Nachdem über 350 Jahre die zeitlichen Güter der Michaelerkirche vom Wiener Stadtrat verwaltet worden waren und dieser zugleich auch das Michaeler Ar chiv verwahrte, wurde ihm beides 1626 von Kaiser Ferdinand II. entzogen und alles den aus Italien kommenden Barnabiten geschenkt." Der Wiener Magistrat war über die Vorgangsweise des Kaisers empört. Er mißachtete den kaiserlichen Regierungs befehl zur Herausgabe der Urkunden vom 31. Juli 1631. Ebenso den 4. Februar 1660." Der Streit zog sich über ein Jahr hundert hin. Am 29. Oktober 1750 ent schloß sich der Magistrat, die bei der Wienerischen Stadt-Buchhalterei befind lichen Kirchenrechnungen der Jahre •1433 bis 1626 auszufolgen.® Um dem langwierigen Streit ein Ende zu bereiten, kam am 9. Juli 1753 auf grund eines bereits am 25.Jänner 1733 angestrebten Vergleiches ein halbwegs befriedigendes Übereinkommen zu stande.® Demnach gab der Magistrat die Erklärung ab, er habe wissentlich alle Schriftstücke extradiert, werde aber die Offizianten, die solche Schriften verwah ren, auffordern, den Manifestationseid zu leisten. Auf die Eidablegung wollten die Barnabiten aber nicht bestehen, be hielten sich aber das Recht vor, auch weiterhin nach fehlenden und zu St. Michael gehörigen Schriften zu suchen. Gerade um die Mitte des 18. Jahrhun derts wollten die Barnabiten endlich in den Besitz des gesamten Archivmate rials kommen und übten daher auf den Magistrat einen verstärkten Druck aus. Der Grund lag darin: 1710 hatten die Barnabiten einen Großteil ihres Kollegs in der Habsburgergasse errichtet, nun aber wollten sie den Bau in den Jahren 1749 bis 1758 vollenden.'" In diesem Neubau sollte auch ein repräsentatives Archiv eingerichtet werden. Es war da her eine Notwendigkeit, eine Übersicht über das anfallende Schriftmaterial zu bekommen,um dieses entsprechend ein ordnen zu können. Ein als Archiv geeigneter Raum ent stand im ersten Stock gegenüber dem Eingang zum ehemaligen Kaiserora torium mit dem Blick zum Hochaltar. Der große Vorraum zum Archiv diente einst als „Grundstube" und ist heute das Refektorium der kleinen Hausgemein schaft der Salvatorianer. An der Stirn seite desselben ist hinter einer Tapeten tür eine schmiedeeiserne Tür zum eigent lichen Archiv. Sie wurde 1756 vom Schlossermeister Bernhard Köhler ange fertigt." Der in der Grundfläche rechteckige Archivraum ist etwa 24 m- groß und 4,10 m hoch. Er ist nur mit einem Fen- .ster versehen, das mit schmiedeeisernen Läden verschlossen werden kann. Den Wänden entlang reihen sich die Posta mente mit insgesamt 22 Fächern. Dar über erheben sich die Schränke mit ihren 213 Laden. Die Urkunden, Akte, Rochnungsbücher usw. umfassen 2872 Nummern, wobei die in den Faszikeln enthaltenen Schriftstücke in die Tau sende gehen. Das Archivmaterial ist in XVII Abteilungen eingeteilt. Anstelle des z.T. langatmigen lateini schen Textes der Inschriften oberhalb der einzelnen Abteilungen soll kurz deren Inhalt angegeben werden: I. Präsentations- und Installationsdokumente; II. Pfarr. und Bruderschaftsakte; III. Verpflichtungen der Pfarre den Stiften gegenüber; Grund- und Bergrechte in Merckensbiehl und Hangenden Lüssen; V. Stiftbriefe bis 1626; VI. Unierte Stif tungen von 1567; VII. Grundrechte und Dorfobrigkeit in Währing; VIII. Grundund Bergrechte in Perchtoldsdorf und Strebersdorf; IX. Schriften, die Barnabitenhäuser innerhalb und außerhalb der Stadt betreffend; X. Bona Immobilia (Weingärten, Wälder etc.); XI. Aktiv schulden; XII. Erbschaften und Legate von den Barnabiten und anderen; XIII. Passivschulden, Obligationen etc; XIV. Rechnungsbelege 1781-1832, Kontrakte etc.; XV. Ordentliche Ausgaben; XVI. Akte der Kollegskanzlei; XVII. Verrech nungen der Barnabiten mit ihren Kolle gien. Der Archivraum vermittelt einen ästhetisch gelungenen Eindruck. Die Außenseite der Postamente und Schränke ist von braungetöntem Har tholz, die übrigen Teile sind von Weich holz. Die teils lateinischen, teils deut schen Aufschriften mit der Orthographie der Mitte des 18. Jahrhunderts sind in schwarzer Farbe gehalten. Die Schränke sind bekrönt mit einem reichgeschnitz ten Gesprenge. Dieses wird - mit Aus nahme der Fensterseite - durch