Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

NS.: Laut Wiener Diözesanblatt vom 21. Dezember 1933, Nr. 12,S.223,erfolgte der Beschluß der österreichischen Bi schofskonferenz bezüglich der politi schen Betätigung des Klerus. „Nach reiflicher Überlegung,ob esgün stig oder ungünstig sei, daß katholische Geistliche unter den gegenwärtig besonders heiklen politischen Verhältnissen als politische Mandatare weiter sich betäti gen, hat die Bischofskonferenz den Be schluß gefaßt, die für die Ausübung des Mandates erforderliche bischöfliche Zu stimmung in sinngemäßer Durchführung des can. 139,§4, vorübergehend und all gemein zurückzunehmen.Jene hochwür digen Herren, welche als Nationalräte, Bundesräte, Landtagsabgeordnete oder Landesräte oder Gemeinderats- oder Ge meindeausschußmitglieder politische Mandate innehaben,werden hiemit aufge fordert,ihre Mandate bis zum 15. Dezem ber niederzulegen.Das gleiche gilt vonje derführenden politischen Stellung.Geist liche, die sich sonst politisch betätigen wollen, bedürfen der besonderen Erlaub nis ihres zuständigen Ordinarius. Wien,am 30. November 1933. Kardinal Piffi-Bürgermeister Lueger Prof. Chr. Chiusole t» Linz Wie soll sich da eine Parallele ergeben: zwischen einem Bürgermeister der k. k. Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien, , der vor22Jahren seine Augen schloß,und dem Kardinal der heiligen, römischen Kirche,der in diesen Tagen von unsging? Kardinal und Bürgermeister? In zwei Worten liegt diese Parallele, und zwar in dieser Worte echtestem Sinn: Volksbi schof und Volksbürgermeister.- Aber ist die so grundverschiedene Herkunft bei der nichtdoch ein Hinderniseiner wahren Ähnlichkeit? Lueger, ein gebürtiger Wie ner, und Kardinal PiffI aus Landskron in Böhmen! Wer hätte wohl geglaubt, daß Kardinal Piffl kein Wiener sei? Hätte man die Leute raten lassen, sie alle hätten ge sagt:Dasistein Wiener,ein echter Wiener, ein Wiener mit seinem goldenen Wiener Herzen. In der Tat: er war ein Wiener mit dem urwienerischen Lebensgrundsatz des unvergeßlichen Lueger: „Mach' ma ihm die Freud'!" Ja,das hatder selige Kardinal reichlich getan, wo es eine Freude zu machen gab, dortwarerselbstverständlich,ohne vieles Bitten,„dabei". Und weü es halt so viele Freuden zu machen gibt, so war er auch überall, auch wenn es über seine Kräfte ging. Schon seit langem konnte man es mit einem gewissen Bangen verfolgen: Kaum ein Tag verging,an dem der Kardi nal nicht in irgendeinem Wiener Bezirk oder anderwärts ,,dabei" war, bis zum Vorabend jenes Unglückstages. Und überall sprach er mit seiner volltönenden Stimme und immer sprach er so ver ständnisvoll,so väterlich besorgt,so über zeugend, so praktisch! Bald war es eine Weihe,bald eine Versammlung,bald eine Volksandacht, dann wieder ein Verein, eine Aufführung,bald war er bei den Kin dern, dann bei den Arbeitern, bei den Hausgehilfinnen, bei den Gesellen, in ei ner Kongregation, ohne jede Schonung, und überall war seine Anwesenheit der Glanzpunkt desGanzen.Und doch ginger ni<jht hin,um sichehren,sich feiernzu las sen,sondern nur,um unter den Seinen zu sein. Wer denkt da nicht an Lueger,der es sich trotz Uberfälle von Arbeit und man gelnder Gesundheit nicht nehmen ließ, beijeder„Goldenen"den glücksstrahlen den „Alten"dasGeschenk der Stadt Wien persönlich zu überreichen, natürlich je desmal miteiner von Herzen kommenden und zu Herzen gehenden, launigen An sprache. Ja, beide waren so echt wiene risch und das letzte, noch mit vollem Be wußtseingesprochene WortdesKardinals klang so ganz wienerisch: „Herr Hofrat, ich glaube, es war ein Schlagerl." Kardinal Piffl und der große Wiener Bürgermeister fülilten sich zusammenge hörig mitallen undjeden,und keiner ließ auch nur das geringste Bewußtsein der natürlichen Distanzaufkommen.Beidem Kardinalgabes keine Herablassung;denn sofort fühlte man sich hinaufgezogen, emporgehoben zu Uim. Von diesem einzi gen Verhältnis zum Volke lieferte Kardi nal Piffl noch am vorletzten Sonntag sei nes Lebens einen rührenden Beweis. Nachdem er im Arbeiterbezirk Favoriten ein Jugendheim eingeweiht hatte, wurde er,alser durch die dichtgedrängte Menge schritt, von allen Seiten stürmisch be grüßt. Unter den Leuten war auch eine Mutter miteinem kleinen Buben aufdem Arm,derganzbesonderslautin dieBegei sterungsrunde einstimmte.Der Kardinal, dem der laut rufende