Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Trückene der Zunge. Die meisten wer den auf einmal an Kräften gantz zer schlagen / und empfinden eine alle Glie der außgehende schwürige / und ihrem Beduncken nach Bein=brechende Mat tigkeit... Einige bekommen Schwindel / Nasen=Bluten / und wol auch zuweilen Ohnmächten. Zuweilen treibet es ihnen einen Angst=Schweiß auß. Einige müs sen öfters wider Gewohnheit Harn las sen. Einige bekommen auch starcken Durchbruch. Sowol der Schweiß / Harn als Stulgang pfleget ungewöhnlich übel zu riechen. Bey vielen schlagen rothe / blaue / oder braunlechte Fleck auß / welche von denen meisten für Petetschen angesehen / und auch insgemein also genennet werden;seynd aber in der That mercklich unterschieden. Allen aber fahren früher oder später / man chen zwar gleich zu Anfang / ohne sonderbarer Ubelbefindung / gantz unvermerckt / da sie noch gehen und stehen können / andern aber den änder ten / dritten oder vierdten Tag / selten später I mit vorgehenden oder Beglei tung einiger angeregter Zufallen an un terschiedlichen Orten des Leibs Beule und Blasen auf / welche Blasen außsehen als wann sie wären gebrennet wor den.Brennen auch also / erhöhen sich in wenig Stunden / und so sie geöfnet werden / lauffet ein wenig dunckel- =blaulichtes / zuweilen auch kläreres Wässerl heraus / und lieget ein gebrann tes Fleisch darunter. Fressen um sich / und werden manchesmal grösser / wie auch tieffer / so / daß das Fleisch / wie von einem Brand / herauß falle... Wann ein Mensch vor Auffahrung der Beule und Blasen schnell des Lebens beraubet wird I zeigen sich doch mit / oder gleich nach dem Todt sogenandte schwartze Petetschen / oder vielmehr Gift= Brand= und Todten=FIeck".'®' Nichts erfahren wir von Pfarrer Frö lich über das Krankheitsbild. Die Pest äußerte sich, das sei hier der eben angeführten Textpassage hinzugefügt, „in den meisten Fällen durch ein rasch sich entwickelndes und kurz verlaufen des fieberhaftes Allgemeinleiden, bei dem rasch eintretende allgemeine Schwäche mit Umnebelung der Sinne, stammelnde Sprache, wankender Gang und fortschreitende Bewußtlosigkeit die auffälligsten äußeren Zeichen, eine oder mehrere Drüsenbeulen, seltener ein Hautkarfunkel oder eine Lungenentzün dung den ersten Krankheitsort, Blutun gen aus den Schleimhäuten und in der äußeren Haut den höchsten Grad des Ergriffenseins bezeichnen und bei wel chem die Entscheidung, die für gewöhn lich tödlich zu sein pflegt, sich innerhalb der ersten drei oder fünf Tage ein stellt".'^® Wie die Einschleppung geschehen war und woher, läßt sich für Stadlau auf Grund der bereits zitierten Bemerkung in den Kagraner Sterbematriken eindeu tig festlegen. Demnach war Wien, noch genauer: das Wiener Bürgerspital, der Pestherd - übrigens an und für sich schon sehr wahrscheinlich, weil einer seits die Stadlauer ja ihre Produkte - Fische sind genannt - auf den Märkten der Residenzstadt absetzten, andrerseits aber auch viele Wiener aus Furcht vor Ansteckung die Mauern verließen, um sich in kleinen Ortschaften zu „salvieren". Aber auch an einen Außenseiter der Gesellschaft als zusätzlichen Pest überträger, einen der herumziehenden Bettler, Musikanten, Landstreicher oder Zigeuner, wie sie die Quellen des 18. Jahrhunderts immer wieder bezeugen, mag man denken.In diesem Zusammen hang gewinnt eine Anzeige an Bedeu tung, die Pfarrer Frölich am 18. Novem ber des Vorjahres an das Passauer Kon sistorium in Wien gemacht hatte. In ihr heißt es, „Richter vnnd Gemainde"(von Kagran)hätten „eine kranckhe Persohn, welche sye nach den Landtsftü)rstl(ichen) Generalien hetten weither fuhren sollen, in einer Strohedrist dahinsterben lassen, ohne d(a)z sye ihme daruon ein wortt gesagt, d(a)z er selbe mit den heyl(igen) Sacramenten hätte versehen khönnen'*.