Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

d. h. der Überzeugung waren, daß die Pest durch Berührung (per contactum) unmittelbar von Mensch zu Mensch weiterverbreitet werde,trug der Expositus engärmelige, wachsgetränkte Klei der und hielt sich in angemessener Entfernung vom Krankenbett. Als wei tere Sicherheitsvorkehrung brannte zwi schen ihm und dem Kranken ein Feuer oder wenigstens eine Kerze, wenn er mit etwas abgewandtem Gesicht in Kürze die Beichte hörte."" In nicht wenigen Fällen sorgte er freilich auf dem Lande außer für die geistliche auch für die ärztliche Betreuung, wie ja die Priester dieser Zeit oft über medizinische Kennt nisse verfügten. Die „benötigte Sustentation eines Expositi pro infectis", die sich aus Salarium (= Besoldung, Gehalt) und aus Alimentation(= Verpflegung)zusammensetzte, wurde von staatswegen vorgeschrieben. Separierte Wohnung und Kost für den Pestpriester waren von den Betroffenen beizustellen. Den dabei anzuwendenden Aufteilungsschlüssel hatte man ebenfalls aus dem vorigen Jahrhundert übernom men. „Die uncosten für denen Exponirten Priestern", war in der Infektionsord nung von 1680 dem Wunsche des Pas sauer Offizials gemäß niedergelegt, „sol len von unßern Pfarrern contribuirt werden, die habitationen aber für denselbigen sollen die Herrschafften vndt weltliche obrigkheiten procuriren vndt hergeben"."^ Um aber doch den dadurch erwachsenden Beschwernissen der oh nehin eingeengten, armen Bevölkerung zu begegnen, verfiel man beispielsweise im Bereich der Pfarre „Hüetteldorff'auf den Gedanken, ,,zu benöthigter Unter bringung des aussezenden Priesters daß Schuellhauß" zu widmen."" In Stadlau errichtete die Gemeinde auf eigene Ko sten eine Holzhütte, die Kovatschiz als „ehrliche habitation" zugedacht wurde. Was sein Salarium angeht, hatte er aus den pfarrlichen Einkünften einen Wochenlohn von drei Gulden"" zu bezie hen, den ihm Hochwürden Frölich, dem er ja zur Hand ging, bei sonstiger Exe kution reichen, d. h. bezahlen sollte. Aufden ersten Blick mag diese Bezah lung - nebst freier Wohnung und Kostrecht gut aussehen.Schon der Vergleich mit dem wöchentlichen Sold eines Siechknechtes, der 1680 dasselbe betrug, oder dem eines Bündtknechtes (Baders oder Badergehilfen), der das Doppelte betrug'", weckt Staunen, war doch der Pflichtenkreis dieser Hilfsorgane der Viertelsärzte auf dem Lande ähnlich, nämlich: den infizierten Bewohnern eines Ortes und der Umgebung sofort und umsonst beizuspringen, die Arz neien den Armen unentgeltlich zu ver abreichen, ein ehrbares und nüchternes Leben zu führen, die Angesteckten so fort zu separieren, im Falle der Renitenz der Betroffenen die Ortsobrigkeit anzu rufen und allwöchentlich dem Viertel arzt einen Seuchenbericht mit Verzeich nis der Geheilten und der Verstorbenen zu übersenden.'" Jetzt, 1713, erhielt ein Medicus monatlich 150, der Chirurgus 75 Gulden." Zur gleichen Zeit bekam ein Patrouillereiter, ein Angehöriger des Sicherungspersonals, monatlich 25 Gul den.'- Zum Vergleich; Für ein uneheli ches Kind, das in Kost gegeben worden war, zahlte man 1714 ,jährlich 20n(= Gulden) Kostgeld..., ohne was auf die Klaidung aufgehen wird"'"; für einen Spitalsinsassen des Mistelbacher Ar men- und Siechenhauses wurden im selben Jahr ausgegeben: 12fl 10 kr für Brot,4 fl 30 kr für (2'/i Eimer) Wein,8fl 15 kr für (110 Pfund) Rindfleisch, 2fl 45 kr für (13 Pfund - Pro Woche '/*) Schmalz, 45 kr und 13 Maß Linsen (ein Metzen kostete 2fl 48 kr), 45 kr für Erb sen, 48 kr für (13 Maß) „Brein" (= Hirse), 36 kr für (ß'/z Maß) „gemachte Gerste", dazu Weizenmehl, Salz - alles zusammen 30 fl 48 kr 2 den." Oder anders: Im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts lagen die Taglöhne in Wien'" fast durchwegs um die 15 Kreu zer, d. h. daß vier Tage Arbeit nötig waren, um einen Gulden, bzw. zwölf Tage, um die wöchentliche Besoldung des Pestpriesters (von drei Gulden für sieben Tage)zu erreichen; der Wochen lohn in der Linzer Wollzeugfabrik be trug für männliche Arbeitskräfte bis drei Gulden.'" Damals kostete der Eimer Wein (= 56,5 Liter) zwei Gulden, 1716 das Pfund Rindfleisch (= 560g) 4Vz Kreuzer'" (1 Gulden=60 Kreuzer), 1715 bezahlte man für 1 Mut Semmelmehl(= 1845 1) 38 Gulden,für 1 MutPollmehl 30 Gulden und für 1 Mut Roggenmehl 22 Gulden." Hatte der ausgesetzte Priester selbst eine Hilfskraft an seiner Seite,so mußte er dieser pro Woche zwei Gulden, d. h. zwei Drittel seines eigenen Einkom mens, bezahlen, wie es der Fall des Johann Adam Hernstorffer zeigt, der dem Konsistorium mitteilt, „er habe 12 Wochen lang bey dem zue Thulln exponirt=gestandenen Herrn (Mathias) Schmidtgrabner gedienet, von dem ihme wöchentlich 2fl zum Lohn gedinget worden, welches in summa 2A fl be traget"."