Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Die französische Besatzungsmacht und die Mariahiifer Kirche P.Dr.Waldemar Posch Die Wiener Historische Kommission hat an die Bevölkerung die Bitte gerich tet. Dokumente usw. aus der Besat zungszeit 1945 bis 1955 zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich hat auch die Wiener Diözesangeschichte ihr Interesse für solches ihr zuständiges Material. Dr.F.L. Als es darum ging,für die französische Besatzungsmacht innerhalb ihrer Zone mit den Bezirken VI, XIV,XV und XVI eine geeignete Garnisonskirche ausfin dig zu machen, kamen zwei Gotteshäu ser zur engeren Wahl: die neugotische Laurentiuskirche in Wien XIV, Breiten see. und die barocke Mariahiifer Kirche im VI. Bezirk. In der Kirche zu Breiten see mußten schon deswegen französi sche Gottesdienste gehalten werden, weil in der dortigen Kaserne ein Groß teil der Besatzungsmacht stationiert war'. Trotzdem erhielt die Mariahiifer Kirche den Vorrang. Maßgebendl war ihre Lage zur Nähe der Inneren Stadt, die von einer interalliierten Komman dantur verwaltet wurde. Außerdem wies sie relativ geringe Kriegsschäden auf, die zudem noch vor Ankunft der Franzo sen von freiwilligen Helfern behoben wurden". Das einzige, das die Franzosen an dieser Kirche auszusetzen hatten, war ihr barocker Stil. Wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie die nicht allzu weit gelegene Lazaristenkirche bean sprucht. Diese erinnerte sie stark an die gotischen Kathedralen in Frankreich. Leider aber lag diese Kirche in der amerikanischen Zone. Während der Gottesdienste am 12. August 1945 wurde den-Gläubigen in der Mariahiifer Kirche bekanntgegeben,daß künftighin an den Sonntagen um 9 Uhr ein französischer Feldgeistlicher Gottes dienst mit französischer Predigt halten werde'. Am 15. August 1945 fand in Anwesenheit des französischen Generals du Payrat' der erste feierliche Gottes dienst statt. Der General äußerte den Wunsch und die Bitte, bei jeder heiligen Messe drei Bänke für die Stabsoffiziere und Mannschaften freizuhalten'. Die erste Begegnung mit den Franzo sen war von distanzierter Höflichkeit. Jede Fraternisierung war verboten. Als ich nach der Kriegsgefangenchaft 1946 nach Wien kam,waren die Gottesdienste der Franzosen an Sonn- und Feiertagen um 11 Uhr. Nach der 10-Uhr-Messe mußten unsere Gläubigen fluchtartig die Kirche verlassen. Dem verliehen die Franzosen noch dadurch Nachdruck, daß die Soldaten vom Kommuniongitter weg eine Schwarmlinie bildeten und säumige Gläubige aus der Kirche dräng ten. Waren höhere Militärs angesagt, so nahm zwischen Haydndenkmal und dem Eingang zur Mariahiifer Kirche eine Formation Aufstellung, Im Mittelschiff der Kirche stand dann bei jedem Pfeiler ein Soldat mit schußbereiter Maschinen pistole. Sein Blick war nicht auf den Hochaltar gerichtet, sondern ging über die Köpfe der Gläubigen in den Bänken hinweg zu seinem Kameraden, der in der gleichen Stellung sich bei dem ge genüberliegenden Pfeiler befand. An Sonn- und Feiertagen fanden an drei Orten französische Gottesdienste statt: im Hospital um 8.30 Uhr, in der Laurentiuskirche um 10 Uhr und in Ma riahilf um 11 Uhr. L'Aumonier Abbe R. de Pouzel gab für die drei Gottesdienststeilen einen einheitlichen Predigtplan heraus: „Plan des sermons les messes militaires"^ Unter dem Titel „La vie spirituelle" umfaßte er 20Themen über die grundlegenden Glaubenswahrheiten. Während des Gottesdienstes sang ein Chor - gebildet von Theologiestudenten aus den Reihen der französischen Solda ten - Choral. Dabei gehörte die „Missa de Angelis" zum festen Bestand ihres Repertoires. Volksgesang war nur selten zu hören. Die Hoffnung, die Pfarre könnte an Meßwein.Kerzen usw. aus den Lagerbe ständen der Franzosen einen Anteil er halten, erwies sich als trügerisch. Im Gegenteil: die Pfarre mußte aus eigenen Mitteln alles für die Franzosen be reitstellen. Auch das Klingelbeutelgeld während ihrer Messe blieb im Besitz der Franzosen. Dieser Zustand dauerte mehrere Jahre. Häutig nahm auch der französische Hochkommissär, General Bethouart, an den Gottesdiensten in