Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

ten Burgkapelle gebaut? Der neue Stiflsbrief wurde ja auf Grund des vorgeleg ten Dokumentes von Kaiser Leopold 1776 ausgestellt. War die Vorgängerin der von Leopold 1679 erbauten Leopold! Capelln auch schon so benannt, so daß der Neubau nur als eine Vergrößerung und Verschönerung der bestehenden,als Erfüllung eines Gelübdes bedeuten sollte? Auf diese Frage kann derzeit noch keine klare Antwort gegeben wer den. Diese 1679 erbaute Leopold! Capelln am Kallenberg war ein reiner Zentral bau mit Kreiskuppel über dem griechichen Kreuz. Bei den Wiederaufbauarbei ten nach der Bombardierung am 7. 2. 1945 fand man die Anschlußstellen des Neu- bzw. Anbaues unter Karl VI. Dipl.- Ing. Architekt Dr. Sekler hat darüber ausführiich berichtet.^ 1683 kamen die Türken nach Wien und besetzten auch die Leopold! Ca pelln. Carl von Lothringen hat in der Nacht vom 10. aufden 11.September die verschiedenen Aufstiege auf den Kah lenberg-Kamm erkundigt und einen An griff auf die von den Türken besetzten Leopold!Kapelle vorbereitet. Bei Tages anbruch hatten 60 Musketiere und Marchese Parellas Haufen von italienischen Freiwilligen, darunter vermutlich Eu gen von Savoyen,die kleine osmanische Truppe am Berge überwältigt. Die Ein heiten bemächtigten sich dann des St. Josephsklosters und wurden rasch mit sächsischen Truppen verstärkt."' Die Türken beschädigten das „alte und das neue Gschloß am Kallenberg" und auch die Leopold! Capelln. Wie groß die Be schädigung war, wissen wir nicht. Die Kupfereindieckung soll vom Dach geris sen worden sein.'' Auch über die Inneneinrichtung der Kapelle ist uns nichts überliefert. Man darf wohl annehmen, daß sie ein Bild des heiligen Markgrafen Leopold enthal ten hat. Bedeutung hat diese unscheinbare Ka pelle erhalten, als P.Marco d'Aviano am 12. September zeitlich in der Früh vor der Befreiungsschlacht um Wien in oder vor ihr die hl. Messe gefeiert hat, bei der nach allgemeiner Überlieferung König Jan Sobieski ministriert hatte. Von hier nahm die Befreiung Wiens ihren Aus gang.' Kaum war das hl. Opfer gefeiert, zogen die Soldaten und ihre Führer fort, um Nußdorf,''Heiligenstadt und den Reichshauptstadt zu befreien. Nach dem Entsätze Wiens kehrten die geflohenen Wiener zurück, und man begann in der Stadt und Umgebung mit dem Wieder aufbau und der Behebung aller Kriegs schäden. Nur an die Leopoldi Capelln am Kalenberg dachte keiner mehr,nicht einmal Kaiser Leopold. 10 Jahre blieb sie in dem von den Türken zerstörten Zustand. Am 27. Dezember 1693 schrieb Pater Marco d'Aviano von Padua aus an den Kaiser. Wie ein Vorwurf klingen die Worte: „Alle Kirchen und Häuser in Wien und Umgebung,die bei der barba rischen Besetzung zerstört wurden, sind wieder aufgebaut und instandgesetzt worden. Nur die Kirche am Kalenberg liegt noch verwüstet da." Und weiters schreibt P. Marco im gleichen Absatz: „Der Kalenberg ist der Ort, wo Eure Kaiserliche Majestät ZUERST die Hilfe des Himmels in der großen Bedrängnis über die Feinde der Christenheit erfah ren haben." Der priesterliche Freund rät dem Kaiser - und betont ausdrücklich, daß dies auf eine Eingebung von oben zurückgehe -, er möge ein Bild der allerseligsten Jungfrau Maria unter dem Titel MARIA HILF malen lasse» in der Größe, daß es als Altarbild dienen könne. Dieses Bild soll in öffentlicher Prozession von der Hofkirche Sankt Augustin in den Stephansdom getragen werden. Die Majestäten, alle vom Hofe, ja die gesamte kaiserliche Familie sollen dort öffentlich bei der heiligen Messe kommunizieren. Das Wichtigste aber sei, daß der Kaiser an den Stufen des Altars kniend, feierlich gelobe, daß, im Falle ein allgemeiner, dauernder, gerechter und vorteilhafter Frieden nach allen Seiten hin zustande käme,er die Kirche am Kalenberg von Grund auf restaurie ren und in ihr das Mariahilfbild zur dauernden Verehrung durch das Volk aufstellen lasse. Die Kirche auf dem Kalenberg soll der Kaiser „Kirche Ma riahilf' nennen." Bereits am 17. Jänner reagierte der Kaiser aufdiesen Brief. Er erklärte seine Bereitschaft, den Rat des Paters auszu fuhren bis auf die Umbenennung der Kirche. Letzteres könne er nicht tun, denn:„Die Kirche oder Kapelle aufdem Kalenberg erhebt sich an derselben Stelle, wo der Palast des heUigen Leo pold bei seinen Lebzeiten (in vivis) stand; sie wurde dem glorreichen Heili gen zu Ehren erbaut und ihm geweiht. Dieshalb weiß ich auch nicht, ob ich mich dazu entschließen soll, den Namen zu ändern, wenn auch der Heilige ganz gerne der allerseligsten Jungfrau den Platz abtreten würde. Aber da jener Ort immer schon dem Gedächtnis des heili gen Leopold geweiht war, so weiß ich nicht, ob es sich schickt, eine Änderung vorzunehmen.