Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Der Portalvorbau der Michaeierkirche in Wien P. Waldemar Posch „Vielleicht schon in diesem Sommer wird die Renovierung des Portalvcrbaus der Michaeierkirche in Angriff genom men. Dieses Bauwerk hat an dem widri gen Geschick zu tragen,daß die geplante Barockfassade, für die es eigentlich er richtet wurde,keine Verwirklichung fand und auch zur späteren klassizistischen Fassade kein besonders gutes Verhältnis fand. Immerhin hütete der Portalvorbau durch fast zwei Jahrhunderte, ein Ge heimnis, von dem in diesem Artikel be richtet werden soll." (Begleitschreiben vom 15. März 1874). Das bröckelnde Quaderwerk der spät romanischen Westfassade der Michaelerkirche nahm sich armselig aus gegen das um 1710 errichtete „Große Michaelerhaus".' Daher gab der Propst bei St. Mi chael, P. D. Edmund Matheser, dem im Bauwesen erfahrenen Novizen Fr. Karl Popp 1723 den Auftrag,eine ,,Zeichnung zur Zierung des Frontispicii der Set. Mi chaels Kirchen zu Wienn"zu entwerfen.^ Die gezeichnete Fassade wurde nach dem Urteil der Zeitgenossen als überaus ele gant(elegantissima facciata)2empfunden. Nur wollte der kaiserliche Theateringe nieur Antonio Beduzzi dazu ein besseres Vorhaus. Es gelang ihm, den Propst zu überreden,an Stelle des vonPopp geplan ten Vorhauses ein solches, das von ihm entworfen worden war,zu setzen.Er über trug den Bau aber nicht einfachen Hand werkern,wiePoppesgetan hätte,sondern teuren Hofkünstlern wie z. B. Lorenzo Mattielli. Popp hatte sich für die Westfas sade 1000 Reichstaler vom Kolleg erbeten, Beduzzi aber benötigte allein für das Vor haus 1500 fl.Daaußerdem 1724das Kolleg den enormen Schuldenstand von 176.000 fl. aufwies, so war an einen Aus bau der geplanten Barockfassade nichtzu denken.Im übrigen war der Spendenein gang nach den Aufzeichnungen des Pro kurators P. D. Heinrich Sicka „über das Erbauende Vor-Häusl bey der grossen Kirchen Thirr" nicht gerade überwältigend.9 Diesen Eintragungen zufolge dürf ten für das Fundament des Vorhauses Weinhauser Stein verwendetworden sein, da „dem Hannß Aigner zu Weinhaus Vor gebrochenen Stain in daßigen Stainbruch" 30 fl. gezahlt wurden.2 Nach den baustofflichen Untersuchungen von Kieslinger* wurden für den Vorbau Margarethner Kalksandstein und für die Figu ren Zogelsdorfer Stein verwendet. Bis 1792 blieb Beduzzis tempelartiges Vorhaus mit Mattiellis Engelfiguren ein Fremdling vor der altersgrauen, spätro manischen Westfassade, die hier seit Jahrhunderten Heimatrecht besaß. Aber auch nach Errichtung der klassizistischen Fassade will keine rechte Harmonie auf kommen. Dem Vorbau scheint es be stimmt zu sein, ein künstlerisches Eigen dasein zu führen.Und niemand bestreitet ihm seine Vorzüge. Der Erzengel Michael kommt schwebend zur Erde hernieder und scheint die Gesetze der Statik über wunden zu haben. Das Vorbild dieser Darstellung ist ja auch nicht aufdem Ge biet der Plastik zu suchen,sondern ist in dem der Malerei zu finden:dem Altarbild St. Michael, das Job, Michael Rottmayr 1723 für die Stiftskirche in Melk gemalt hat.^ Als 1781 der neue Hochaltar in St Mi chael errichtet wurde,nahm man die Ge legenheit wahr, die dort beschäftigten Künstler und Handwerker für die Reno vierung des Portalvorbaus zu gewinnen.® Der akademische Bildhauer Martin Fi scher, der für den Hochaltar die vier sit zenden Evangelisten geschaffen hatte,er hieltam 6.November 1781fürden Steinzu einem neuen Engelsflügel und für die Ar beiter,die er zur Verfügung gestellt hatte, 20 fl.DerHof- und bürgerl.Steinmetzmei ster,der die Marmorarbeiten an der Mensa und dem Tabernakel übernommen hatte, verwendete für den Portalvorbau Margarethner Stein zur Ausbesserung zwischen dem Gesims und den vorderen Säulen. Ferner verkittete er mit ölkitt die Verzie rungen und alle Engelfiguren. Vier Steinmetzgesellen arbeiteten dreieinhalb Tage am Vorhaus. Die Kosten betrugen 89 fl. Die größten Ausgaben verursachten die Arbeiten des AnstreichermeistersPhi lipp Stooß: 200 fl.Der Stein wurde mit öl getränkt, grundiert und sowohl dieser als auch das Dach mit Steinfarbe angestri chen. Die Türen wurden gefirnißt. DieTüren scheinen damals einer gründ lichen Reparatur oder gar Erneuerung un terzogen worden zu sein. Der Schlosser meister Jacob Krach entfernte von den Türen die Beschläge und fertigte einen neuen