Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

nischen Gotteshauses im Wien des 20. Jahrhunderts überflüssig gemacht hätte. Wenn es dem Pascha von Wien gelungen wäre, einen damals bekannten österrei chischen Architekten namensFischervon Erlach für diesen Bau zu verpflichten, so \lären die beiden römischen Triumphsäu len an der Karlskirche die vollkommen sten Mnarette geworden. Freilich, ein schönes Gebäude würde dem heutigen Wien fehlen: das Schloß Belvedere. Anm.: Die Presse, Wien, 14./15. V. 1983. Vin Wissenschaft. Mit Genehmigung der Redaktion. Dompfarrer Dorr als Seelsorger Dr.Franz Loidl Am 5. März 1964, also vor 20 Jahren, wurde PrälatDr.KarlRaphael Dorrim 59. Lebensjahr,im 34.Priesterjahr und im 15. Jahr als Dompfarrer von St. Stephan,aus voller, hoffnungsreicher Wirksamkeit un erwartet vom Herrn über Leben und Tod heimgeholt. Dies sei als Anlaß dafür genommen,ab gesehen von seinen aufreibenden Bemü hungen um den Wiederaufbaudeszerstör ten Domes,der geistlichen Betreuung der Pfarr-und anderer überpfarrlichen Grup pen wie des„WienerOratoriums",der Rit terschaft vom hl. Grab, der Wiener Pfar rer-Vereinigung u. a. sowie als Dompfar rer, Beichtvater,Prediger und Vortragen der,ihn als dynamischen,allseitigen und beeindruckenden Großstadtseelsorger in Erinnerung zu bringen. Nach reiflicher Überlegung während seiner 30tägigen Exerzitien in Tübingen, wo Dorr während seiner von der Gestapo erzwungenen Verbannung weilte und dortselbst bei dem bekannten Theologen Karl Adam das theologische Doktorat er warb, sah er-seinen Lebensweg nur als Seelsorger sirinvoll an.Ich erinnere mich noch,daß ich als Universitätsdozent bei einer Aussprache meinen Mitalumnen und Freund Don- im Herbst 1944 für die Pastoraltheologie zu gewinnen suchte,er jedochabwehrte.Heute,rückblickend auf seine einmaligen Erfolge, sage ich, er wählte richtig.Ersuchte einfach die Nähe der schlichten Menschen wie der Akade miker, und seine ausstrahlende und ge winnende Persönlichkeit und aktivisti sche Arbeitsweise zogen jedermann in seinen Bann. Bereits in Maria-Enzersdorf, wo die Lehrersfamilie lebte und der Großvater eine Gastwirtschaft betrieb,kam der hell hörige Knabe mit buntgemischten Wall fahrern in Berührung, konnte sie beob achten, erfuhr von all ihren Nöten, Freu den, Sorgen, Schwierigkeiten und Pro blemen, wurde von da ab selber für sein Lebenlangein echter Marienverehrer und warmherziger Marienverkünder. Seine seelsorgliche Ausrichtung wurde gewiß auch durch Prälat Regens Handloß mit bestimmt,dem als Bewunderer des Seel sorgerpapstes Pius X. die pastorale Prä gungseiner Alumnen sehr am Herzen lag, und der Umgang mit seinen die prakti sche Seelsorge ausübenden Pfarrern in Laa an der Thaya und bei St.Josefob der Laimgrube (Wien Vfi, wo Kaplan Dorr sich vornehmlich und mit Geschick der Kinder-, Jugend- und Pfedfinder-Seelsorge widmen konnte. Auch die Priester gestalt des einfachen Landpferrers Dechant Karl Wagner in Weitingen im Schwarzwald, dem er während seiner Verbannung aus der „Ostmark" Seelsorgshelfer war und- wahrscheinlich we niger bekannt-der als Volkspfanrer und VOlksschriftsteller nachahmenswerte Seelenhirte Franz X. Singer von Bad Kreuzen (Mühlkreis), von dem er bei Fe rienaufenthalten zu lernen suchte, beein druckten ihn nachhaltig. Von der Auflösung der Jugendver bände und der Zerschlagung der kirchli chen Organisationen 1938 zwar ins Herz getroffen,gab er keineswegs auf,sondern widmete sich intensiv der würdigen Ge staltung des Gottesdienstes, der Predigt, des Beichtstuhls und der Ausnützung al ler Möglichkeiten in der Individualseelsorge.Sah erim Volksheüigen und Gründer desOratoriums Philipp Neri und dem Volltheologen Kardinal Henry Newman seine Ideale, so vertiefte er sich immer mehr in das aufrüttelnde Exerzitienwerk des hl. Ignatius von Loyola. Vor 1938 als Jugendkaplan und vor Kriegsausbruch als zündender Kanzelredner bekannt,be gann der unvergessene Heimkehrer 1946 sein erfolgreiches Wirken. Die Zuhörer schaft gab den besten Boden ab, da die Menschen nicht nur physisch hungerten, sondern aufgeschlossen und begierig wa ren nach geistiger und religiöser Kost,die ihnen sieben Jahre vorenthalten war. In der Kirche„AmHof'(Wienl)-wohin St.Stephan wegen der Brandkatastrophe ausweichen mußte-hielt Dr.Dorr vom 12. bis 28. Juli 1946- also im Sommer(!)