Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

den Luftdruck krepierender Granaten ein Teildeskunstvollen Gesprengesüber den Barockschränken der oberen Sakristei zerstört worden. Matzke schnitzte mit wahrer Meisterschaft die verlorengegan genen Ranken nach.Bald daraufbot sich erneut Gelegenheit, sein Können unter Beweiszu stellen.Da kam einesTagesein Telefonanruf: „Ich habe in der Pfarre nicht das erhalten, was ich haben wollte. Daher hab'ich dem Herrgott im Stiegen haus einen Finger ausgerissen." Tatsäch lich hatte der unbekannte Anrufer zwar nicht dem „Herrgott",wohl aber der Sta tue des hl. Apostels Paulus den Zeigefin ger abgebrochen und mitgenommen.Da es sich bei diesem Standbild um ein Mei sterwerk von J.G. Dorfmeistor aus dem Jahre 1772 handelte,so wollte ich die Er gänzung desFingerseinem fachkundigen Restaurator übertragen. Matzke erklärte mir, das wäre nicht nötig, er könne das selbst besorgen. Nun erst kam mir der Verdacht auf,daß dieser Matzke doch ein wenig mehr sein müsse als ein gewöhnli cher Bildhauer. Ich forschte nun in den damaligen kunstgeschichtlichen Neuer scheinungen nach, ob vielleicht einmal der Name Matzke aufscheinen würde.Da fand ich unter den von Wotrubageprägten Künstlern neben Joannis Avramidis,Otto Eder,JosefPillhofer auch unseren Alfred Matzke*. Nun war ein Ansatz gegeben,ein wenig in die Gedankenwelt Alfred Matzkes ein zudringen. Er erzählte von seinen Stu dienreisen nach Ägypten und Paris. Im Louvre hatten die Werke der babyloni schen Kunst nachhaltig auf ihn gewirkt. Vorausgesetzt, daß es dem Menschen überhaupt möglich sei, das Göttliche zei chenhaft und ehrfurchtsgebietend darzu stellen, dann sei dies in der ägyptischen und babylonischen Kunst geschehen. „Matzkes Schaffen lagja die Idee zugrun de, der Künstler habe die Aufgabe, die Wirklichkeil mit seinen Mitteln zu erhel len und transparent zu machen; und im Leben,so glaubte er damals,könne diese Erhellung durch die Astrologie erfolgen. Nach ihrer Verwerfung betrieb er astro nomische Studien."® Sei es, daß Matzke erkannte, mit un tauglichen Mitteln dieses Ziel angestrebt zu haben,oder,daß esihm als ungeheuer liche Anmaßung erschien, das Göttliche oder das Ebenbild Gottes,den Menschen in die tote Materie zu bannen, dieser in nere Konflikt stürzte ihn in eine schwere seelische Krise. Warnend klangenihm die Worte ausExodus20,4 in den Ohren:„Du ■sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde." Matzke be gann gegen sein Werk zu wüten und zer störte die Arbeit langer Jahre. Mit willensstarker Entschlossenheit entsagte er nun der Darstellung menschli cher Figuren. Ein namenloses Opfer für einen Menschen, der mit Leib und Seele Bildhauer war. Er widmete sich der Gra phik mit den Themen Landschaft und Ar chitektur. Hier glaubte er am wenigsten von religiösen Bedenken behindert zu werden. Seine Zeichnungen und Aqua relle waren keine naturgetreue Wiederga ben, sondern der Verdacht, die Schwere der Materie zu überwinden. Er ging von dem Grundsatz aus: „Im Atem der künst lerischen Freiheit muß, bei Vorausset zung einer höheren Ordnung, die Schwere aller Materie überwunden werden."' Bei der Zeichnung der Mariahilfer Kirche kam dies so zum Ausdruck: Bei Wahrung aller Maßverhältnisse des Gotteshauses wurden mit wenigen Strichen nur die notwendigsten und charakteristischen Merkmale der Kirche skizziert - zwischen ihnen aber lag eine leere Fläche. Eines Tages brachte mir Matzke freude strahlend die Nachricht, er dürfe wieder Bildwerke mit menschlichem Antlitz ge stalten. Er habe nochmals zum Buch Exo dus gegriffen, und da sei er auf die Stelle 25,18 f. gestoßen, wo Gott dem Mose aus drücklich den Befehl gibt, zur Aus schmückung der Bundeslade Bildwerke zu gestalten; „Mach zwei Kerubim aus ge triebenem Gold, und arbeite sie an den beiden Enden der Deckplatte heraus. Mach je einen Kerub an dem einen und dem anderen Ende. .. Die Kerubim sol len . .. ihre Gesichter einander zuwenden; der Deckplatte sollen die Gesichter und Kerubim zugewandt sein". Von nun an fühlte sich Matzke von einem schweren Druck befreit. Matzke war der Uberzeugung, in jedem Menschen schlummere die Sehnsucht nach Befreiung von allem Niederdrükkenden. Er suchte nach dem Ausdruck dieser Sehnsucht im „Antlitz des Men schen. .. durch alle Kulturepochen der Menschheit bis zu ihrer Erfüllung in Chri stus, dem Urbild der Erlösten."