatten mit Sicherheit kaum ein besseres, wohl eher ein schlechteres Los zu erwarten als ihre mosaischen Schicksalsgenossen. In die ser dunklen Zeit fielen denkwürdige Worte Kardinal Innitzers, die er anläß lich der Einweihung vom Pauluswerk

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=