Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

österr. Verhältnisse entschieden für die Beibehaltung der exemten Militärseel sorge aus. Nach Aufhebung des Jesuitenordens, der in der Hauptsache die Miütärseelsorge im österr. Heer bestritten hatte, gab Maria Theresia im März. 1773 dem Hofkriegsrat bekannt, daß sie es für das beste halten würde, einen Diözesanbischof mit der Leitung der Militärseel sorge zu betrauen; auf diese Weise wür den die fortwährenden Reibungen zwi schen Militär- und Diözesanklerus auf hören.' Der Hofkriegsrat stimmte schon mit Rücksicht darauf zu, weil dadurch die Unterhaltskosten für den Armeebischof eingespart würden und man sich mit der Zuwendung einer Funktionszulage be gnügen könne. Zugleich beantragte der Hofkriegsrat die Errichtung von fünf Generalvikariaten für die wichtigsten Armeebezirke. Mit dem 1. Dezember 1783 trat diese Neuordnung in Kraft. Der Bischof von Roermond, Dr. Heinrich Kerens, wurde zum Administrator der Diözese Wr. Neustadt bestellt und gleichzeitig zum apostolischen Feldvikar ernannt. Mit der Verlegung des Bischofsitzes von Wr. Neustadt nach St. Pölten hatte der Feldbischof nun dort seinen Amts sitz. 1826 wurde das apostolische Feldvikariat nach Wien übertragen und die Verbindung mit dem Bistum St. Pölten aufgehoben, so daß also die Militärseel sorge einem eigenen Bischof unterstand, der nicht zugleich Diözesanbischof war. Kein Diözesanbischof durfte sich in die Verhältnisse der Militärseelsorge einmi schen; denn diese war nun ihrer Macht befugnis entzogen-exemt. Die nach der Katastrophe von 1866 erfolgte Neuordnung der Militärseel sorge im Jahre 1869 ließ das Feldvikariat ziemlich unberührt. Jedoch wurde das Betätigungsfeld der Militärseelsorge ziemlich eingeschränkt. Die Truppenseelsorge wurde abgeschafft und die Militärseelsorge auf Spitäler, Strafan stalten und Militärbildungsschulen nie derster Stufe beschränkt.' In seiner Stellungnahme zu Kettelers Vorschlägen betonte Grusche, das Ent scheidende wäre nicht, ob man mm die Militärseelsorge einem geistlichen Or den oder einer Weltpriesterkongregation übertragen solle, die in irgendeiner Form dem jeweiligen Diözesanbischof unterstehe, sondern die einheitliche Ausrichtung der Militärseelsorge. In einem kleinen Lande mögen die Ver hältnisse anders sein, aber in Österreich dürfe man die Militärseelsorge unter keinen Umständen Diözesan-Ordinarien überlassen; denn dadurch würden die Schäden nicht behoben.Ja im Gegenteil, man müsse das Vikariat zu autoritativer Selbständigkeit erhöhen. Sonst wäre zu befürchten, „ob nicht selbst in politi scher Beziehung die Frage der Auflas sung einer einheitlichen Pastorisation in der Armee.Folgen von großer Tragweite mit sich bringen könnte"."' Jetzt, nachdem sich der Verband der Monarchie durch den Ausgleich von 1867 gelockert hatte, wollte Gruscha von seinem zentralistischen Standpunkt aus die einheitliche religiöse Ausrichtung nicht gefährdet sehen. Denn unter den vielsprachigen Völkern der Monarchie war gerade die Religion das einigende Band. Wäre dem jeweiligen Diözesanbi schof, in dessen Diözese sich Garnisonen befanden, die Militärseelsorge übertra gen worden, so hätte man befürchten müssen, daß sich durch die nationale Verschiedenheit auch Gegensätze bilden würden. Die Tatsache, daß Ketteier gerade von Gruscha das ausgiebigste Material be züglich der Militärseelsorge erhielt, mag ein Hinweis sein, daß sich Gruscha als Pastoralprofessor eingehend mit der seelsorglichen Betreuung des Heeres beschäftigt hat. Ob er schon damals an die Möglichkeit dachte, selbst in der Heeresseelsorge tätig zu sein, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Jeden falls dürfte bei Hofsein Interesse für das Heer nicht unbeachtet geblieben sein. Und wir dürfen dem Gerücht Glauben schenken, daß die Kaiserin-Mutter kurz vor ihrem Tod Gruscha dem Kaiser empfohlen, und auf Grund dieser Emp fehlung habe er schließlich den Posten eines apostolischen Feldvikars des kai serlichen Heeres erhalten." Am 19. Jänner 1878 wurde Gruscha vom Kaiser zum apostolischen Feldvikar der k. k. Armee ernannt.