Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Leben zuregen beginnt.Viele von uns ha ben wieder angefangen,zurückzukehren zu Gott, dem Geber alles Guten ... Bei uns, die das Elend am eigenen Leib ver spürt haben, wird das Wort „Gott-Vater" einen anderen Klang haben,als beidenen, die es gedankenlos im Munde fuhren.Wir werden einst denken an die Tage der Ge fangenschaft, da unser Vater im Himmel in unseren schwersten Stunden uns wie der aufgerichtet hat. Oder, wenn wir die Bitte des Vaterunsers beten, ,gib uns heute unser tägliches Brot',dann werden wir daran denken, welch herrliche Got tesgabe das Brot ist. Das Brot,nach dem wir gehungert und in den Nächten davon geträumt haben.Wir haben Gottund seine Gaben erlebt. Hinter unserem Gebet wird einst das Erlebnis dieser Tage stehen." Als Lagerpfarrer fand ich auch Kontakt zu Menschen,die sonst nie mit mirin Ver bindung getreten wären. So kam eines Tages mit einem Transport von Kriegsge fangenen aus den USAein deutscher Offi zier mit umfangreichem Gepäck. Er wurde injeder Hinsicht von den Amis be vorzugt behandelt. Dazu sprach auch für ihn,daß ersehrgute Umgangsformen hat te. Er sagte mir einmal, er werde mithel fen, in Deutschland eine „schöne Demo kratie" zu errichten. Ein mir wohlgesinn ter Amerikaner machte mich aufmerk sam, ich möge diesem Mann aus dem Wege gehen,er sei ein Spion.„Wir brau chen' solche Leute, aber wir verachten sie." Bisweilen kam ich auch ins Gespräch mit Generälen, die von den übrigen Ge fangenen abgesondertwaren.Einerdavon bat mich,seine Aufzeichnungen über den deutschen Generalstab zu übernehmen. Ich könnte daraus Nutzen für meine Tä tigkeit ziehen. Die Materie aber war mir doch etwaszu brisant und ich lehnte dan kend ab. Wie ich später erfuhr, war dies gut so. Mein Einfluß als Lagerpfarrer wurde manchmal ein wenig überschätzt. Ein Sergeant wollte mir eine Freude bereiten und nahm mich mit, um mir den Hafen und die Küste von Le Havre zu zeigen. Dabei besuchten wir auch ein kleines Ge fangenenlager. Ein deutscher Offizier stcind am Stacheldraht und weinte. Als er mich erblickte,forderte er mich aufzu in tervenieren. Man habe ihm sein Ritter kreuz abgenommen, und nun laufe ein Hund mit diesem im Lager herum. Am 27.Jänner 1946 wurdeich vom Altar weggeholt,in ein anderes Gage gebracht und dort nach Ablegung der Wehr machtsuniform in eine schwarz einge färbte amerikanische' eingekleidet. Auf Brust,Rücken und Knie wurden groß die Buchstaben P. W. (prisoner of war = Kriegsgefangener) mit weißer Ölfarbe ge pinselt.Dann ging eszur Bahn.In Belgien verbrachten wir noch einige Tage im La ger Stenay und fuhren dann in Viehwag gons in langsamer Fahrt durch Deutsch land. Am 7. Februar 1946 erreichten wir bei Freilassing die österreichische Gren ze.Nachdem ein Arzt-den keiner von uns gesehen hatte-„nach bestem Wissen und Gewissen" bestätigte, daß ich ungeziefer frei sei und keinerlei ansteckende oder übertragbare Krankheit habe, wurde der • Entlassungsschein' mit dem Abdruck meines rechten Daumens versehen und dazu vermerkt,daß ich wedereinen Wehr sold noch ein Entlassungsgeld von der österreichischen Regierung erhalten habe.Dann wurden wir noch während der Nacht in Salzburg auf freien Fuß gesetzt. Auf der Fahrt im Personenzug durch Oberösterreich müssen wir Heimkehrer einen mitleiderregenden Eindruck ge macht haben-Leute, die ausstiegen,leg ten stillschweigend Brotstücke neben uns. Wenn ich heute über diesen Zeitab schnitt in meinem Leben nachdenke, dann glaube ich,es wurde damals aufhö here Veranlassung in die Tat umgesetzt, was ich 1938,als Motto für mein Primizbildchen wählte: „Er hat mich gesalbt, den Armen die frohe Botschaft zu brin gen"(Lk 4,18). Anmerkungen: 'Als Gefangener wares nichtratsam,ein Tagebuchzu führen.Ein Stichwortneben dem jeweiligen Kalenderdatum jnußte genügen. ^ Der Vorarlberger E. Dünser aus Schifis/Satteins zeichnete dasInnere der„Ka pelle" und schrieb dazu die schlichten Verslein: „Geh'ruhig in dieses Kirchlein hinein,/Wo stille Andacht dich umgibt;/Dem lieben Gott vertrau allein,/Was deine Seele trübt." ^ Predigt,20. 