drei ovale Ölbilder eines unbekannten Mei sters unterteilt. Das Portrait dem Ein gang gegenüber zeigt Kardinal Melchior Klesl, während dessen Amtszeit die Bar nabiten 1625/26 nach Wien gekommen waren. Das Bild dem Fenster gegenüber stellt den hl. Paulus als Patron der Barnabiten dar. Über der Eingangstür ist das Ölgemälde mit der Darstellung Kaiser Ferdinands II., der die Barnabi ten in seine Lande berufen hatte. Der Fußboden ist mit Kehlheimer Platten belegt. Von der ursprünglichen Einrich tung sind ein ovaler Tisch, die Tragstu fen und die Leiter erhalten geblieben. Die Raumgestaltung und die Anordnung der einzelnen Abteilungen wird dem Barnabitenfrater Karl Popp zugeschrie ben.'- Die bis zum Jahre 1626 im Wiener Stadtarchiv eingelaufenen Schriftstücke, die Bezug auf St. Michael hatten, be trachteten die Barnabiten zufolge der kaiserlichen Schenkungsurkunde als ihr Ordenseigentum. Besonders auf wirt schaftlichem Gebiet verschwinden ab 1626 die Trennungslinien zwischen Pfarre und Kolleg in bezog auf die bona immobilia wie Weingärten, Wiesen und Wälder. Die vom Wiener Stadtrat extradierten Schriftstücke nebst den neu hinzugekommenen bildeten das „Archiv des Barnabiten-Collegiums in Wien.'"" Diese Bezeichnung beschränkt sich aber nur auf jene Schriftstücke, die in dem von Karl Popp geschaffenen Archiv raum Platz fanden. Hauptsächlich nach dem zweiten Viertel des 19. Jahrhun derts wurden Kirchen- und Kollegsrech nungen,sowie Personalakte und Schrift stücke des Provinzialates in anderen Räumen aufbewahrt. Infolge der Auflö sung der österreichischen Barnabitenprovinz und der unübersichtlichen Ver hältnisse nach dem Ersten Weltkrieg gerieten diese Archivalien in Unordnung und harren ihrer Sichtung. Als 1923 die Salvatorianer an die Stelle der Barnabiten traten, erhielt das alte Barnabitenarchiv die Bezeichnung: „Salvatorianer - Ordensarchiv, Habs burgergasse 12."'^ Nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland entdeckten die Behörden, daß nach Weggang der Barnabiten aus Österreich ihr Archiv eigentlich ein ab geschlossenes sei." Archive dieser Art sollten in ein in Berlin neu zu errichten des Zentralarchiv verbracht werden. Zunächst wurde dem Wiener Stadtar chiv am 13. April 1940'" das Repertorium 1759 zur Einsichtnahme übergeben. Die ses Nachschlagwerk über die in St. Michael aufbewahrten Urkunden ver blieb dort bis nach dem Ende des Zwei ten Weltkriegs. Es wurde zwar wieder zurückgestellt, aber vom Wiener Stadt archiv erneut ausgeborgt, blieb es seit her unauffindbar. Notgedrungen begann man ab 1979/80 mit der Wiedererrichtung eines Nach schlagewerkes. Die Sichtung des Ar chivbestandes ergab, daß viele mittelal terliche Urkunden, die als verschollen galten", wieder aufgefunden wurden. Zahlreiche Schriftstücke - besonders des 19. Jahrhunderts - waren noch nicht eingeordnet worden. Sie konnten im Repertorium 1984 erfaßt werden. Außer dem wurde zu diesem Nachschlagewerk eine Kartei angefertigt. Da sowohl die Barnabiten als auch die Salvatorianer ihre Niederlassungen als ,.Kollegien" bezeichnen, so erhielt die obgenannte Urkundensammlung den Namen „Michaeler Kollegsarchiv (Abk. MIKA)." Anmerkungen ' Dieser Brand wird erwähnt in der Continuatio Vindob. ed. Pertz in Mon. Germ. SS IX., S.707, zitiert bei A. Kieslinger. Der Bau von St. Michael und seine Geschichte, in: Jb. d. Vereins für Geschichte d. Stadt Wien, Bd. 10. (1952/53), S 43. In der Continuatio wird St. Michael als Pfarrkirche bezeichnet. ^ Kirchen- und Pfarr Protocoll der Kays. St. Michaels Hof-Pfarr Kirchen... 1. Teil, Wien 1775, S. 5. Michaeler Kol legsarchiv (Abk. MiKA), II. Abteilung, Postament, Fach 23 oben, Nr. 13 (Abk. II-P.23 o. 13). ® Ebenda S. 5, " O. Mitis, Studien zum älteren österr. Urkundenwesen, Wien 1912. Die Ur kunde ist zwar eine Fälschung bezüglich der Besoldung des Pfarrers von St. Michael, damit soll aber nicht das Stiftungsjahr 1221 für die Michaelerkirche in Frage gestellt werden. " MiKA,VII.67. 1. " W.Posch, Die österr. Barnabitenprovinz - ein Überblick, in: Beitr. z. Wr. Diözesangeschichte, 14. Jg., Nr. 1, 1974, S.4f. 'MiKA,II. 7. 1-8.
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