^ Wieder zum Vergleich: Anfang des 18. Jahrhunderts hatte eine Dienst magd bei einem Bauern in Mistelbach, neben Beköstigung und Quartierbereit stellung, 12 Gulden Geldlohn im Jahr.'" Es war ein „Fourier", d. h. ein Unter offizier, der für die Furage -den Mund vorrat fiir die Truppe und das Futter für die Pferde - zu sorgen hatte, der sich, mehr indirekt und nicht aus sozialem Gewissen,zum - ungehörten-Sprecher und Vertreter der Sorgen und Nöte der Pestpriester machte: Johann Peter Schmidtgrabner, der Bruder des eben erwähnten Tullner Expositus. Was er bei der Geltendmachung seiner Erbansprü che übersteigernd hervorhebt, klingt recht bitter, kommt aber der Wahrheit nahe: „d(as) sein Herr brueder Mathias Schmidtgrabner als exponirter Geistli cher zue Thulln gestorben seye; inmitls er auch in erfahrung gebracht, d(a)s der Doctor monnatl(ich) 100, vnnd der Barbierer 50 R(eichs)th(a)l(er) gehabt habe, welche doch ihre Medicin nur durch andere denen kranckhen geschickhet, sein Herr brueder aber selbst zu denen kranckhen gehen müessen."'" So sehr diese Äußerung für jene Pestärzte stim men mag,die inren Patienten das Nötig ste durch „Zutrager" zukommen lie ßen'", so ungerecht erscheint sie gegen über jedem - auch in Stadlau nachzu weisenden - „exponirten medicus", der persönlich ans Krankenbett kam.'" Der Asperner Bader, welcher den leidge prüften Stadlauern während der Seu chenmonate beigestanden hat, wurde schließlich, als er im September dann bei der in Hirschstetten grassierenden Pest wiederum ausgesetzt war(„exposi tus tonsor ex Aspern"), erst 21jährig am 15. September 1713 selbst das Opfer seiner Pflichterfüllung."'' Ob auch sein Berufskollege Georg Prandtner, der für den an Kagran grenzenden Herrschafts bezirk Süßenbrunn selbst"*'' das Bader geschäft auf dem Viertellehen Nro. 12 neben dem herrschaftlichen Wirts haus"''" führte und dem allerdings der Kagraner Pfarrvorsteher schon seit 1710 „yber allen empfang noch 25 Gulden und 30 Kreutzer restirte""'", seine Wirk samkeit bis nach Stadlau ausgedehnt hat - wie es etwa „in der anno 1799 zu Leopoldau und Kagran und Deutschwa gram geherschten Epidemie""''*' der aus übende Wundarzt und Geburtshelfer Joseph Ignaz Lassingleitner^", tun sollte -,läßt sich nicht sagen. Gerade diese Details erhellen schlag artig die Situation, in der ein Pestprie ster - im Sinne der Zeit stets auch als ruralmedizinischer Krankenhelfer ''^ - in jenen Tagen durchhalten mußte. Und dann wurde ihm, dem ständig von der Gefahr der Ansteckung Bedrohten, sein an und für sich wenig attraktiver Sold oft gar nicht ausbezahlt! Eines der Bei spiele für die ZahlungsunwUligkeit vor gesetzter Pfarrherren sollte bald auch Georg Kovatschiz erleben, dessen tiefes Elend in der ersten Woche des Einsatzes in Stadlau schon der am 24. Jänner 1713 im Konsistorium verlesene Bericht Pfar rer Frölichs widerspiegelt: „Gegenwer tige beylag seye ihme", sagte er, „von der N:0: Regierung den 20.ten Jenner durch einen Gräniz Reutter zuekhommen. Also habe Er ein solches Einem V(enera)b(i)li Consistorio anzeigen sol len, beynebens, d(a)z die sammentliche Stadlauer ein groses verlangen tragen, d(a)z der exponirte Priester Kovatschiz bey ihnen täglich d(a)z heyl: Mesßopfer lesen dörffe, wozue Sye in einer Mühl hütten einen Altar cum portatili zuerichten, und für die Gesunde deß Richters Stadl, auß solchen auf den Altar sehen zuekhönnen, widmen wollen, welches orth, seinem gedunckhen nach, honest genueg darzue wäre; nicht weniger, d(a)z er solchergestalt etwelche consecrite hostien für die Inficirte in einer aignen säubern Cammer, vnnd schönen Castel bey einer stetts brenenden Am pel, wohin sonst niemandts khommet, sondern von ihme. Herrn Kovatschiz, allzeith verspörret sein solte. reserviren dörffe - wodurch die communication desto besser ä pestiferis abgeschnitten wurde." Es ist sicherlich nicht barocke Übertreibung, wenn Frölich mit ein dringlichen Worten weiter referiert: „Jtem so schreibe auch der exponirte Priester, daz er gar keine lebenmittl zue 41

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