-öf fentliche Exerzitien für etwa 3000 Männer und Frauen,im November nur für Män ner; etwa 900 bis 1000 fanden sich an 17 Abenden dazu ein. Die öffentlichen Exer zitien mußten späterhin noch viermal im Dom wiederholt werden;auch in den Jah ren 1957 bis 1959 nochmals. Daraus ging vorerstdas„Allgemeine Oratorium",stets an einem Sonntag gehalten, hervor. Ins gesamt wurden 20 „Allgemeine Oratori en" veranstaltet. Dem Wunsch aus Teilnehmerkreisen, die in den Exerzitien dargelegten vier Im perative in engerer Gemeinschaftsarbeit und in größerer Vertiefung zu gestalten, kam Dorr durch die Gründung der „Brü derschaft des Wiener Oratoriums" am 15. Mai 1947 nach. Darüber hinaus bot er die Möglichkeit. Mitglieder des gleichzeitig gegründeten „Vereines der Freunde des Wiener Oratoriums"zu werden.Es melde ten sich etwa 2000Personen dazu.Als An hänger des Volksliturgen Pius Parsch setzte er sich für die Bet-Singmesse im Stephansdom ein. 1959 sollten sechs Vor träge der Meßerziehungswoche dieser Er neuerung dienen. Nach einem genauen Seelsorgsplan führte Dorr die Kurzan sprachen stets nach dem Evangelium ein, schufzurFörderungdesBußsakramentes im Dom ein Aussprachezimmer,dem bald ein zweiter Ausspracheraum folgte, wo täglich von 6 bis 22 Uhr Beichtväter zur Verfügung standen. Zu einem Herzensanliegen wurde ihm die tägliche eucharistische Anbetung in der Eligiuskapelle des Domes,wo Männer und Frauen vor dem von 19 bis 22 Uhr ausgesetzten Allerheiligsten für ihre per sönlichen Anliegen wie auch für die der Kirche Wiens beten konnten. Damit ent stand die sogenannte Abendlcirche. Borrs Element war die unermüdliche Predigt. Die Kanzel, die Meister Pilgrim ziert,warsein Podest.Fast alle Gläubigen sprach Dorr in einer hohen Zahl von Pre digtzyklen an.Unteranderen:„Die Kirche der Apostel",„Die Kirche der Märtyrer", „Aktuelle Probleme der altchristlichen Zeit",„Das AlteTestament",„Geschichte der Patriarchen", „Die Geschichte des auserwählten Volkes", „Der Kampf um das Imperium Romanum",„Die Richter, Könige und Propheten Israels", „Die durchlöcherten zehn Gebote" in 25 Pre digten (!), „Die Bergpredi^ Jesu" (42 Predigten!). Die beiden letzten vorgese henen Predigten,„Erfüllt getreulich Got tes Willen" und „Baut sein Haus aufFel sengrund", blieben unausgesprochen, wurden aber von dem am 5. März 1964 heimgeholten Prälaten Dr. Dorr ein gan zes Leben hindurch genauestens befolgt! Neun Kanzelreden über „Gott und Mensch" und Predigten über das Leben Jesu rundeten zusammen mit vielen Kurzpredigten sein Bestreben ab, den Gläubigen die Heilsbotschaft zu verkün den. Seine Predigten waren Spiegelbilder seiner einfachen,, klaren, dynamischen, auf gediegenen Grundsätzen aufgebau ten, humor- und verständnisvollen Per sönlichkeit. Alles Hinterhältige, Ver schwommene und Laue war ihm in tief ster Seele zuwider. Als guter Menschen kenner erfaßte er die Vorzüge und auch dieSchwächender Wiener.Ersprachstets schwungvoll, gelöst und packend, fand daher eine zahlreiche und getreue Zuhö rerschaft nicht nur aus Wien,auch ausder weiteren Umgebung,zog sogar Touristen aus dem In- und Ausland an. Berühmt wurdeerdurch seine Silvesteransprachen der Jahre 1952 bis 1963, die sogar durch den Rundfunk bis nach Deutschland aus gestrahlt wurden. Um Fernstehende zu gewinnen,hielt er in den Jahren 1957 bis 1960 sieben „Reli giöse Seminare" in der Volkshochschule Wien-West, die nicht wenige ob ihrer et was provokanten Titel anlockten. Es war daher keineswegs verwunder lich, daß diese übergroße Arbeitslast und die nicht geringen Sorgen, vornehmlich um den Wiederaufbau des Domes, seine Kräfte aufzehrten und ein Herzschlag vor zeitig seinem erfüllten lieben ein jähes Ende setzte. Seine letzte Ruhestätte fand der Unermüdliche und Ideenreiche in der Domherrngruft,auf deren Vollendung er fast seherisch gedrängt hatte, Ein Mitbruder sagte in seinem Nachruf: „Ich habe ihn gern gehabt,aber Gott hat ihn ganz besonders geliebt. Wenn ein Mensch und ein Priester mit einem sol chen Lebenswerk so früh zuihm gerufen wii'd,so bedeutet dies,daß Gottihm sagte: 15

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