Kleine auffiel, drückteihmim Vorbeigehen dieHand.Im selben Augenblick schlang der Kleine seine Arme um den Hals des Kardinals und küßte ihn herzhaft auf die Wange. Nun nahm der KirchenfürstdasKind und gab ihm unter dem Jubel aller einen Kuß auf den Mund. Wem fallen da nicht ver schiedene Szenen aus dem Leben Luegers, des vielfachen Firmgöden, ein, wie z. B.jene,da der Bürgermeister einst mit einigen Freunden in einem Vorstadtgast hauszusammenkam und an einem Tische Platz nahm,wo ein ehrsamer Maurereben sein KrügelBier trank.Sobald aber dieser den berühmten Bürgermeister erkannte, verließ ersofortausScheu den Platz.Lue ger ließ dies nichtzu,fragte ihn,wer ersei, und sagte dann: „Sehn S', Sö san a Mau rermaster und i bin a Burgermaster. Also g'hörn ma z'samm." Und der Maurer mußte sitzenbleiben. Als Lueger vom Kaiser zum Geheimen Rat, also zur Exzellenz, ernannt worden war, nahmen viele seiner aufrichtigen Verehrer diese Ehrung nicht einmal mit ungeteilter Freude auf; man fürchtete, es könnte seine beispiellose Popularität in der Folge leiden.Wer aber das meinte,der kannte den Lueger nicht. Die Exzellenz stieg ihm nicht zu Kopf und der Exzellenz-Lueger war genau derselbe wie der Lueger ohne Exzellenz und jetzt freute man sich erst recht darüber.- Als Piffl Eminenzgeworden war,änderte das bloß seine äußere Tracht, die er aber auch, wenn sich nur Gelegenheit bot, gern ab legte,so daß er wiederholtfür einen einfa chen Landpfarrer gehalten wurde. Seine Einfachheit und Demut allein war schon eine Seelsorgegrößten Stils,wenn erauch sonst nichts gewirkt hätte. Und er hat viel gewirkt,dieser weitherzige Förderer alles Guten und Edlen. Als Lueger Bürgermeister geworden war,da kam Leben in die Stadt.In unun terbrochener Fülle entstanden Schöpfun gen von größter Bedeutung und die Stadt Wien hob sich in ungeahnter Weise in jeder Beziehung. Wie war das Wien, das Lueger hinterließ, gegen jenes, das er übernommen hatte! Und es hub alsbald an ein Grünen und Blühen,daß es eine Freude war, Wien wurde eine Lichtund Gartenstadt und in dem steinernen Häusermeer der Millionenstadt entstan den viele entzückende Oasen,eine Wonne für Aug' und Lunge.- Als Kardinal Piffl das Steuerruder der gewaltigen Wiener Diözese übernommen hatte, da gab es auch alsbald ein Sprossen und Grünen und Blühen. Es herrschte Leben; aber nicht etwa in großen, prunkvollen Mani festationen, deren praktische Erfolge oft nicht im Verhältnis stehen zu ihrer Auf machung,sondern es begann große und kleine und stille Arbeitaufallen Gebieten, besonders auf sozialem. Nichts blieb un beachtet, nichts blieb brach liegen und der Kardinalfreute sich,in seinem Klerus und in den Laien tüchtige Mitarbeiter zu haben und förderte ihre Pläne und Arbei ten in jeder Weise mit seiner kraftvollen Begeisterung. Gern ließ er sich belehren von wem immer,und wenn er einen vom Fach vor sich hatte, der ihn befragte, er widerte er: „Das müssen Sie besser wis sen." Darum arbeitete jeder mit Freude, weil man wußte,daß die Arbeit geschätzt und gefördert wurde. Ja, es begann ein Sprossen und Grünen in der Diözese,und vielleicht die schönste Frucht dieses herr lichen Gartens ist das Wiener Kirchen blatt, diese Großmacht. Lueger und Piffl, den sozialen Bürger meister und den sozialen Bischof, ver band die Gleichheit ihrer Grundsätze.Das Leitmotiv Luegers, „Mach" ma ihm die Freud'", war auch das des verewigten Kardinals, und das Motto des Kirchenfür sten,„Nicht meiner Ehre,sondern der Ar beit seien meine Kräfte geweiht", hat Lueger in großartiger Weise wahr ge macht. Lueger und Piffl: beide trugen eine Ket te; der eine die goldene Prachtkette des Oberhauptes der Stadt Wien, der andere die Bischofskette mit dem Kreuz-beide so würdevollund doch so tief bescheiden! Beide innerlich jedem Prunke so abhold! Aber wie konnte der gemütliche Lueger als Herr der Weltstadt Wien und des prachtvollen Rathauses repräsentieren! Bei den unvergeßlichen Festversamm lungen der großen Katholikentage und den darauffolgenden feierlichen Empfän gen der Stadt Wien im glanzvollen Festsaaides Rathauses!Da fühlte man es:Das ist wer! Und dabei sprach der Hausherr des gothischen Rathauspalastes so lieb und humorvoll, so herzlich und wiene risch und man stand dennoch im Banne dieses großen Repräsentanten. Er wollte 43

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