(Wr. Diözesanblatt Nr. 2/1878, S.24.) Durch die Präconisationsbulle vom 28. März 1878 setzte ihn Leo XIU. zum Bischof von Carrhe ein. In der Bulle wurde er vom Papst mit einer „besonderen Gnade" bedacht - er durfte das Kanonikat und die Präbende am Wiener Metropolitankapitel weiterhin behalten, damit er die erforderlichen Mittel zu einer bischöfli chen Standesführung habe. Gruscha versicherte dem Kaiser, daß er auf diese Bestimmung nicht den geringsten Ein fluß genommen habe. Leo XIII. habe eben auf die gegenwärtig gesteigerten notwendigen Standesbedürfnisse wie z. B. auf die Wohltätigkeit Rücksicht genommen." Die Öffentlichkeit war überrascht über die Ernennung Gruschaszum Feld vikar, da er weder die tschechische noch die ungarische Sprache beherrschte.'' In kath. Kreisen Deutschlands setzte man große Erwartungen auf Gruscha. So schrieb der Pastoraltheologe und Bistumsverweser von Mainz, Franz Christoph Ignaz Moufang,an Gruscha.^ „Was für ein Geist in der Truppe herrscht, ist gar nicht gleichgiltig und sollte die kaiserliche Armee, nach den Gesinnungen des Landesherrn auch für die Sache Gottes und der Kirche Siege erfechten, so muß auch der christliche Geist in derselben herrschen." Gruscha suchte als Feldbischof dem Religionsunterricht in den Militärbil dungsschulen wieder mehr Einfluß zu verschaffen. Aber erst sein Nachfolger Dr. Koloman Belopotoczky konnte hier mit Unterstützung des Thronfolgers Franz Ferdinand einen Erfolg verzeich nen.'" Mit der Okkupation von Bosnien-Her zegowina sah sich Gruscha vor neue Aufgaben gestellt. Vom 5. bis 31. Mai 1879 unternahm Gruscha eine Inspek tionsreise durch diese Gebiete." Er er kannte, daß die kaiserliche Armee hier nicht nur eine zivilisatorische Aufgabe habe,sondern darüber hinaus noch eine besondere Mission. Unbeschadet der bürgerlichen Gleichberechtigung der dort bestehenden Religion müsse man dahin wirken, daß alles von den Rechts anschauungen, Sitte und Kultur der christlichen Religion getragen werde. Der Militärklerus müsse mit aller Klug heit und Milde, aber auch mit seiner vollen religiösen und patriotischen Überzeugung diese wichtige Mission mitentfalten helfen. Mit großer Genug tuung stellte Gruscha fest, daß „seit der Okkupation die hohen religiösen und patriotischen Feste mit größtmöglicher öffentlicher Feierlichkeit mit militäri schem Gepränge zur Freude und Er bauung der gesamten Bevölkerung be gangen werden". Bemerkenswert ist der Stimmungsumschwung gegenüber 1866. Während damals die Gleichgültigkeit der militäri schen Stellen religiösen Angelegenhei ten gegenüber auffiel, so trat jetzt die Bereitwilligkeit des Offizierskorps, die Interessen der Religion injeder Weise zu wahren, besonders stark hervor. Die politischen Verhältnisse und vor allem die Umwelt hatte sich geändert. Auf deutschem Boden hatte das liberal durchsetzte Offizierskorps die ständig wachsende Macht des protestantischen Preußens vor Augen und litt unter Minderwertigkeitsgefühlen, verursacht durch die Zugehörigkeit zu einem als katholisch bezeichneten Staat. Im islamischen Südosten dagegen war das österr. Heer die Verkörperung des christlichen Europas. Es trat als Vertre ter einer alten siegreichen Kulturmacht auf. Und darum war es aus politischen Gründen geboten, nach außen hin das feste Bündnis von Thron und Altar der islamischen Welt zu dokumentieren. Der orientalischen Mentalität entsprechend, glaubte man, dies am besten durch religiös eingekleidete Militärparaden zu erreichen; die Prozessionen wurden zu einer politischen Demonstration Öster reichs. Die Kirche leistete da dem Staat einen wertvollen Dienst. Aber auch sonst konnte man mit der Arbeit, die von kirchlichen Kreisen bereits geleistet worden war,sehr zufrie den sein. Kurz nach der Okkupation soll sich Minister Andrassy zu Graf Falkenhayn geäußert haben, von dem Exjesuiten Vestenek - Trappist in Bosnien - habe er in einer Stunde bessere Informatio nen erhalten als von den österr. Konsuln und Agenten durch jahrelange Bericht erstattung."^ Gruschas Bemühen um die Festigung der christlichen Religion in dem neu erworbenen Gebiet fand volles Ver ständnis. Das Kaiserhaus bemühte sich, die Interessen der Katholiken weitge hend zu fördern. Es wurde ein österr. Hilfsverein für Bosnien, dessen Protek tor Erzherzog Albrecht war, gegrün det.'" Mit Hilfe der Kirche wollte man auf friedlichem Weg die Schwierigkeiten überwinden. Die Losung war: Bosnien

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