^' Wenn es auch von diesem dubiosen Todesfall bis zum ausdrücklich bezeugten Ausbruch der Seuche (13. XU. 1713) an die vier Wochen dauerte, könnte doch damals die Krankheit in den Pfarrsprengel gebracht worden sein; die vagabundierenden Armen („vagi"), deren hoher Anteil an den 1712 und 1713 Verstorbenen Kagrans auffällt, wie sich ja ganz allgemein in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die Folgen der zweiten Türkenbelagerung die Zahl der Bettler bedeutend vergrößert hatte^'", gefährdeten durch ihre unstete Lebensweise die Bevölkerung wieder holt beim Ausbruch von Epidemie, da sie die Seuchenerreger im ganzen Land verschleppten. Was schließlich die Peststerblichkeit in Stadlau sowie Alter und Geschlecht der an der Pest Verstorbenen anlangt,so ergeben sich aus dem Bericht Frölichs für den Zeitraum zwischen dem 25. bzw. 28. Dezember 1712 und dem 3. Jänner 1713 drei Pestverstorbene bei insgesamt sechs zusammenhängenden Pestfällen. Fünfzig Prozent der Erkrankungen ver liefen also innerhalb der ersten neun Tage tödlich. Allerdings sollte schon am nächsten Tag,dem 4. Jänner,die Seuche gleich zwei Menschenleben fordern. Zu erst berührte der Tod den erwähnten Stallknecht(„famulus") bei Edlmayer - er hieß Mathias und war ungefähr 20 Jahre alt^® -, dann Catharina, die neun jährige Tochter des ebenfalls erwähnten Joseph Scharinger.'^'' Obwohl die Zahl der Stadlauer Pestopfer - zusammen bisher sechs - relativ gering erscheint, so ist sie absolut gesehen, und wenn man sich vergegenwärtigt, daß Stadlau um diese Zeit kaum zehn Häuser um faßte®', doch beträchtlich. Dabei fällt der hohe Prozentsatz von Menschen geringen Lebensalters und aus dem weiblichen Geschlecht auf.®'"' Der Großteil der bisherigen Opfer der Epidemie gehörte außerdem niederen sozialen Schichten an. Das ist kein Zu fall. Inwohner, Dienstmägde, Knechte waren wegen ihrer besonders schlechten Wohnverhältnisse den Gefahren der An steckung stärker ausgesetzt. Heilungen durch den Bader waren immerhin möglich, wenngleich trüge risch, wie das Schicksal des Fi scherknechtes zeigen kann. Mit den „Remedia" aus dem benachbarten Aspem hatte man in seinem Falle ver sucht die Pestbeulen zu „vertreiben".Es war damals üblich, zunächst Pflaster bzw. Zugmittel anzuwenden, die einer seits das Gift aus den Bubonen ziehen, andrerseits diese zur Reife bringen, d. h. erweichen sollten. Waren die Beulen dann zur „rechten Schwörung" gekom men®®, wurden sie aufgeschnitten - „er öffnet", wie Hochwürden Frölich am 18. 1. 1713 ün Zusammenhang mit einem dritten infizierten Haus in Stadlau sich ausdrückt.'® Nach dieser chirurgischen Behandlung waren wieder Zugmittel - halbierte Hühner oder Tauben, Lunge oder Leber von frischgeschlachteten Schafen oder Ziegen, in Essig oder Wein aufgeweichte „dürre Krotten", warmge machtes und mit Asche vermengtes Salz oder gar der eigene Kot!- aufzulegen®®, um den Eiterfluß in Gang zu halten. Zu guter Letzt wurden die Wunden durch Eibisch- oder Enzianwurzeln reingehal ten und langsam wieder zugeheilt.'®® Diese Zusammenhänge boten sich dem Kagraner Pfarrer unmittelbar dar. als er zwischen Weihnachten und Drei könig wiederholt mit dem hochwürdig sten Gut durch die Winterstürme und obwohl „darzumahlen von dem gefalle nen grosen Schnee alle weeg vnnd Steeg dargestalten verschniben gewest. d(a)z man sogar von einem dorffzum and(ern) nicht hat khönnen khommen"®'', nach Stadlau zu den infizierten Kranken sich durchkämpfte und dadurch nicht nur sich selbst, sondern das ganze Pfarrvolk gefährdete; doch schien es ihm für die Existenz der Filialgemeinde noch ge fährlicher, wenn zu den curativen Maß nahmen des Asperner Baders, die, sozu sagen punktuell, der Behandlung der bereits Erkrankten dienten, nicht bald die allgemeinen der behördlichen Pest bekämpfung kämen, deren Hauptanlie gen es war,die Gesunden vor der Contagion zu bewahren. Auch das bischöflich-passauische Kon sistorium konnte sich dieser Einsicht nicht verschließen, so daß es am 4. Jänner 1713 beschloß, „vor allem dem Sanitäts Praesidi Herrn Baron von Ödt hieuon communication zu ertheillen, umb in temporalibus die behörige An stalten machen zu khönnen"; dem Pfar rer von Kagran wurde durch Dekret zur Pflicht gemacht, „daz, wan sich was weithers verdächtiges zeigen solte, er alsogieich seinen verrem bericht hieryber ad offticiu)m erstatten solle".'"' Mit dem „Sanitäts Praesidi", der vom Ausbruch der Pest in Stadlau unterrich tet werden sollte, ist Johann Christoph zu Oedt, der Vicestatthalter des Landes unter der Enns und Präsident des nie derösterreichischen Gesundheitsrates in Wien, gemeint. Das Consilium sanitatis, das als Organ der niederösterreichischen Regierung unter seinem Präsidium stand, war eine Kommission aus Ver tretern der fünf Jurisdiktionen - Hof (Regierung und Kammer), Land, Stadt, Klerus und Universität - und galt als 39

RkJQdWJsaXNoZXIy NzM2NTQ=