- Alles übrige erfülle ich gerne."*' Bei der Durchführung dieses Vorha bens stieß der Kaiser auf mehrere Schwierigkeiten. Bischof Emmerich Sinelli meinte, er solle doch nicht ein erst kürzlich gemaltes Marienbild in Prozes sion nach St. Stephan tragen lassen, denn dieses werde schwerlich Andacht erregen. Es solle ein altes Bild, das seit vielen Jahren schon vom Volke verehrt wurde, wie jenes in der St. Stephanskir che verwenden. Der Kaiser fügte sich diesem Wunsche.So wurde das Gnaden bild UNSERE LIEBE FRAU vom Frauenaltar aus der Domkirche, das die Kaiserin selbst festlich schmückte, bei der Prozession mitgetragen.'*' Maria ist in der Sonne aufeiner Mond sichel stehend dargestellt. Tempera auf Holz, ca. 170 X 80 cm. Es soll 1493, also genau vor 200 Jahren,von einem Wiener Bürger gestiftet worden sein.'' Der Kaiser setzte das Fest Mariä Him melfahrt, das 1693 auf einen Samstag fiel, för die Prozession und das Gelöbnis fest. Doch verschob er „aus pastoralen Gründen" die Feierlichkeiten auf Sonn tag, den 16. August. Leopold schrieb selbst die von ihm in Latein gesprochene Gelöbnisformel und legte sie dem näch sten Brief an P. Marco d'Aviano bei. U.a. gelobte der Kaiser:„Spondeo praeterea, me ad perpetuam tanti beneficü memoriam S. Leopoldi in monte Caesio, unde PRIMO singulare Tuae protectionis auxilium in propulsandis hostibus apparuit, restauraturum, ac in eodem aram D. Virgini sub titulo Auxilii Christianorum dedicaturum".'^ Ein MARIAHILFBILD war dem Kai ser gar wohl bekannt. 1676, also in jenem Jahr, in dem er die PP Camaldulenser verpflichtete, wöchentlich auf dem Kallenberg 3 x die heilige Messe für das Kaiserhaus zu lesen, feierte er in Passau Hochzeit mit Magdalena Eleonora von Pfalz-Neuburg, wobei er vier mal in die Mariahilf-Kirche auf den am anderen Innufer liegenden Berg zog, um dort seine Andacht zu verrichten. Zur Erinnerung an seine Passauer Hochzeit ließ er vom Augsburger Goldschmied Lukas Lang die kostbare „Kaiserampel" als Votivgeschenk an ULF anfertigen, die heute noch im Kirchenschiff hängt und mit 1,6 Millionen DM versichert ist.* ** 1680 besuchte Marco d'Aviano diese Wallfahrtskirche und hielt dort eine Andacht. Als dann Leopold vom l6. Juli bis 25. August 1683 seine Fluchtresidenz in Passau aufschlug und Marco d'Aviano über die Alpen zum christlichen Heere auf Bitten des Kaisers und im Auftrag des Papstes eilte, einte beide das Ver trauen auf „Maria Auxiliatrix Pataviensls". Es wird berichtet, daß der Kaiser täglich zu diesem ihm liebgewor denen Gnadenbild gepilgert ist, um dort die Hilfe Mariens zur Befreiung Wiens von den Türken zu erflehen." Dieses Mariahilfbild am Mariahilferberg ob Passau ist eine Kopie jenes berühmten und bekannten Bildes, das Lucas Cranach der Ältere (1474-1553) 1512, nach anderen 1537, in Wittenberg gemalt und mit seinem Signet(Drachen) versehen hat. 1661 erhält der Passauer Fürstbischof, Erzherzog Leopold V. von Österreich (geb. in Graz am 9. lÖ. 1586) anläßlich einer diplomatischen Mission am Hofzu Dresden es als Gastgeschenk und bringt es nach Passau. Hier läßt es sein Domdekan und Bistumsadministra tor Marquard Freiherr von Schwendi durch einen „Pictor pius" kopieren und stellt es, als sich auf einem außerhalb der Passauer Innenstadt gelegenen Hü gel wunderbare Lichterscheinungen ge zeigt haben sollen, dort 1622 in einer kleinen Kapelle zur Verehrung auf. Das rasche Aufblühen einer Wallfahrt zu diesem Bilde veranlaßte 1627 den Bau der heutigen Wallfahrtskirche und - bis 1737 - die Errichtung eines großen Hos pizes um dieselbe, das den Kapuzinern (ihr 1612 gestiftetes Kloster lag auf hal ber Höhe des später MARIAHILF-BERG genannten Hügels) zur Wallfahrtsseel sorge übertragen wird. Der Titel Maria hilf ist für das Gnadenbild erstmals 1631 belegbar. 22

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