der Mariahiifer Kirche teil. Der Pfarrgeistlichkeit stand er wohlwollend gegenüber. Nicht wenig trug dazu der damalige Pfarrverweser von Mariahilf, P. Camillus Mohr, bei. Er beherrschte sehr gut die französische Sprache und war außerdem ein kontakt freudiger Mensch. General Bethouart lud ihn wiederholt zum Essen ein. Dem Beispiel des Generals folgend nahmen auch die untergeordneten Organe der französischen Besatzungsmacht eine freundlichere Haltung uns gegenüber ein. An die Kirche wurden keine Forde rungen mehr gestellt. Auch vom Klin gelbeutel erhielten wir einen Anteil. Gegen Ende der Besatzungszeit entrich teten die Franzosen pro Sonntag ein Pauschale von ungefähr S 200,-. Da damals die Zeitschäden an der Mariahiifer Kirche größer waren als die des Krieges - das Grundwasser fraß sich immer höher ins Mauerwerk hinauf so mußte unbedingt mit der Restaurierung begonnen werden. Hofrat Fritz Weigl, Landesbaudirektor von Niederöster reich, erfand eine Methode zur Ent feuchtung, die zwar vom ästhetischen Standpunkt umstritten war, aber gute Erfolge zeitigte. Doch die Geldmittel konnten so gut wie nicht beschafft wer den. In dieser Notlage kam der Inhaber der Baufirma Franz Jakob, ein inniger Marienverehrer, der Pfarre zu Hilfe. Er erbot sich, die Kirche zu restaurieren. Die Pfarre sollte je nach Einnahmen die Baukosten ratenweise abtragen. Auch General Bethouart trug sein Scherflein bei - er übergab während eines Fest mahls P. Camillus Mohr S 5000,-. Es war gewiß nur ein Tropfen auf den heißen Stein, verschaffte aber den Franzosen ein großes Ansehen. Das ging sogar so weit, daß ein Kaplan einer Nachbar pfarre nach Abzug der Franzosen mir sein Bedauern ausdrückte, daß die In nenrestaurierung unter diesen Umstän den nicht mehr durchgeführt werden könne. Die Erstkommunionfeier der Franzo senkinder fand alljährlich unter großer Prachtentfaltung statt. Die Wiener konn ten die neueste Pariser Mode an Kin dern und Erwachsenen bewundern. Von den Trauungen,die in Mariahilfstattfan den, war die der Nichte Bethouarts ein gesellschaftliches Ereignis. Es nahmen daran Delegationen der Besatzungs mächte teil. Darunter wurde auch ein hoher sowjetischer Offizier in Uniform gesichtet. War die Ankunft der Franzosen in der Mariahiifer Kirche 1945 feierlich verkün det worden, so erfolgte ihr Abzug 1955 sang- und klanglos.Schon längst durften die Wiener bei den Messen der Franzo sen anwesend sein. Nach Unterzeich nung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 trat bald die Ferienordnung in bezug auf die Gottesdienste in Kraft. Als die Pfarrarbeit im September begann, traten die Franzosen nicht mehr in Erscheinung. Da aber während der Besatzungszeit in der Mariahiifer Kirche Taufen und Trauungen der Franzosen stattgefunden hatten, so kamen noch nach Jahren aus Frankreich Ansuchen um die Ausstel lung von Tauf- bzw. Trauscheinen. Weil jedoch die Eintragungen nicht in unse ren pfarrlichen Matriken, sondern in denen des französischen Militärpfarrers erfolgt waren, so sandten wir anfangs diese Ansuchen an das Ordinariat der Erzdiözese Paris. Erst später konnten wir die Zentralstelle für Matrikenfalle der französischen Besatzungszonen und Kolonialgebiete ausfindig machen. Die Adresse lautete damals: Archeveche de Paris/Marte-Jean Mossand/Service interdiocesain des immigres/30, rue Vaneau 75 - Paris(7j. Anmerkungen: ' Flugzetiel hrsg. von der französi schen Aumonierie, in: Pfarr-Gedenkbuch 1939-1955, S.58. Diese und die folgenden Angaben aus dem Pfarrarchiv Mariahilf. " Da Mariahilf relativ von Kriegsschä den verschont blieb, so suchten viele hier Zuflucht. Z.B. am II. April 1945 kamen aus der brennenden Innenstadt der Zeremoniär Dr. Jachym mit Herrn Dr. Hefel samt seiner kranken Frau und Familie. Die Familie blieb 14 Tage im Pfarrhof Mariahilf. Dr. Hefel wurde in dieser Zeit zum Unterstaatssekretär in die neugebildete Regierung berufen (ebenda S.39). Was die Schäden am Dach der Kirche betraf, so mußten nur 32 m" neu gedeckt werden (Verkünd buch 1930 1945, 13. Mai 1945). 14

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