Schubriegel, zehn Schließkolben, zwei Drücker,ein Schloß fürdasHaupttor und zwei Gatter für die Oberlichter an.Er verlangte dafür81 fl., mußte sich aber mit 48fl. zufriedengeben.Dagegen erhielt der namentlich nicht genannte Tischlermei ster 150 fl. Die Gesamtkosten der Reno vierung des Vorbaues betrugen 507 fl. Im Zweiten Weltkrieg wurden erst 1943 Sicherungsmaßnahmen für die Michaels gruppe-einem wichtigen Zeugen des ita lienischen Barock aufWiener Boden-getroffen.9 Dabei wurden die Figuren arg beschädigt. Die zerlegten Plastiken verla gerte man nach dem Schloß Thürnthal, wo sie bis 1948 verblieben.Man dachte sie durch Kopien zu ersetzen, dies scheiterte aber an den hohen Kosten.Nachdem sich die Pfarre bereit erklärt hatte, die Kosten für die Renovierung des Vorhauses zu übernehmen, bewilligte der Bund 20.000 Schilling für Mattiellis St.-MichaelsGruppe. Im Sommer 1951 nahmen die Engel wieder ihren alten Platz über dem Portalvorbau ein. Ein damals, bei der Aufstellung der En gel in Umlaufgesetztes Gerüchtführte zu einem sensationellen Fund. Nach dem Tod des akademischen Bildhauers Hans Schwathe-von ihm stammt u.a. die Ma donna auf der Marienbrücke, das Grab denkmal Kai'dinal Gruschas, das Relief des ehemaligen Provinzials der SalvatorianerP.Theophilus Muth in der Vorhalle der Kii-che zu Kaisermühlen usw.-am 27. November 1950'" verbreitete sich die Fama,er habe aufdem Sterbebett ein für die Michaeierkirche bedeutsames Ge ständnis gemacht. Bei Aufstellung des Marienaltars in der Turmkapelle sei er auf einen Hohlraum gestoßen, in dem sich Männer mit nach aufwärts gerichteten Spruchbändern in den Händen befunden haben sollen. Aus Furcht, die Arbeiten könnten unterbrochen oder gar einge stellt werden, habe er damals diese Ent deckung verheimlicht. Ein Journalist er fuhr von dieser fragwürdigen Geschichte und veröffentlichte diese in einer Wiener Tageszeitung unter dem Titel „Geheim nisse um die Michaeierkirche"." Die Witwe des Verstorbenen - eine Englän derin - fühlte durch diesen Artikel die Ehre ihres Mannes angegriffen und ver langte eine Berichtigung, deren Text für die Zeitung sieselbst verfaßte und die den Wortlaut hatte: „Der akademische Bild hauer Hans Schwathe hat bei Errichtung der Lourdesgrotte in der Michaelerkirche am 18.Juni 1936 ein Fresko entdeckt und seinen Fund ordnungsgemäß gemeldet. Nichtaufdem Sterbebett,sondernandert halb Jahre vor seinem Tod hat Schwathe aufdie Wendeltreppe,die er gefunden ha ben will,aufmerksam gemacht." Jedoch auf Wunsch der Witwe wurde diese Be richtigung wieder zurückgenommen. Diese Berichtigung aber hatte den Er folg, daß nun statt einesHohlraumes eine verborgene Wendeltreppe gesucht wurde. Es war schon längst bekannt,daß von der Orgelempore im nördlichen Teil der Westwand eine Wendeltreppe aufwärts führte:Schwathes Arbeitsplatzaber lag in der an das südliche Seitenschiff sich an schließenden Turmkapelle. Wenn also Schwathesich nichtgetäuschthatte,dann mußte seine Wendeltreppe in diesem Be reich liegen. Trotz eifrigen Suchens war nichtszu finden.Trotzdem klopfteich von Zeitzu Zeil die Wänderund um dieTurm kapelle mit einem Hammer ab, bis mich eines Tages ein Arbeiter,der bei der Auf stellung der Engelgruppe über dem Por talvorbau beschäftigt war, frug, was meine Klopfereizu bedeuten habe.Alsich ihm daserklärte,meinte er,ich mögedoch einmal in das wegen der Arbeiten derzeit geöffnete Dach hineinkriechen, dort sei eine Art Tür zu sehen. Ich folgte seiner Aufforderung und blieb wie gebannt ste hen-der obere Teil des spätromanischen Westportals der Michaelerkirche lag vor mir. Die Überraschung war deswegen so groß, hatten doch namhafte Kunsthistori ker wie Bruno Thomas'2 die Behauptung aufgestellt, die Portale des alten Kirchen baues seien unwiederbringlich verloren. Es war ein wahrhaft sensationeller Fund.'9 Ich verständigte von dieser Entdeckung sofort Prof. Alois Kieslinger, der damals baustofniche Untersuchungen an der Mi chaelerkirche vornahm. Architekt B. Reichhart nahm die Vermessungen vor, Kieslinger deckte teilweise die Anstriche ab und beschrieb den Fund.'® So verlockend esdamals gewesen wäre, das Westportal freizulegen, so wurden - abgesehen von der Kostenfrage - ernste Bedenken laut. Man wollte - auch nicht teilweise - den Innenraum des Vorbaus 23

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