® Es drängte ihn, den Mitmenschen weg von seinen Nöten und hin zu Christus zu füh ren. In diesem Sinn hielt er mit wahrem missionarischem Eifer Tonbildvorträge über das Antlitz des Menschen. Hatte sich doch in seinem eigenen Antlitz ein Wandel vollzogen: aus einem düster und traurig dreinblickenden Menschen wurde ein froher Christ, der „sich nunmehr mit gro ßer Hingabe der katholischen Religion zuwandte."" Rein äußerlich zeigte sich dies auch dadurch, daß er sich nicht scheute, seine Verbundenheit mit der Re ligion auch nach außen hin zu bezeugen: der mit dem Staatspreis ausgezeichnete Künstler ging als Begleitperson der Sternsingerbuben, war Himmelträger am Fronleichnamstag und war stets zur Stel le, wenn die Pfarre ihn brauchte. Aber noch mehr. Matzke litt sichtlich darunter, daß so viele Menschen blind lings in ihr Verderben rannten. Er suchte Jugendliche, die noch halbwegs für das Gute ansprechbar waren, bei ihren Treff punkten auf. So wurde er beobachtet, wie er vor Nachtlokalen, die allzu aufdringlich Striptease anpriesen, stand und junge Leute, die sich dort vergnügen wollten, in ein Gespräch verwickelte, um sie von ih rem Vorhaben abzubringen. Sein tiefes religiöses Empfinden kam auch in seinen neueren Werken zum Aus druck. Im Steinbruch von Lindabrunn im Triestingtal fertigte er eine Madonna mit dem Kind als Halbrelief für die dortige Dorfkirche an." '"Obwohl es ein modernes Kunstwerk war, kam es dem schlichten Empfinden des gläubigen Volkes entge gen. Es spürte ,Jene unerklärbare Aus strahlung echter Herzensgüte, die nur aus der marianischen Hallung des Künstlers zu deuten ist."" Auf Grund des Motu-proprio-Erlasses ..Sacrum diaconatum ordinem" durch Paul VI. vom 18. Juni 1967 errichtete Kar dinal König am 1. März 1969 dieDiözesankommission für das ständige Diakonat" " Matzke, der um diese Zeit den Ehebund mit einer Religionslehrerin geschlossen .halte, griff diese Möglichkeit einer enge ren Bindung an die Kirche mit Feuereifer auf. Hatte er vorher schon als Laienapo stel gewirkt, so wollte er als „werdender Diakon unermüdlich... an der WiederhersteUung einer heilen Welt"" wirken. 1969 wurde ihm von privater Seite der Auftrag erteilt, an Stelle der durch einen Russenpanzer beschädigten Mariensäule auf der Marienhöhe im Viergemeindeeck von Maria Enzerdorf. Gießhübl. Mödling, Hinterbrühl eine neue Immaculata-Statue zu schaffen. Im Februar dieses Jahres ging er in dem Steinbruch von Lindaibrunn ans Werk. Am 17. Juni sollte er die Statue vom Steinbruch abholen . . . Da ge schah das Unfaßbare: wenige Kilometer vordem Ziel, knapp vor Hirlenberg, über schlug sich zweimal sein Kleinwagen und schleuderte den Bildhauer auf das Stra ßenpflaster. Wenige Stunden später erlag Alfred Matzke seinen schweren Kopfver letzungen im Badener Krankenhaus'*. Alfred Matzkes tragischer Tod ließ viele Fragen offen.. . Was hätte er für die christ liche Kunst Österreichs noch alles bedeu ten können? Wieviel Trost hätte er nach seinen eigenen Leidenserfahrungen an deren Leidgeprüften schenken können? - Darauf gibt es nur schwer eine Antwort. Aber doch die innere Genugtuung: inmit ten seiner religiösen Hochstimmung - kompromißlos gewillt, Gott und dem Volke Gottes als ständiger Diakon zu die nen - wurde dieser außergewöhnliche Mensch in die ewige Heimat abberufen. Anmerkungen: ' Fritz Wotruba, Vorwort zur Gedenkschrift: Alfred Matzke. Galerie Würthle, Wien 1970 (Abk. AMW), S. 1. ' AMW, S. 8. ' Gedenkstein eines Künstlerschicksals, in: Neue Illustrierte Wochenschau, Nr. 51, 21. Dezember 1969, S. 3. * AMW, S. 1. * Kristian Sotriffer, Malerei und Plastik in Österreich von Makart bis Wotruba, Wien 1963, S. 90. ® Heimo Kuchling. Erinnerungen an Al fred Matzke, in; AMW, S. 4. ' Hedwig Matzke: Das Maß des Herzens. Der innere Weg Alfred Johann Matzkes, in: AMW, S. 7. ® Hedwig Matzke, ebenda. ' Heimo Kuchling. in: AMW, S. 4. Gedenkstein eines Künstlerschick sals. . . zit. Anm. 3. " Ebenda. WDBl, Nr. 3, 107. Jg.. 1969, S. 36. " Hedwig Matzke, in: AMW. S. 7. '* Gedenkstein eines Künstlerschick sals. . . zitiert Anm. 3. Prälat Dr. Erwin Hesse weihte einige Zeit später unter gro ßer Anteilnahme der Bevölkerung und der Freunde Matzkes die Statue auf der Marienhöhe ein. 35

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