5. 1945,Pfingstsonntag.Vgl. Waldemar Posch, Trost in der Heimsuchung-1945,in: Mariahilfer Pfarrbote,33. Jg., Nr.2, Wien,Sept. 1965. S. 2 f. * Predigt,2.So. n.Pfingsten,Lk 14,16-24. ® Predigt, 22. 7. 1945, 9. So. n. Pfmgsten. *' Predigt, 2.9. 1945, 15. So.n.Pfingsten. 'Certificate ofDischarge,7.Februar 1946. 1938 ~ zwei Glaubensbekenntnisse während einer Bahnfahrt P.Dr. Waldemar Posch Anm.: Beiliegender kleiner .Artikel ist ei nem Brief entnommen,den ich im April 1938 an meine Schwester schrieb. Es ist darin kurz die Gedankenwelt festgehal ten,die damalsdie Menschen unsererHei mat bewegte. Uns mag sie heute bereits fremd sein,aber sie hat in der älteren Ge neration bis zum heutigen Tag ihre Spu ren hinterlassen.Wien,23.Dezember 1983, P.W.Posch. Als nach der Besetzung von Graz, der „Stadtder Erhebung",durch diedeutsche Wehrmacht die Anpöbelungen des Klerus von Seiten der Illegalen ein wenig einge dämmt worden waren,erhielt ich am 26. März durch Fürstbischof Dr. Ferdinand Pawlikowski die Subdiakonatsweihe. Kurz darauferkrankte ich wegen der Auf regungen der letzten Wochen. Anfang April kam mein Rektor,P. Eliseus Gabelseder in das Krankenzimmer und rief gleich beim Eintreten: „Wenn es irgendwie geht, fahren Sie sofort mit Fr. Bruno List' nach Mautern in das Kloster der Redemptoristen. Dort wird der Bi schof die Diakonatsweihe erteilen. Wer weiß, wann und wo das wieder einmal möglich sein wird." Am 3.April wurden wir dort,zusammen mit den Theologiestudierenden der Red emptoristen, zu Diakonen geweiht. Auf der Rückfahrt nach Graz - kam eszujener Begegnung zwischen uns und den Fahr gästen im Zug,von der ich meinerSchwe ster am 27. April 1938 nach Altenburg in Thüringen, wohin sie vor einigen Wochen dienstverpflichtet worden war,folgendes schrieb: „Daß derUmbruch von ganzgewaltigen seelischen Erschütterungen begleitet war, kam mir auf meiner letzten Bahnreise erst so recht zum Bewußtsein ... Die Fahrt von Knittelfeld nach Graz war direkt dramatischzu nennen.DerZug war überfüllt.Mit Müh'und Notkonnten mein Reisebegleiter (Fr. Bruno) und ich uns noch ein Plätzchen erobern ... Eisiges Schweigen, feindselige Blicke. Langer Aufenthalt in Nebenstationen, gemein sames Schimpfen über diese Schlampe rei. Witze etc.etc.-und wieesso ging,war aufeinmalein Gespräch im Gang.Ein Po lizeiinspektor-Protestant-,seit 1923 bei der Partei, griff unsere Ehelosigkeit an: mit ein paar Sätzen wurde er mundtotge macht.Daschrie plötzlich ein baumlanger Kerl laut auf: „Ihr Pfaffen gehört schon längst alle auf den Galgen, angefangen beim Innitzer.Aber wartet nui",bis aufdie Wurzel werdet ihr jetzt ausgerottet." Wir ließen ihn ausschimpfen. Und dann setz ten wir ein. Wirzeigten,warum die Kirche in die Politik verwickelt werden mußte, weil gerade sie in Zeiten der Verzweif lung, des Niederganges der einzige Ret tungsanker gewesen ist. So zur Zeit nach der Völkerwanderung,wo gerade die Kir che es war,die dem deutschen Volk Welt geltung verschaffte. Und so wie damals war es auch nach dem Weltkrieg. Katholi sche Priester suchten zuretten,was zuret ten war,wie z.B.Seipel. Wegen der Unfä higkeit anderer mußten Männer der Kir che eingreifen. Daß wirjetzt von der Poli tik weggedrängt werden, daß wir nicht mehr Protektionsonkelzu sein brauchen, darüber ist niemand glücklicher als wir selbst; denn wir sind die Boten einer an deren Welt. Nun kamen andere Probleme zur Spra che: um die Existenz Gottes, ob Christus Jude oder Arier. Warum gerade diese schäbigen Juden das auserwählte Volk seien? Die katholische Religion sei nicht bes ser als die anderen. Was ist mit den Devi senschiebern, mit den Sittlichkeitspro zessen ...- Wir ließen uns nicht klein kriegen,sondern haben wacker pariert,so daß der lange Kerl, der vor einem Jahr vom Glauben abgefallen und monatelang

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